AIDS 2024 München: 100% Schutz vor HIV mit 2 Spritzen pro Jahr 

Linda Gail-Bekker, eine bekannte Forscherin aus Kapstadt, sorgte für weltweite Schlagzeilen und brachte den nüchternen Konferenzraum zum Toben. Sie präsentierte sensationelle Studienergebnisse aus Uganda und Südafrika – untersucht wurden drei Präventionsstrategien bei 5’338 jungen Frauen. Eine der drei Interventionen schützt besser als eine Impfung, die es ja noch immer nicht gibt.

Wie können sich Frauen vor HIV schützen? Von den fast 40 Millionen Menschen mit HIV weltweit sind 53% Frauen. Die bisherigen Präventionsangebote für Frauen sind ungenügend. Das Kondom für Frauen hat sich nie durchgesetzt – die Anwendung war umständlich und unbequem. Vor vier Jahren haben die europäischen Behörden den Vaginalring mit Dapivirin für den Gebrauch ausserhalb Europas zugelassen. Entwickelt wurde dieser in Zusammenarbeit mit der International Partnership for Microbicides IPM und der Firma Janssen. Der Vaginalring schützt 24 Stunden nach dem Einsetzen für einen Monat, und nur bei vaginalem Geschlechtsverkehr. Die Therapietreue ist nicht einfach, besonders in Afrika, wo die Wege zu Kliniken weit sind und die Transportmittel oft fehlen. Die Wirksamkeit ist nicht berauschend – je nach Studie wird die Zahl der Neuansteckungen um 30 bis 50% reduziert. Preislich ist der Vaginalring mit 12-25 USD günstig. Er wird in mehreren afrikanischen Ländern eingesetzt, bisher aber nur im Rahmen von Implementierungsstudien. Bessere Strategien sind also dringend nötig.

In der von Gilead unterstützten Purpose 1 Studie wurden drei Präventionsstrategien untersucht:

  • Ein Studienarm mit der Substanz Lenacapravir[1], als Spritze alle 6 Monate, mit 2’134 Teilnehmerinnen. Resultat: null Ansteckungen in diesem Arm
  • Im zweiten Arm Emtricitabine und Tenofovir Alafenamide, als Tablette, mit 2’136 Teilnehmerinnen. Resultat: 39 Ansteckungen
  • Im dritten Arm Emtricitabine und Tenofovir Disoproxil Fumarate, als Tablette, mit 1’068 Teilnehmerinnen. Resultat: 16 Ansteckungen

Bei der Interpretation muss man berücksichtigen, dass die Therapietreue im 2. und im 3. Arm zum Teil sehr schwach, im ersten Arm aber sehr hoch war. Das heisst: Die anderen Interventionen sind nicht so viel schlechter, wie man meinen könnte. Bei besserer Adhärenz wäre der Unterschied zum ersten Arm kleiner.

Die ausgezeichneten Resultate im ersten Arm sind in der Tat ein Meilenstein. Die Studie wurde denn auch vorzeitig abgebrochen – die Resultate im ersten Arm machten die Weiterführung unethisch. Doch es gibt andere Aspekte der Studie, welche in der Tagespresse kaum Beachtung fanden.

  • Die Resultate im 2. und im 3. Arm sind ungefähr gleich gut, und sie wären bei einer besseren Adhärenz wohl noch viel überzeugender.
  • Gut 8’000 Frauen wurden für einen Einschluss in die Studie untersucht. Davon waren 504 bereits HIV-positiv. Ein gutes PrEP-Programm hilft also, nicht diagnostizierte Frauen zu finden, und diese rechtzeitig zu therapieren.
  • Beim Studieneinschluss wurde eine hohe Zahl an sexuell übertragbaren Infektionen festgestellt. 25% der Frauen hatten Chlamydien, 9% Gonorrhöe, 7% Trichonomas vaginalis und 3% Syphilis. Die Häufigkeit sexuell übertragbarer Infektionen blieb auch während der laufenden Studie hoch. Ein etabliertes PrEP-Programm gäbe uns die Möglichkeit, diese rechtzeitig zu erkennen und zu behandeln.
  • Damit Lenacapravir als PrEP zugelassen werden kann, braucht es eine weitere Studie. Die Purpose 2 Studie mit schwulen und bisexuellen Männern läuft mit etwa 6 Monaten Verspätung in Argentinien, Brasilien, Mexiko, Peru, Südafrika, Thailand und den USA. Vor ein paar Tagen publizierte Gilead eine Pressemitteilung zu dieser Studie. Offenbar gab es unter den 2’180 Teilnehmern 2 Neuansteckungen im Lenacapravir Arm. Auch in dieser Studie war Lenacapravir besser als der Arm mit der täglichen oralen Tablette mit Emtricitabine und Tenofovir Disoproxil Fumarat. Für eine Bewertung müssen wir die Publikation der vollständigen Daten abwarten. Einer Beurteilung durch die Zulassungsbehörden dürfte aber nichts mehr im Wege stehen.

                     Bild: zvg

Die grösste Hürde für die Verwendung von Lenacapravir als PrEP ist der Preis. In München hörte man, dieser liege bei 40’000 USD pro Jahr. Das ist irreführend, denn dabei handelt es sich um einen amerikanischen Schaufensterpreis für die Verwendung als Therapie. Das bedeutet, dass die dortigen Krankenversicherungen diesen Preis runterhandeln. In der Schweiz steht der Preis noch nicht fest. Er dürfte aber für die enge Anwendung bei nur wenigen Patienten mit Mehrfachresistenzen eher hoch sein.

Falls es zu einer Zulassung der Substanz in der Prävention und damit zu einer Mengenausweitung kommt, werden die Preise sicher anders aussehen – das weiss auch die Herstellerin Gilead. Der Pharmakologe Andrew Hill von der Universität Liverpool meinte in München, dass 40 USD möglich wären. Ob das realistisch ist oder akademische Träumerei, muss sich zeigen. Sehr wahrscheinlich wird im Falle einer Zulassung als PrEP für die Länder im Süden ein Lizenzierungsprogramm mit Produktion vor Ort aufgelegt. Der Druck ist hoch, eine allerseits verträgliche Lösung zu finden.

[1] Lenacapravir ist ein Capsid-Inhibitor. Diese neue Substanzklasse ist in Europa und der Schweiz als Therapie für Menschen mit HIV und Mehrfachresistenzen zugelassen.

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