Nach der Definition von UNAIDS ist die Schweiz von einer „konzentrierten“ HIV-Epidemie betroffen. Das heisst, dass das Virus nicht gleichmässig in der ganzen Bevölkerung verbreitet wurde, sondern in einer oder mehreren Bevölkerungsgruppen deutlich häufiger vorkommt. In der Schweiz gibt es drei Gruppen, bei denen die Prävalenz höher als 5% beträgt: Neben Schwulen und anderen Männern, die Sex mit Männern haben sind es Migrantinnen und Migranten aus Ländern mit generell erhöhter Prävalenz und Menschen, welche Drogen intravenös konsumieren.
Die Prävalenz von HIV ist in den Ländern südlich der Sahara in den jeweiligen Bevölkerungen generell erhöht – UNAIDS spricht von einer „generalisierten“ Epidemie. Gruppen von MigrantInnen können – müssen aber nicht – die Prävalenz in ihrem Herkunftsland aufweisen. Die MigrantInnen aus Subsahara-Afrika sind in der Schweiz die zweitgrösste, von HIV besonders betroffene Gruppe. Das BAG rechnet mit weniger als 100’000 Personen aus diesen Ländern, welche sich in der Schweiz aufhalten. Die Zahl der Männer, die mit Männern Sex haben, ist nicht bekannt, wird aber auf deutlich über 10’000 geschätzt. Und es gibt ca. 20’000 bis 30’000 Menschen, welche Drogen intravenös konsumieren oder dies lange getan haben.
Zielgruppenspezifische Prävention!
Das Schweizerische HIV-Präventionskonzept der drei Ebenen der Präventionskommunikation wurde schon Mitte der 80er Jahre entwickelt: Grundinformation für die ganze Bevölkerung, zielgruppenspezifische Information und Motivation für besonders gefährdete Gruppen sowie individuelle Beratung und Begleitung für besonders gefährdete und/oder betroffene Menschen. Die Mobilisierung und Selbstorganisation von homosexuellen Männern Mitte der 80er Jahre und die von ihnen initiierte Gründung von Aids-Hilfen ist zum Modellfall von Public Health geworden. Exemplarisch dabei ist die Akzeptierung des Problems durch die betroffene Gruppe: „Ja, wir haben ein Problem und wir organisieren die Lösung selbst“. Selbstorganisation und Mobilisierung folgten diesem öffentlichen Bekenntnis Damit verlor die Stigmatisierung an Kraft, und die Gesellschaft entwickelte Respekt vor dieser vorher diskriminierten Gruppe.
MigrantInnen aus Afrika südlich der Sahara
In den letzten 25 Jahren Aids-Arbeit in der Schweiz hat sich der Fokus der Aufmerksamkeit immer wieder verschoben: Mitte der 80er Jahre dominierte die Angst vor der „Schwulenseuche“. Dann rückten Spritzentausch, Drogenkonsum, Harm Reduction (Bundesterrasse, Platzspitz und Letten) ins Zentrum des Interesses. Die 90er Jahre waren geprägt von der Angst, HIV könnte sich doch noch in der ganzen Bevölkerung verbreiten. Ab dem Jahr 2000 erschreckte die starke Zunahme von neu gemeldeten heterosexuell übertragenen HIV-Infektionen bei MigrantInnen aus Subsahara-Afrika und die damit verbundene Angst, dass gewisse Kreise mit diesem Thema Ausländer-Politik machen wollten. Ein Rapid Assessment (1) war die wissenschaftliche Grundlage für die Entwicklung des Pilotprojekts „Afrimedia“ durch das Schweizerische Rote Kreuz mit fachlicher Unterstützung durch das ehemalige Schweizerische Tropeninstitut in Basel. Das Projekt Afrimedia, mittlerweile bei der Aids-Hilfe Schweiz angesiedelt und weiterhin vom BAG finanziert, gilt als Modellfall eines zielgruppenspezifischen Präventionsprojektes, welches mit MultiplikatorInnen aus der Zielgruppe arbeitet.
In Zukunft: Prävention durch die Betroffenen selbst
Das Projekt Afrimedia wurde im Rahmen der externen Evaluation der Umsetzung des Nationalen HIV/Aids-Programms 2004 – 2008 ausdrücklich gelobt und zur Weiterführung und -entwicklung empfohlen.(2) Heute erfüllt das Projekt die Anforderung, dass Prävention nicht für die Zielgruppe sondern mit ihr entwickelt und organisiert wird (Partizipation). Richtig erfolgreich wird Afrimedia aber erst dann, wenn es dem Projekt gelingt, die Zielgruppe so zu mobilisieren, dass die Prävention von der Zielgruppe selber übernommen wird. Dazu braucht es zweierlei: Einerseits die Bereitschaft der Zielgruppe, das Problem HIV für sich selbst zu akzeptieren und „dazu zu stehen“, auch wenn weiterhin begründete Ängste vor Diskriminierung und Stigmatisierung bestehen. Andererseits müssen die hiesigen Profis der HIV-Arbeit umdenken lernen und alle eigenen Bemühungen am Ziel des Empowerments der Zielgruppe messen lassen. Nur Hilfe zur Selbsthilfe und Unterstützung bei der Stärkung der Zielgruppe im Blick auf Selbstmanagement der Projekte ist längerfristig nützliche und nachhaltige Hilfe. Finanzielle Ressourcen müssen in Zukunft direkt in die Zielgruppe bzw. deren Projekte fliessen und die personellen Ressourcen aus der Zielgruppe rekrutiert werden.
Leitung des Nationalen Programmes HIV/STI
Bundesamt für Gesundheit, Bern
(1) Zuppinger B, Kopp C, Wicker H-R, „Interventionsplan HIV/Aids-Prävention bei Sub-Sahara MigrantInnen“, Rapid Assessment im Auftrag des Bundesamtes für Gesundheit, Bern, Institut für Ethnologie, 2000, http://www.bag.admin.ch/evaluation/01759/02069/02191/index.html?lang=de.
(2) Rosenbrock R, Almedal C, Elford J et al., „Beurteilung der Schweizer HIV-Politik durch ein internationales Expertenpanel“, Studie zuhanden des Bundesamtes für Gesundheit, Horgen: Syntagma GmbH, 2009, http://www.bag.admin.ch/evaluation/01759/02062/06256/index.html?lang=de.
Swiss Aids News 2, Juni 2010, www.aids.ch