HIV-Infizierte sollen ihre Therapie gleich nach der Diagnose beginnen. Das Hin und Her um den richtigen Zeitpunkt des Therapiebeginns ist definitiv beantwortet. Gesündere HIV-Patienten und weniger Neuansteckungen werden die Folge sein.  

Seit zwanzig Jahren hat sich die Kombinationstherapie zur dauerhaften Unterdrückung des HI-Virus bewährt. Ebenso alt ist die Diskussion, wann denn die Therapie am besten beginnen sollte. Galt früher mal die Devise „hit hard, hit early“, kam man angesichts der Nebenwirkungen der Medikamente wieder davon ab. Dank massiv verbesserten Therapien war es höchste Zeit für eine gross angelegte, globale Strategiestudie – die Strategic Timing of AntiRetroviral Treatment (START) – Studie.

Seit 2011 wurden 4’685 Patienten aus 35 Ländern inklusive der Schweiz in die Studie eingeschlossen. Teilnehmer mussten bei Studienbeginn HIV-infiziert sein, keine Therapie haben und ein intaktes Immunsystem mit über 500 CD4-Helferzellen aufweisen. Nach Zufallsprinzip wurden die Patienten in zwei Gruppen eingeteilt. Die Hälfte wurde sofort behandelt, bei der zweiten Gruppe wurde gewartet, bis sie entweder Aids-definierende Symptome hatten oder die CD4 unter 350 fielen. Im Mai 2015 brach das Datensicherheitskomitee die Studie vorzeitig ab: Die Vorteile der unmittelbaren Therapieaufnahme waren derart eindeutig, dass es ethisch nicht länger verantwortbar war, die Studie weiterzuführen – allen Teilnehmern wurde sofort eine Therapie angeboten. 

Die Resultate sprechen für sich: 14 schwerwiegende Ereignisse[1] in der Gruppe mit sofortigem Therapiebeginn, 50 in der zweiten Gruppe mit der verzögerten Therapie. Der Unterschied zwischen den beiden Gruppen zeigte sich bereits nach zwei Jahren und vergrösserte sich laufend. Bei den schweren nicht Aids-definierenden Ereignissen zählte man 29 Fälle in der Gruppe mit sofortigem Therapiestart, und 47 Fälle im verzögerten Arm. Todesfälle gab es 12 in der Gruppe mit sofortiger Therapie und 21 in der verzögerten Gruppe. Statistisch war der Unterschied unbedeutend – die Todesfälle waren Unfälle, Suizid oder durch Gewalt bedingt.

14 Fälle von Krebs wurden in der Gruppe mit rascher Therapie verzeichnet, 39 in der verzögerten Gruppe, insbesondere Melanome und Lymphome traten sehr viel häufiger auf. Interessanterweise spielte das grosse Thema und der eigentliche Treiber für die Studie – die Nebenwirkungen – keine Rolle, in keiner der beiden Gruppen. Das gab schliesslich den Ausschlag für den vorzeitigen Studienabbruch. Die verzögerte Therapie brachte den Teilnehmern nur Nach- und keine Vorteile. Es gab auch keine Unterschiede im Therapieerfolg bedingt durch Geschlecht, Alter, Rasse oder Wohnland. Die Vorteile der frühen Therapie waren in armen, besser gestellten und reichen Ländern genau dieselben.

Eine ganz wichtige Erkenntnis der Studie ist, dass die Höhe der CD4-Werte alleine nicht alles über den Zustand des Immunsystems sagt. Der Studienleiter Jens Lundgren aus Kopenhagen brachte es auf den Punkt: „Es scheint dass auch Menschen mit HIV und hohen CD4-Werten ein „Loch“ im Immunsystem haben.“ Die antiretrovirale Therapie füllt diese Lücken nicht vollständig, aber zum grössten Teil. Die frühe Therapie bewährt sich also nicht nur als bestes Mittel, um Menschen mit HIV gesund zu erhalten, sie ist  auch eines der wirksamsten Mittel für die Prävention.

Was bedeuten die START-Daten für die Schweiz? Die Schweizer HIV-Behandlungszentren und Schweizer HIV-Patienten haben massgeblich zu dieser wichtigen Studie beigetragen. Allerdings ist die Schweiz eines der wenigen Länder, wo eine sofortige HIV-Therapie bereits bei Diagnose und ohne Erfüllung bestimmter CD4-Kriterien möglich war. Es war dem behandelnden Arzt überlassen, die Therapie gemeinsam mit dem Patienten einzuleiten, sobald der Patient dazu bereit war. Man hat in der Schweiz also seit einiger Zeit eher früh und nur selten spät therapiert – späte Therapien sehen wir vor allem im Zusammenhang mit später Diagnose. Auf den ersten Blick ändert sich in der Schweiz also wenig.

Trotzdem ist die START-Studie auch für die Schweiz von Belang. Es kann jetzt wirklich keiner mehr kommen und behaupten, die frühe Therapie sei gefährlich und möglicherweise nicht effizient. Zum letzten Mal geschehen in einem Editorial der Swiss AIDS News, Ausgabe 1/2013. Den behandelnden Ärzten und den Schweizer HIV-Patienten geben die Resultate die endgültige Gewissheit, dass eine möglichst rasche Therapie sich für alle auszahlt. Natürlich muss weiterhin die Therapiebereitschaft mit den Patienten erarbeitet werden, denn nach wie vor heisst Therapiestart auch „Therapie lebenslänglich“. 

Die WHO hat bereits bei Bekanntgabe der ersten Studiendaten angekündigt, dass sie ihre Therapierichtlinien weltweit anpassen und die sofortige Therapie für alle empfehlen wird. (Link zu Artikel WHO)

 

David Haerry[2] / Oktober 2015


[1] Als schwerwiegende Ereignisse gelten opportunistische Infektionen, Hirntumore, Kaposi- Sarkom und Lymphome. Schwerwiegende, nicht Aids-definierende Ereignisse sind Herz-Kreislauf Erkrankungen, Nieren- und Lebererkrankungen, Leberzirrhose sowie einige Krebsarten.

[2] Der Schreibende war Mitglied des Community Advisory Boards der START-Studie von 2009 bis 2013. Das CAB war in allen Phasen von der Planung bis zur Auswertung der Studie in sämtliche Prozesse involviert.