HIV Glasgow
Alle zwei Jahre findet die HIV Glasgow in Schottland statt. Bahnbrechende Neuigkeiten gibt es selten zu hören, trotzdem ist die Konferenz wichtig – es geht in Glasgow viel mehr um die klinische Praxis in Europa. Vermehrt gibt es auch Raum für sozialwissenschaftliche Themen – dieses Jahr war Stigma ein wichtiges Thema.
Benjamin Hampel vom Checkpoint Zürich präsentierte ein interessantes Poster über den Impfschutz der Teilnehmer im SwissPrEPared Programm. Dort finden wir Menschen, welche sexuell sehr aktiv sind und sich mit einer PrEP vor HIV schützen, also Leute, die eigentlich ein hohes Gesundheitsbewusstsein haben. Die regelmässigen Kontrollen im Programm bieten eine ideale Voraussetzung, um die Prepster auf andere gesundheitliche Gefährdungen zu sensibilisieren.
In der Schweiz wird die Impfung gegen das Hepatitis-B-Virus für die gesamte Bevölkerung empfohlen, wobei der Schwerpunkt auf Risikopersonen wie Männern liegt, die Sex mit Männern haben (MSM). Die Impfung gegen das Hepatitis-A-Virus wird für alle MSM empfohlen. Die Impfung gegen das humane Papillomavirus wird für alle Personen unter 27 Jahren empfohlen. Die Impfung gegen Mpox (Affenpocken) wird für MSM und Transmenschen mit mehreren Sexualpartnern empfohlen, bei denen in der Vergangenheit keine Mpox-Infektion diagnostiziert wurde. Die Impfung gegen Mpox wurde im November 2022 in der Schweiz eingeführt. Die Gesundheitsfachleute werden automatisch daran erinnert, bei jedem PrEP-Besuch den Impfstatus zu überprüfen. In der Studie wurde die Impfquote aller SwissPrEPared-Teilnehmer für Hepatitis A, Hepatitis B und Mpox untersucht und für das Humane Papillomavirus für diejenigen Teilnehmenden, die zum Zeitpunkt der Aufnahme in die Studie unter 27 Jahre alt waren.
Untersucht wurde der Impfschutz bei der ersten Konsultation sowie nach 5 und 8 Besuchen für Hepatitis A und B sowie HPV. Die Besuche wurden gemäss den Empfehlungen des SwissPrEPared alle 3-6 Monate durchgeführt. Ebenfalls untersucht wurde die Mpox-Impfung in den 18 Monaten nach Einführung des Impfstoffs in der Schweiz im November 2022.
Im Schweizer PrEP-Programm stiegen alle Impfraten im Laufe der Zeit an, blieben jedoch für HPV und Mpox niedrig. Weil für PrEP-Nutzer in der Schweiz der Impfschutz gegen Hepatitis B systematisch überprüft wird, ist die Datenqualität bei Hepatitis B sehr gut. Bei Hepatitis A und HPV könnten die Impfraten höher sein, da sich die Personen möglicherweise nicht daran erinnern, ob sie geimpft sind oder ihren Impfpass verloren haben. Möglicherweise wurden die Teilnehmer auch gar nicht gefragt. Die niedrige Zahl der Mpox-Impfungen hat wohl damit zu tun, dass die Impfung in der Schweiz erst sehr spät verfügbar war, als die Epidemie bereits am Abklingen war. Wenn man jedoch bedenkt, dass Prepster im Allgemeinen offen für medizinische Präventionsmassnahmen sind, sind weitere Untersuchungen erforderlich, um die Entscheidung gegen die empfohlenen Impfstoffe in dieser Bevölkerungsgruppe zu verstehen.
Sorgen machen uns vor allem die tiefen Mpox-Impfraten. Wir empfehlen allen MSM dringend, die Impfung nachzuholen. Informationen zu Impfmöglichkeiten und spezialisierte ärztliche Fachpersonen finden Sie bei den kantonalen Gesundheitsbehörden. Reisemedizinische Zentren sollten den Impfstoff vorrätig haben. Im Zweifelsfall telefonisch anfragen. Ebenfalls sollte der Hepatitis-A Impfschutz überprüft werden. Junge schwule Männer sollten sich gegen das Humane Papillomavirus impfen lassen.
Ein weiteres wichtiges Poster befasste sich mit „Wissen, Ansichten, Wahrnehmungen und Einstellungen der Bevölkerung zu HIV und Menschen mit HIV in der Schweiz“. Thomas Grabinger von Gilead hat die Daten zusammengetragen. Befragt wurden 1015 Personen. Unterstützt wurde er von Dominique Braun vom Unispital Zürich, Katie Darling vom CHUV Lausanne, der Aids-Hilfe Schweiz und dem Positivrat. Dabei ging es um die Frage, wie gut die Schweizer Bevölkerung weiss, dass erfolgreich therapierte Menschen mit HIV nicht ansteckend sind und dass die Prä-Expositionsprophylax PrEP funktioniert. Die Ergebnisse sind, nicht überraschend, ziemlich ernüchternd.
Ein Viertel der Befragten kennt jemanden, der mit HIV lebt. Fast die Hälfte hat sich schon mal auf HIV testen lassen. Ein Fünftel aber meint, Menschen mit HIV wären eine Gefahr für die Gesellschaft. Jeder Zwanzigste glaubt sogar, dass Menschen mit HIV nicht arbeitsfähig seien. Drei Viertel meinen, sie seien puncto HIV gut informiert, und eine HIV-Infektion sei eine gut therapierbare Erkrankung.
HRH Anne, Princess Royal beehrte die HIV Glasgow
Wie gut kennt die Bevölkerung die Übertragungswege von HIV? Da tun sich Welten auf. 95% wissen, dass Spritzentausch und ungeschützter Sex gefährlich sind. Soweit, so gut. Aber: 13% meinen, dass ein Insektenstich gefährlich ist, 8% meinen, es genüge, Gläser und Besteck oder eine Toilette zu teilen. 2% haben gar Angst vor Händeschütteln. Mehr als ein Fünftel hat Angst vor Küssen und sage und schreibe 60% befürchten eine Ansteckung durch einen Menschen mit HIV unter Therapie.
Etwas mehr als ein Fünftel weiss hingegen, dass Menschen mit HIV unter Therapie kein Risiko beim ungeschützten Sex darstellen. Ein weiteres Fünftel ist damit gar nicht einverstanden, und fast 60% wissen es nicht. Menschen unter vierzig Jahren und mit guter Ausbildung schneiden etwas besser ab.
Bei der Frage nach dem Übertragungsrisiko von Mutter auf Kind sieht es etwas besser aus. Fast die Hälfte der Befragten wissen, dass eine gut therapierte Mutter das Virus nicht aufs Kind übertragen kann. 7% sind damit nicht einverstanden, und fast die Hälfte weiss es nicht.
Ganze 87% haben noch nie von der Prä-Expositionsprophylaxe PrEP gehört, ganze 8% haben mal was in den Medien gelesen. Die Stigmafrage schliesslich schiesst den Vogel vollends ab: Gute 10% der Bevölkerung möchten nicht neben einem Menschen mit HIV sitzen, würden eine solche Person nicht beschäftigen und möchten auch keine Nachbarn mit HIV. 17% würden einem Menschen mit HIV nichts ausleihen und 14% würden keine Freundschaft beginnen. Fast 60% würden keinen Menschen mit HIV heiraten und drei Viertel möchten keine sexuelle Beziehung mit solchen Leuten.
Das alles muss man als Mensch mit HIV erst mal aushalten. Das europäische Zentrum für Infektionskontrolle hat im Juli eine Untersuchung zum HIV-Stigma im Gesundheitswesen in Europa und Zentralasien publiziert. Katie Darling vom CHUV in Lausanne präsentierte die Ergebnisse an der Eröffnungssitzung. Wir werden in einem späteren Artikel nochmals auf das Thema Stigma zurückkommen.
David Haerry / November 2024