Unterstützung für ukrainische Geflüchtete in der Schweiz: Zugang zur Behandlung von Hepatitis und HIV

Seit Beginn des Krieges in der Ukraine sind viele Geflüchtete in die Schweiz gekommen, darunter Menschen mit Hepatitis oder HIV. Die Ukraine gehört zu den Ländern mit einer hohen Prävalenz von Hepatitis C, und viele Betroffene wissen nicht einmal von ihrer Infektion. Angesichts dieser Herausforderung haben die Organisationen Positivrat, Hepatitis Schweiz und Aids-Hilfe Schweiz gemeinsam Massnahmen ergriffen, um diesen Menschen zeitnah Unterstützung und medizinische Versorgung zu ermöglichen.

Information und Zugang zur Hilfe

Ein wichtiger erster Schritt war die Verbreitung von Hinweisen für Geflüchtete, dass sie sich bei uns melden können, wenn sie mit HIV oder Hepatitis leben oder eine entsprechende Diagnose erhalten haben und Unterstützung benötigen. Diese Hinweise wurden gezielt in Migrationsbehörden platziert, wo Geflüchtete ihren Aufenthaltsstatus regelten, sodass betroffene Personen uns diskret kontaktieren konnten. Anschliessend nahmen wir über weitere Kanäle Kontakt mit ihnen auf. Die Aids-Hilfe Schweiz bot zudem Informationen über HIV und Hepatitis auf Russisch und Ukrainisch an und vermittelte Anfragen weiter. Die Erfahrung zeigte, dass persönliche Gespräche effektiver sind als schriftliche Informationen.

Zahl der Betroffenen

Seit 2022 haben sich Dutzende Geflüchtete an uns gewandt, um Unterstützung zu erhalten. Auffällig war, dass rund 90 % von ihnen Frauen waren. Dies spiegelt eine allgemeine Tendenz in osteuropäischen Gesellschaften wider, in denen Männer seltener medizinische Hilfe in Anspruch nehmen und sich weniger häufig testen lassen. Auch in der Ukraine zeigt sich dieses Muster – viele Männer werden erst in einem späten Stadium diagnostiziert, während Frauen früher ärztliche Hilfe suchen.

Rund 90 % der Betroffenen hatten Hepatitis C, einige Hepatitis B oder HIV. Die meisten Anfragen kamen aus der Deutschschweiz, während es nur wenige aus der Romandie gab und bisher keine aus dem Tessin.

Angst und Panik

Die meisten Betroffenen meldeten sich bei uns in grosser Panik, nachdem sie alarmierende Informationen auf Russisch oder Ukrainisch im Internet gelesen hatten. Viele fanden veraltete oder einseitige Berichte, die ihnen suggerierten, dass ihr Zustand unheilbar sei. Einige waren so verängstigt, dass sie bereits Notare oder Juristen konsultiert hatten, um ein Testament zu verfassen, weil sie dachten, sie hätten nur noch wenige Jahre zu leben.

Zusätzlich herrschte grosse Unsicherheit über das Schweizer Gesundheitssystem, insbesondere bezüglich der ärztlichen Schweigepflicht und möglicher sozialer Ausgrenzung. Unsere wichtigste Aufgabe war es daher, diese Ängste abzubauen: Wir erklärten, dass Hepatitis C heilbar ist und auch für HIV und Hepatitis B wirksame Therapien existieren, die das Virus unter Kontrolle halten. Durch persönliche Gespräche und vertrauensvolle Begleitung konnten wir Panik und Desinformation entgegenwirken und den Betroffenen Sicherheit geben.

Herausforderung Gesundheitssystem

Eine der grössten Herausforderungen für Geflüchtete war es, das Schweizer Gesundheitssystem zu verstehen. Viele wussten nicht, wie das System mit der Franchise funktioniert, welche Kosten entstehen und wer sie trägt.

Neben medizinischen Informationen halfen wir auch dabei, Ängste gegenüber Ärztinnen und Ärzten abzubauen. In der Ukraine empfinden viele Patientinnen Schuldgefühle wegen ihrer Erkrankung und fürchten Stigmatisierung sowie eine schlechte Behandlung. In der Schweiz ist der Ansatz jedoch völlig anders – Ärztinnen hören aufmerksam zu, nehmen sich Zeit für Untersuchungen und erklären die möglichen Behandlungsoptionen. Geflüchtete waren oft überrascht und berichteten, dass sie eine derart respektvolle Behandlung aus ihrem Heimatland nicht kannten.

Impfungen und Überwindung von Misstrauen

Ein weiteres zentrales Thema war die Impfung. Viele ukrainische Geflüchtete begegnen Impfungen mit Skepsis, da in der Ukraine oft staatlich produzierte Impfstoffe verwendet werden, denen misstraut wird. Doch nach ausführlichen Beratungsgesprächen entschieden sich viele, sich gegen Hepatitis B und andere Infektionen impfen zu lassen. Das Projekt trug somit nicht nur zur Behandlung bereits bestehender Erkrankungen bei, sondern half auch, neue Infektionen zu verhindern.

Zukunft der Initiative

Obwohl die Zahl der Neuankömmlinge zurückgeht, läuft das Projekt weiter. In den letzten zwei Monaten haben sich nur noch zwei Personen an uns gewandt, was auf einen Rückgang des akuten Bedarfs hindeutet. Dennoch setzen Positivrat, Hepatitis Schweiz und Aids-Hilfe Schweiz ihre Arbeit fort, um ukrainischen Geflüchteten den Zugang zum Schweizer Gesundheitssystem und zur benötigten Behandlung zu erleichtern.

Das Projekt hat gezeigt, wie entscheidend nicht nur korrekte Informationen sind, sondern auch ihre Vermittlung. Angst und Panik verschwinden, wenn Menschen die Situation in ihrer eigenen Sprache erklärt bekommen, mit Berücksichtigung ihres kulturellen Hintergrunds. Wir sind stolz darauf, diesen Menschen nicht nur medizinisch, sondern auch emotional geholfen zu haben – ihnen Zuversicht für die Zukunft und Zugang zu einer hochwertigen Gesundheitsversorgung zu ermöglichen.

Alex Schneider / Februar 2025

 

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“Angst essen Seele auf” oder: “What is your antidote against fear?”

Ich sitze im Zug auf dem Weg ans LGBTQ+ Filmfestival in Amsterdam. Mein Text über die in den Niederlanden neu entdeckte viel aggressivere Variante des HI-Virus will nicht so recht aufs Papier. Anderes beschäftigt mich mehr. Ich blättere genervt in meinem Buch mit philosophischen Essays und bleibe – ob es Zufälle wohl gibt? – bei folgender Passage hängen:

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