Hochrangiges UNO-Treffen zu HIV in New York vom 8. – 10. Juni 2021

Der Versuch Russlands, die Antwort der Staatengemeinschaft auf HIV zu spalten, ist misslungen. Bereits im Vorfeld des sogenannten «UN High Level Meetings HIV» hatte es rund um die für die Arbeit der UNO-Mitgliedstaaten zu HIV sehr wichtigen Veranstaltung viel Aufregung gegeben. Es wurde deutlich, dass Russland hinter den Kulissen alles versuchte, um andere Staaten davon zu überzeugen, dass der Umgang Russlands mit HIV den richtigen Weg zur Beendigung von AIDS darstelle; also inklusive staatlicher Verfolgung der von HIV betroffenen Gruppen, Zwangsmassnahmen, Missachtung der Rechte Betroffener und eine Ausrichtung der staatlichen HIV-Programme ohne Berücksichtigung der Bedürfnisse von Menschen mit HIV.

Unser Bericht ist eine gekürzte Version des in Projektinformation erschienen Beitrags von Peter Wiessner, Aktionsbündnis gegen AIDS, Berlin.

Russland gehört zu einem jener Länder weltweit, welches es nach wie vor nicht schafft, seine Epidemie in den Griff zu bekommen. Hätte sich Russland durchgesetzt, wäre dies ein Affront für die Arbeit von UNAIDS gewesen, das mit Programmen basierend auf der Wahrung von Menschenrechten, wissenschaftlicher Erkenntnis und Einbindung der von HIV betroffenen Gruppen einen Gegenentwurf zu den Programmen Russlands darstellt.

Bereits im Vorfeld des Treffens hat Russland die ausgehandelte Deklaration geschwächt, um sich dann unter dem Vorwand, dass die eigenen Vorschläge ignoriert worden seien, davon zu distanzieren. Dasselbe „Spiel“ hatte Russland bereits kurz vorher, bei der Verabschiedung der neuen UNAIDS Strategie betrieben. Die Weltgemeinschaft scheint dies nicht länger hinzunehmen: In New York sind die russischen Winkelzüge krachend gescheitert. Nachdem sich die Staatengemeinschaft auf einen Text geeinigt hatte, versuchte Russland durch das Einbringen von weitreichenden Veränderungen, die den Inhalt der Deklaration komplett entstellt hätten, eine Abstimmung darüber zu erzwingen.

Sowas gab es noch nie. Bisher wurden die UNO-Deklarationen zur Beendigung von AIDS als Bedrohung der öffentlichen Gesundheit immer einvernehmlich, auf der Basis des vorher verhandelten Textes verabschiedet. Hätte sich Russland durchgesetzt, hätte das UNO-Treffen schlimmstenfalls ohne verabschiedete Deklaration geendet. Die erzwungene Abstimmung liess die Isolation Russlands deutlich werden: Neben Russland haben nur Belarus, Syrien und Nicaragua gegen die Resolution gestimmt. Der russische Versuch, die Staatengemeinschaft in der Suche nach der richtigen Antwort auf AIDS zu spalten, ist damit misslungen.

Deklarationen sind das Ergebnis eines Aushandlungsprozesses und von Kompromissen. Das Aktionsbündnis gegen AIDS hat in Zusammenarbeit mit der Deutschen Aidshilfe und Aids Action Europe den Prozess beobachtet und eine Pressemitteilung zu einigen Inhalten der Deklaration herausgegeben (gekürzte Wiedergabe).

 

Resolution der Staatengemeinschaft bleibt hinter Erwartungen zurück: Erneut ist keine Einigung auf eine ambitionierte Strategie mit konkreten Finanzierungszusagen möglich.

Vom 8.-10. Juni 2021 findet bei den Vereinten Nationen (UN) in New York das „Hochrangige Treffen zu AIDS“ statt. Titel: „Ungleichheiten beenden. AIDS beenden“. Die Vereinten Nationen verfolgen das Ziel, die Aids-Epidemie bis 2030 zu beenden. Bei der alle fünf Jahre abgehaltenen Versammlung zieht die Staatengemeinschaft Bilanz der bisherigen Massnahmen und einigt sich auf gemeinsame Ziele und Vorgehensweisen für die Zukunft.

Im Zentrum der Veranstaltung steht eine gemeinsame politische Resolution, die gestern bei der Eröffnungsveranstaltung verabschiedet wurde – nach langem diplomatischen Ringen, einer kontroversen Debatte und mit erheblichen Abstrichen gegenüber den ersten Entwürfen.

„Die politische Resolution bleibt weit hinter den Erwartungen zurück und die Ignoranz einiger Regierungen ist erschütternd“, kommentiert Sylvia Urban, Mitglied im Vorstand des Aktionsbündnis gegen AIDS und der Deutschen Aidshilfe. „Zwar werden in der Deklaration die besonders stark von HIV betroffenen Gruppen erwähnt sowie die soziale Benachteiligung als Haupthindernis für die Überwindung der HIV-Epidemie benannt, es mangelt aber an klaren Worten zu sexuellen Rechten und konkreten Finanzierungszusagen. So werden die Vereinten Nationen weder Ungleichheit noch Aids beenden. 40 Jahre nach den ersten Meldungen über Aids könnten wir viel weiter sein!“

Nicht ausreichend durchsetzen konnten sich fortschrittliche Kräfte bezüglich sexueller Rechte. Für einige Staaten wie Russland, Saudi-Arabien oder China stellt aber schon der Begriff „sexuelle Rechte“ ein rotes Tuch dar. Sie konnten sich damit durchsetzen, das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung aus der Deklaration zu streichen.

Betroffene Gruppen schützen und einbeziehen

Die gute Nachricht: Gegen den Widerstand vor allem Russlands wird klar anerkannt, dass die sogenannten Schlüsselgruppen mit umfassenden, bedürfnisgerechten Präventionsmassnahmen unterstützt werden müssen. Weltweit entfallen laut UNAIDS 62% aller HIV-Neuinfektionen auf diskriminierte und marginalisierte Gruppen: Männer, die Sex mit Männern haben, intravenös Drogen konsumierende Menschen, Transmenschen, Menschen aus dem Sexgewerbe und ihre Sexualpartner, sowie Migranten und Inhaftierte.

Besonders hervorgehoben wird auch der Stellenwert von Programmen, die durch Mitglieder dieser Gruppen initiiert und umgesetzt werden.

Menschen mit HIV sind Teil der Lösung – nicht des Problems!

Es kann gar nicht oft genug betont werden: Menschen mit HIV und die betroffenen Gruppen sind Teil der Lösung und nicht des Problems. Die Schlüsselgruppen sind aufgrund struktureller Faktoren und Benachteiligungen besonders stark von HIV betroffen. Umso bedauerlicher, dass dann doch der stigmatisierende Gedanke in der Erklärung auftaucht, diese Gruppen wären für die Übertragung von HIV auf andere Menschen verantwortlich. Unglücklicherweise lässt die Deklaration den Staaten auch die Möglichkeit, ihre Schlüsselgruppen nach nationalen Kriterien selbst zu definieren – und damit Benachteiligung fortzusetzen.

Zusagen zur Finanzierung fehlen

Ein weiteres zentrales Defizit der Deklaration: Sie enthält zwar die allgemeine Verpflichtung, den Finanzbedarf für die HIV-Bewältigung in den benachteiligten Ländern in Höhe von 29 Milliarden US-Dollar zu decken, versäumt es aber, einen konkreten Weg für eine ausreichende Finanzierung aufzuzeigen.

Marktlogik kostet Menschenleben

Auch bei der notwendigen Überprüfung des TRIPS-Abkommens der Welt-Handels-Organisation beziehungsweise dem Umgang mit Patent- und Exklusivrechten sind keine Fortschritte zu erkennen. Wie schon 2016 wird die Bedeutung geistigen Eigentums in der Deklaration hervorgehoben. Ein Abschnitt, der die Aussetzung der TRIPS-Auflagen vorsah, um die Pandemie-Bekämpfung voranzubringen, fehlt in der Beschlussfassung der Resolution. Wichtige Aussagen zu öffentlicher Forschung und Förderung sind verwässert.

EU als Fortschrittsmotor?

Wesentlich progressiver ist die politische Resolution des Europäischen Parlaments vom 20. Mai 2021 über die „Beschleunigung der Fortschritte und Bekämpfung von Ungleichheiten bei der Beseitigung von Aids als Bedrohung der öffentlichen Gesundheit bis 2030“.

EU-Deklaration: https://www.europarl.europa.eu/doceo/document/TA-9-2021-0250_DE.html

UNAIDS zum High Level Meeting und zur Deklaration: https://hlm2021aids.unaids.org

UNAIDS zu „Aids beenden“: https://www.unaids.org/en/resources/presscentre/pressreleaseandstatementarchive/2021/june/20210603_global-commitments-local-action

 

Peter Wiessner / August 2021

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