Anfrage von Frau G.B.
Seit vielen Jahren arbeite ich in einer Firma, die ihre Angestellten durch eine kollektive Taggeldversicherung gegen Lohnausfall im Krankheitsfall während 720 Tagen versichert hat. Aufgrund meiner HIV-Infektion hatte ich in den letzten Jahren immer wieder z.T. längere Arbeitsausfälle. Die 720 Tage dürften bald erreicht sein und ich befürchte nun, dass mir die Versicherung danach keine Leistungen mehr erbringen wird. Wie ist das gesetzlich geregelt? 

Antwort von Dr. iur. Caroline Suter, Aids-Hilfe Schweiz
Um Ihnen Ihre Frage genau beantworten zu können, müsste ich die Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) des für Sie geltenden kollektiven Taggeldversicherungsvertrags sehen. 

Die AVB, welche der Genehmigung durch das Bundesamt für Privatversicherungswesen bedürfen, sind als allgemeine Geschäftsbedingungen zu verstehen und bilden den Hauptinhalt eines Versicherungsvertrags. Da das Versicherungsvertragsgesetz (VVG) selbst keine Einzelfragen regelt, ist es Sache der Versicherungsbedingungen, das Versicherungsverhältnis im Einzelnen zu ordnen. Diese Bedingungen geben insbesondere Aufschluss über die versicherte(n) Gefahr(en), den versicherten Gegenstand, über Ausschlussgründe, Versicherungsdauer, die Höhe der gegenseitigen Leistungen, etc. In Bezug auf die Leistungsdauer – die in der Regel 720 Tage beträgt – ist üblich, dass das erneute Auftreten einer Krankheit (Rückfall) hinsichtlich Leistungsdauer und Wartefrist als neuer Krankheitsfall gilt, wenn der Versicherte ihretwegen während 12 Monaten nicht arbeitsunfähig war. Dies würde in Ihrem Fall konkret bedeuten, dass die Leistungsdauer immer dann wieder neu zu laufen beginnt, wenn Sie während mehr als 12 Monaten nicht aufgrund von HIV arbeitsunfähig gewesen sind. Wie gesagt, hängt die genaue Regelung aber ganz von den konkreten AVB ab.

Vor jedem Neuabschluss einer Versicherung ist dringend zu empfehlen, sämtliche Bestimmungen der AVB sorgsam zu studieren. Insbesondere sollte ein besonderes Augenmerk auf die Punkte „Ausschlussgründe“ und „Leistungsdauer“ verwendet werden. Ist ein Versicherungsvertrag erst einmal unterschrieben, so gelten die AVB automatisch als zur Kenntnis genommen und genehmigt. 

Ausnahmen bestehen dann, wenn eine AVB-Bestimmung unklar formuliert ist. Gemäss dem Vertrauensprinzip sind unklare Formulierungen in Vertragstexten zuungunsten derjenigen Partei auszulegen, welche den Text verfasst hat (sogenannte Unklarheitsregel), also zuungunsten des Versicherers. Diese Unklarheitsregel wird in der Praxis jedoch restriktiv angewendet und darf nur dann herangezogen werden, wenn sich der wirkliche Wille der Parteien nicht aus Sinn und Wortlaut des Vertrages ermitteln lässt. Vor der Anwendung der Unklarheitsregel muss also versucht werden, Unklarheiten nach dem Vertrauensgrundsatz zu beheben. Nur wenn dies nicht gelingt, wird zugunsten des Versicherungsnehmers und/oder Anspruchsberechtigten entschieden.

 

Swiss Aids News 2, Juni 2010, www.aids.ch