Neue Perspektiven: Einblicke zur 34. Challenge in Infectious Diseases Kongress
Seit Jahrzehnten ist HIV eine der grössten Herausforderungen der Medizin. Dank moderner Medikamente können Menschen mit HIV heute ein normales Leben führen, doch eine Heilung gibt es bislang nicht. Beim 34. Challenge in Infectious Diseases Kongress, der am 17. und 18. Januar 2025 in Engelberg stattfand, wurden vielversprechende neue Therapieansätze vorgestellt, die das Potenzial haben, das Virus dauerhaft zu eliminieren. Die Veranstaltung brachte führende Forschende im Bereich Infektionskrankheiten zusammen, darunter auch Expert:innen für HIV.
Warum ist eine Heilung so schwierig?
Die aktuellen Medikamente, die unter dem Begriff „kombinierte antiretrovirale Therapie“ (cART) bekannt sind, können die Virusvermehrung im Körper unterdrücken und verhindern so, dass HIV das Immunsystem weiter schwächt. Doch sie können das Virus nicht vollständig aus dem Körper entfernen. Der Grund: HIV versteckt sich in bestimmten Zellen des Immunsystems – vor allem in ruhenden CD4-T-Zellen – und bleibt dort in einer Art Ruhezustand, bekannt als „latentes Reservoir“. Dieses Reservoir ist das grösste Hindernis auf dem Weg zur Heilung, denn solange sich das Virus dort versteckt, kann es durch Medikamente nicht erreicht werden. Sobald die Behandlung abgesetzt wird, kann HIV erneut aktiv werden und sich wieder vermehren.
CRISPR-Cas: Hoffnungsträger mit Herausforderungen
Die CRISPR-Cas-Technologie könnte HIV «an der Wurzel» packen, indem sie das Virus gezielt aus infizierten Zellen entfernt oder deaktiviert. Erste Experimente zeigen, dass bis zu 95 % des viralen Erbguts erfolgreich eliminiert werden können. Doch bevor CRISPR in der Praxis eingesetzt werden kann, gibt es entscheidende Hürden:
Gezielte Lieferung: Wie bringt man CRISPR sicher in infizierte Zellen, ohne gesunde Zellen zu schädigen? Forscher:innen testen Transportvehikel wie Viren oder Nanopartikel, doch eine zuverlässige Methode fehlt noch.
Präzision und Sicherheit: Ungewollte DNA-Veränderungen müssen ausgeschlossen werden. Spezialisierte guide RNAs oder neue CRISPR-Varianten wie Cas12 und Cas13 könnten die Genauigkeit verbessern.
Langfristige Wirkung: Kann CRISPR das gesamte latente Reservoir eliminieren? Kombinierte Ansätze mit Immuntherapie oder Antikörpern könnten helfen, verbliebene infizierte Zellen zu bekämpfen.
Noch sind die meisten Tests auf Labor- und Tiermodelle beschränkt. Klinische Studien müssen zeigen, wie sicher und dauerhaft CRISPR wirkt. Trotz offener Fragen bleibt die Technologie eine der vielversprechendsten Strategien im Kampf gegen HIV.
Bild: Alex Schneider
Immuntherapie: Das Immunsystem als Verbündeter
Immuntherapien bieten einen vielversprechenden Ansatz, um das körpereigene Abwehrsystem so zu aktivieren, dass es latent infizierte HIV-Zellen erkennt und eliminiert. Dabei stehen zwei Strategien besonders im Fokus.
IL-10 und PD-1 Blockade
HIV nutzt IL-10 und PD-1, um das Immunsystem zu unterdrücken und infizierte Zellen vor der Erkennung zu schützen. Durch eine gezielte Blockade dieser Hemmfaktoren kann die Immunantwort wiederhergestellt und die Virusvermehrung unterbunden werden. Erste Studien zeigen, dass HIV-infizierte Zellen so für das Immunsystem sichtbar gemacht und effizient bekämpft werden können. Eine Herausforderung bleibt jedoch, eine übermässige Aktivierung des Immunsystems zu vermeiden, die Autoimmunreaktionen auslösen könnte.
IL-21 Therapie
Ein weiterer Ansatz ist der Einsatz von IL-21, einem Signalprotein, das die Aktivität von CD8+ T-Zellen und natürlichen Killerzellen steigert. Diese Immunzellen spielen eine entscheidende Rolle bei der Bekämpfung von HIV-infizierten Zellen. IL-21 könnte zudem helfen, das Immungleichgewicht insbesondere im Darm zu stabilisieren, einer Region, in der HIV bevorzugt überdauert. Eine zu starke Stimulation könnte jedoch unerwünschte Nebenwirkungen mit sich bringen, weshalb die optimale Dosierung und Sicherheit noch weiter erforscht werden müssen.
Die Immuntherapie allein wird voraussichtlich nicht ausreichen, um HIV vollständig zu eliminieren. Vielversprechender erscheint ein kombiniertes Vorgehen, das Immunaktivierung mit anderen Methoden wie CRISPR-Cas oder Antikörpertherapien verbindet. Auch wenn noch viele Fragen offen sind, zeichnet sich ab, dass die gezielte Stärkung der Immunabwehr ein zentraler Bestandteil einer zukünftigen Heilungsstrategie sein könnte.
Antikörpertherapie: HIV gezielt angreifen
Wissenschaftler haben herausgefunden, dass sich HIV-1 durch das spezielle Oberflächenprotein Env vor dem Immunsystem schützt. Neue Antikörpertherapien zielen darauf ab, dieses Protein gezielt anzugreifen und das Virus für das Immunsystem „sichtbar“ zu machen. Zwei Ansätze gelten dabei als besonders vielversprechend:
- Antikörper-Cocktails kombinieren mehrere breit neutralisierende Antikörper, die verschiedene Virusvarianten gleichzeitig bekämpfen. So wird verhindert, dass HIV durch Mutationen entkommt. Eine Herausforderung bleibt die Dauer der Wirkung und die Notwendigkeit regelmässiger Behandlungen.
- CD4-mimetische Verbindungen zwingen das Virus in eine instabile, „offene“ Form, wodurch es anfälliger für Immunangriffe wird. Doch es gilt, Resistenzen zu vermeiden und eine sichere Anwendung zu gewährleisten.
Obwohl Antikörpertherapien viel Potenzial bieten, sind Kosten, Wirkdauer und Resistenzbildung Herausforderungen. Die Forschung arbeitet an Kombinationstherapien mit CRISPR-Cas und Immuntherapien, um eine langfristige Kontrolle oder Heilung zu ermöglichen.
Fazit: Fortschritte und offene Fragen
Die 34. Challenge in Infectious Diseases Kongress machte deutlich, dass die Forschung an einer Heilung von HIV weiter voranschreitet, dass aber noch wesentliche Hürden bestehen. Während Technologien wie CRISPR-Cas, Immuntherapien und Antikörpertherapien vielversprechende Ergebnisse im Labor zeigen, sind zentrale Fragen ungeklärt: Wie lassen sich diese Methoden sicher und effizient beim Menschen anwenden? Wie können Nebenwirkungen minimiert werden? Und wie lange hält die Wirkung an?
Ein zentrales Thema war die Notwendigkeit von Kombinationstherapien, da keine Einzelmethode ausreicht, um das latente Reservoir vollständig zu eliminieren. Zudem wurde betont, dass der Übergang von präklinischen Studien zu klinischen Anwendungen Zeit benötigt und durch regulatorische sowie finanzielle Faktoren beeinflusst wird.
Insgesamt zeigte das Symposium, dass die wissenschaftliche Basis für neue Therapieansätze wächst, jedoch noch langfristige Studien und weiterführende Forschung erforderlich sind, bevor eine Heilung in greifbare Nähe rückt.
Alex Schneider / März 2025
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