EMA: Zulassung für lang wirksame HIV-Therapie

Die europäische Medikamentenbehörde EMA hat am 15. Oktober 2020 die erste lang wirksame HIV-Therapie zur Zulassung empfohlen. Die EU-Kommission muss die Empfehlung bestätigen und die formelle Marktzulassung erteilen, was eine Routinesache ist. Ausnahmsweise ist Europa schneller als die USA, wo sich die Zulassung seit Anfang 2020 verzögert. Die Verzögerung der amerikanischen Behörden hat nichts mit der Medikamentensicherheit oder der Wirksamkeit zu tun, offenbar geht es dem FDA um Unklarheiten wegen der Produktion.

Die EMA empfiehlt zwei Dosierungen, welche intramuskulär entweder alle vier oder alle acht Wochen gespritzt werden müssen. Es handelt sich dabei um eine Zweierkombination aus dem seit einigen Jahren bekannten Rilpivirin, Klasse der Nicht-Nukleosidanaloga, und Cabotegravir, Klasse der Integrasehemmer. Die neue Therapieform muss erst mit einer Pillenformulierung eingeleitet werden. Dabei geht es darum, festzustellen, ob die Substanz beim Patienten gut verträglich ist. Die gespritzte Formulierung bleibt fast ein Jahr im Blut nachweisbar, darum müssen mögliche Intoleranzen auf jeden Fall ausgeschlossen werden. Auch aus diesem Grund kommt die neue Formulierung nicht als Erst-Therapie in Frage. Zudem dürfen die Patienten keine vorbestehenden Resistenzen in den beiden Substanzklassen haben.

Was bringt’s dem Patienten? Tschüss tägliche Pillen, das liegt auf der Hand. Mal Ferien machen ohne Pillen abzuzählen, oder ein Wochenende Party ohne Tabletten mitschleppen zu müssen. Möglicherweise ein anderes Nebenwirkungsprofil, weniger gastro-intestinale Beschwerden, doch für eine Beurteilung ist es hier noch zu früh. Die Adhärenz wird ein bisschen einfacher; vor allem aber anders, denn es gibt durchaus neue Herausforderungen. Alle vier oder alle acht Wochen braucht es einen Termin beim Arzt oder bei der Pflege – und jetzt haben wir uns doch so schön dran gewohnt, bloss zweimal im Jahr in die Kontrolle gehen zu müssen.

Bei der Swissmedic ist die Zulassung noch in Bearbeitung; wir erwarten die neue Therapie irgendwann im nächsten Jahr. Geplant ist auch ein Einsatz als Prä-Expositionsprophylaxe PrEP; entsprechende Studien sind noch am Laufen.

Die Entwicklung neuer Medikamente ist zeitraubend, das zeigte sich bei dieser Substanz besonders deutlich. Besonders gut funktioniert hat hier der Einbezug von Patienten in den ganzen Entwicklungsprozess. Lebhaft erinnere ich mich an eine Konsultation am 10. und 11. Dezember 2007 in Mechelen im Norden von Brüssel. Mit dabei war der 2014 tragisch verunglückte Professor Joep Lange aus Amsterdam. Bei der kleinen Firma Tibotec tätige Forscher hatten ein Verfahren entdeckt, welches möglicherweise grössere Dosierungsintervalle mit einer speziellen Formulierung zulassen würde. Die Substanz war eben in einem Tierversuch mit Hunden getestet worden. Man wollte damals von uns wissen, ob ein Bedarf für ein solches Medikament vorhanden war, und ob es allenfalls auch für die Prävention interessant sein könnte. Wir waren uns damals sehr einig, empfahlen der Firma aber, die Entwicklung mit einer kompletten Therapie voranzutreiben und nicht bloss mit einer einzelnen Substanz. Wenn schon, dann müsse die ganze HIV-Therapie auf diesem Weg verabreicht werden, sonst bringt es nur Komplikationen statt Nutzen. Dreizehn Jahre später sind wir soweit. Die Konkurrenten haben nicht geschlafen – es erwartet uns einiges an Neuem mit ähnlichen Eigenschaften.

 

David Haerry / Oktober 2020

 

 

 

 

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