EACS 2025: Neue Horizonte im Kampf gegen HIV – Von bequemeren Therapien bis zu Medikamenten der nächsten Generation
Auf der 20. Europäischen AIDS-Konferenz (EACS 2025) in Paris präsentierten Forschende eine Reihe von Erkenntnissen, die das Verständnis der HIV-Behandlung verändern könnten. Während es vor einigen Jahren noch darum ging, das Virus dauerhaft unter Kontrolle zu halten, fällt heute immer häufiger das Wort Heilung – wenn auch bislang im experimentellen Sinn.
Bild: Alex Schneider
Zwei Tabletten – und keine Stoffwechsel-Überraschungen
Die amerikanische Firma Merck stellte Ergebnisse einer Phase-3-Studie zur neuen Zweifachkombination Doravirin / Islatravir (DOR/ISL) vor. Menschen, die von ihrer bisherigen Therapie auf diese Kombination wechselten, behielten eine unterdrückte Viruslast, bei nur minimalen Veränderungen von Gewicht, Blutfetten und Blutzuckerwerten. Das ist bedeutsam, da viele Langzeitpatientinnen und -patienten über Stoffwechselveränderungen klagen. Der neue Wirkstoffkomplex scheint diese Risiken deutlich zu verringern. „Die Daten deuten darauf hin, dass DOR/ISL eine gut verträgliche und langfristig stabile Option sein könnte“, erklärten die Studienautoren.Die US-Arzneimittelbehörde FDA prüft derzeit die Zulassung. Eine Entscheidung wird im Frühjahr 2026 erwartet.
Lenacapavir: Eine neue Generation der Langzeittherapie
Für die lebhaftesten Diskussionen sorgte Lenacapavir – ein einzigartiger Kapsid-Inhibitor, der auf völlig neue Weise in den Lebenszyklus des Virus eingreift. Seine Wirkung hält ein halbes Jahr oder länger, und neue Daten zeigten, dass die Kombination Lenacapavir mit zwei breit neutralisierenden Antikörpern (bNAbs) eine ebenso starke Virusunterdrückung bewirkt wie tägliche Tabletten – bei minimalen Nebenwirkungen. Lenacapavir wird subkutan, also unter die Haut gespritzt, nur zweimal im Jahr – ein Ansatz, der sowohl medizinisch als auch psychologisch entlastet. Studien aus dem Institut Pasteur und der Universität Köln bestätigten, dass Lenacapavir nicht nur die Virusvermehrung stoppt, sondern auch das Immunsystem unterstützt, infizierte Zellen zu erkennen und zu zerstören. Parallel dazu entwickeln sich bNAbs – Antikörper, die verschiedenste HIV-Stämme neutralisieren können – rasant weiter. Einige Forschende sehen in ihnen bereits eine Brücke zwischen Therapie und zukünftiger Impfung.
Was bevorzugen die Menschen: Cabotegravir oder Lenacapavir?
Auch die britische Firma ViiV Healthcare präsentierte neue Daten. In einer Studie konnten Teilnehmende selbst entscheiden, welche HIV-Prävention sie bevorzugen:
Cabotegravir, eine bereits zugelassene Injektion alle zwei Monate, oder Lenacapavir, das nur zweimal im Jahr unter die Haut gespritzt wird. Die Mehrheit entschied sich für Cabotegravir, weil die Injektionen weniger schmerzhaft waren. Lenacapavir hingegen punktete mit seltener Anwendung und der Aussicht, eines Tages auch zur Therapie statt nur zur Prävention eingesetzt zu werden. Beide Präparate markieren eine neue Ära: eine HIV-Behandlung, die nicht mehr an Krankheit erinnert, sondern an Normalität.
„Keine tägliche Tablette, kein sichtbares Zeichen der Infektion – das ist mehr als Komfort, es ist psychologische Freiheit.“
Bild: Alex Schneider
Bekannte Therapien bleiben stark – aber nicht ohne Herausforderungen
Neben neuen Molekülen wurden auch aktuelle Daten zu bewährten Therapien vorgestellt. Fünfjährige Beobachtungen bestätigten, dass Biktarvy (Bictegravir / Emtricitabin / Tenofoviralafenamid) weiterhin zu den zuverlässigsten und sichersten Kombinationen gehört – mit stabiler Virusunterdrückung bei über 95 Prozent der Behandelten. Ganz ohne Schattenseiten ist jedoch auch die moderne Medizin nicht:
Neue Untersuchungen zeigten, dass die Injektionstherapie Cabotegravir / Rilpivirin (CAB/RPV) in seltenen Fällen zu Resistenzmutationen führen kann – etwa wenn Injektionen unregelmässig erfolgen oder das Virus kurzfristig aus der Kontrolle gerät. „Das sind Ausnahmen“, betonten Expertinnen, „aber sie erinnern uns daran, dass selbst modernste Medikamente Aufmerksamkeit und regelmässige Kontrolle brauchen.“
Der zweite Berliner Patient – und was wir von ihm lernen
Auf der Konferenz wurde über eine Geschichte gesprochen, die fast unglaublich klingt – und dennoch real ist. Ein Mann, bekannt als der „zweite Berliner Patient“, lebt seit sieben Jahren ohne HIV-Therapie. Nach einer Stammzelltransplantation gegen Leukämie ist das Virus aus seinem Körper verschwunden – vollständig. Forschende des Institut Pasteur in Paris berichteten, was diesen Fall so besonders macht: Das Immunsystem des Mannes scheint nach der Transplantation eine Art „Selbstverteidigungsmodus“ entwickelt zu haben. Seine natürlichen Killerzellen (NK-Zellen) und Antikörper arbeiteten zusammen, um infizierte Zellen aufzuspüren und zu vernichten – ein Prozess, der als antikörperabhängige zelluläre Zytotoxizität (ADCC) bekannt ist. „Wenn wir diesen Mechanismus künstlich auslösen könnten – etwa durch eine Impfung oder Immuntherapie – wäre das ein gewaltiger Schritt in Richtung Heilung“, sagte Professorin Michaela Müller-Trutwin, Immunologin aus Paris. Bemerkenswert: Weder der Patient noch sein Spender besassen jene genetischen Merkmale, die normalerweise mit HIV-Resistenz verbunden sind. Das zeigt, dass Heilung auch andere Wege gehen kann – Wege, die bisher unentdeckt waren.
Vom Überleben zum Leben
Noch ist HIV nicht heilbar – aber die Richtung hat sich geändert.
Vor zehn Jahren sprach man von einer lebenslangen Therapie. Heute sprechen Forschende von Langzeitkontrolle, funktioneller Heilung, ja sogar von Immuntrainings gegen das Virus. Die Konferenz in Paris zeigte: HIV ist kein statisches Thema mehr. Die Wissenschaft bewegt sich – und mit ihr die Hoffnung. Vielleicht wird der Weg zur Heilung nicht ein einzelnes Medikament sein, sondern eine Kombination aus Präzisionsmedizin, Antikörpern und dem eigenen Immunsystem. Was früher undenkbar war, klingt plötzlich greifbar. Das Ende von HIV ist keine Frage des „ob“, sondern des „wann“.
Alex Schneider / November 2025
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