Die HIV-Kombinationstherapie ist ein Erfolgsmodell, man kann es nicht genug betonen. Sie wirkt, wird gut vertragen, ist einfach einzunehmen und ist zu vertretbaren Kosten in Westeuropa für alle Patienten zugänglich. Die Lebenserwartung von HIV-Patienten ist fast gleich wie bei Nichtbetroffenen. Zudem ist die Therapie für alle auch ein sehr wirksames Präventionsinstrument. Kann man auf diesem hohen Niveau noch etwas verbessern?

Roy Gulick vom Weill Cornell Medical College New York hat sich dieser Frage gestellt: Das Niveau ist zwar sehr hoch, doch das Bessere ist der Feind des Guten. Sind es nun 29 oder 30 zugelassene Medikamente, in 5 oder 6 Funktionsklassen? Man hört beide Zahlen, und beide haben ihre Richtigkeit. Es gibt europaweit bloss noch eine Handvoll Patienten, welche den Fusionsinhibitor T-20 brauchen. Vor 10 Jahren war diese teure Substanz für viele Betroffene mit Mehrfachresistenzen überlebenswichtig, heute ist sie eine Randnotiz.

Gulick verglich in seinen Ausführungen die fünf international wichtigsten Therapierichtlinien (US DHHS, IAS-USA, EACS, BHIVA und WHO 1). Diese sind sich einig wie noch selten zuvor. Alle Menschen mit HIV sollen behandelt werden. Nur die WHO möchte Prioritäten setzen für die Menschen mit CD4 unter 350. Aber womöglich will auch die WHO alle behandeln. Je nach Richtlinie gibt es insgesamt zehn empfohlene Ersttherapien. Das heisst: Zwei Nukleosidanaloga plus entweder ein Nicht-Nukleosidananlog, ein Protease- oder ein Integrasehemmer.

Wirksamkeit
Um 1995 erreichten knapp 43% der Menschen mit HIV das Ziel einer nicht nachweisbaren Viruslast. In den neusten Studien sowie in der Schweizerischen HIV-Kohorte sind es über 90%. Mehrfachresistenzen sind in der Schweiz sehr selten geworden, wir haben darüber berichtet 2. Weil das nicht überall gilt, müssen neue Substanzen gegen bekannte Resistenzen wirksam sein.

Pipeline
In Entwicklung sind im Moment neue Nukleosid- sowie Nicht-Nukleosidanaloga, neue Integrase sowie Entry-Inhibitoren in den bereits bekannten Wirkstoffklassen. Zu den neuen Klassen gehören sogenannte Attachment-Inhibitoren (gegenwärtig in Phase 3, die letzte Stufe vor einer Zulassung) sowie Maturation-Inhibitoren (gegenwärtig in Phase 2, wo die Dosierung bestimmt wird).

Verträglichkeit
Für Patienten unter Dauertherapie ist die Verträglichkeit eines der wichtigsten Themen überhaupt. Haben vor 20 Jahren noch 14% der Studienteilnehmer die damals überlebenswichtige Therapie wegen Unverträglichkeit abgebrochen, sind es in den neusten Studien noch 1-3% – und diese Patienten haben im Gegensatz zu früher Alternativen. Das altbekannte Efavirenz wirkt auch in kleineren Dosen und wird damit verträglicher, für das langfristig problematische Tenofovir kommt eine Nachfolgesubstanz mit einer viel kleineren Dosierung. In der breiteren Anwendung, ausserhalb von Studien, muss sie sich allerdings noch bewähren.
Es gibt immer wieder Versuche, für die Erhaltungstherapie, nach erfolgreichem Einleiten und Unterdrücken der Viruslast, die Substanzen von drei auf zwei oder sogar nur eine zu reduzieren. Es ist gut möglich, dass Zweierkombinationen als Erhaltungstherapien Einzug in die Richtlinien bekommen, aber es ist noch zu früh. Monotherapien werden immer wieder untersucht, sind aber aus der Sicht des Schreibenden kaum realistisch.

„Convenience“ – Dosierung
Die berüchtigte Handvoll Pillen zweimal am Tag ist zum Glück Geschichte. Für die meisten Patienten gilt heute „eine Pille pro Tag“, oder zumindest „2-3 Pillen einmal am Tag“. Hier sind in naher Zukunft, das heisst in drei bis fünf Jahren, weitere Verbesserungen zu erwarten. Wir reden hier zum Beispiel von Depotformulierungen, die alle 8-12 Wochen gespritzt werden, oder alle paar Monate über kleine Implantate verabreicht werden.

Behandlungszugang
Hatten 2010 7,5 Millionen Menschen mit HIV Zugang zu einer Therapie, waren es 2015 bereits 17 Millionen. Die Fortschritte sind enorm, doch sind wir noch nicht am Ziel. Sehr problematisch und unübersichtlich ist die Lage vor allem in Osteuropa und Zentralasien (ex Sowjetunion). Bis 90% der Patienten sind hier mit Hepatitis C ko-infiziert, viele haben zudem mehrfach resistente Tuberkulose, plus sehr viel Stigma obendrauf – ein Teufelskreis mit wenig Aussicht auf rasche Besserung.

Lebenserwartung
In der Schweizerischen HIV-Kohortenstudie hat sich die Lebenserwartung von Menschen mit HIV dramatisch verbessert. Gut ausgebildete Menschen mit HIV haben heute dieselbe Lebenserwartung wie die Normalbevölkerung. Weitere Verbesserungen sind zu erwarten. 

Schlussfolgerungen

David Haerry / November 2016

 

1 US DHHS 2016: www.aidsinfo.nih.gov; IAS USA 2016: JAMA 2016;316:191; EACS 2016, www.eacsociety.org; UK 2016, www.bhiva.org; WHO 2016: who.int/hiv/pub/guidelines/en/
https://positivrat.ch/cms/medizin/therapie/167-neues-aus-der-kohortenstudie-shcs-neues-aus-der-kohortenstudie-shcs-therapieresistenzen-sind-geschichte-1.html