Das ist das traurige Fazit, gezeigt am Modell mit Daten der Schweizerischen HIV-Kohortenstudie, das kürzlich am Infektiologenkongress CROI 2015 grosses Aufsehen erregte. Mit HIV und Hepatitis C koinfizierte Menschen, welche eine Therapie der Hepatitis C verzögern, haben ein erhöhtes Risiko für Leberversagen, Leberkrebs oder Tod aufgrund eines Leberschadens. Wird die Hepatitis C erst behandelt, wenn sich eine Leberzirrhose entwickelt hat, erhöht sich das Risiko für einen Tod aufgrund Leberschäden um das Fünffache. Und die Patienten sind bis zu viermal länger ansteckend. Angesichts dieser Daten sind die in der Schweiz verordneten Limitationen beim Einsatz der neuen Hepatitis-C-Therapien unverantwortlich und unhaltbar.

Eine Hepatitis–C-Infektion (HCV), die nicht spontan geheilt wird und chronisch wird, kann zu fortgeschrittenen Lebererkrankungen mit Diagnosen wie Leberzirrhose, hepatozellulären Karzinomen (Leberkrebs) und – im Endstadium – zu akutem Leberversagen führen. Meist dauert es Jahre oder Jahrzehnte, bis sich diese Krankheiten entwickeln. Bei mit HIV koinfizierten Menschen schreitet die Krankheitsentwickelung rascher fort als bei HCV-monoinfizierten Patienten. Die beiden Infektionen begünstigen sich gegenseitig. Eine erfolgreiche, rasche Hepatitis C Therapie eliminiert diese Risiken nicht völlig, aber reduziert sie deutlich.
Die bisherigen, auf Interferon basierenden HCV-Therapien wurden oft sehr schlecht vertragen, dauerten bis zu einem Jahr und waren nur in der Hälfte aller mit HCV Genotyp 1 infizierten Patienten erfolgreich. Angesichts dieser Tatsachen empfahlen die massgebenden Therapierichtlinien eine Behandlung hinauszuzögern, bis eine fortgeschrittene Lebererkrankung nachgewiesen war. Weil jetzt viel wirksamere und besser verträgliche Therapien vorhanden sind, fordern Ärzte und Patientenvertreter einen Paradigmenwechsel – alle Patienten mit einer chronischen Hepatitis C sollten so rasch wie möglich behandelt werden. Ein Modell zeigt nun, dass dies medizinisch sinnvoll ist. In der Schweiz und auch anderswo haben die hohen Kosten der Medikamente jedoch dazu geführt, dass die zuständigen Behörden die Therapie auf Patienten mit einer fortgeschrittenen Erkrankung beschränkten.

Modell mit Kohortendaten
Cindy Zahnd von der Universität Bern und ihre Kollegen von der Schweizerischen HIV-Kohortenstudie entwickelten ein mathematisches Modell, welches den Einfluss verschiedener HCV-Therapiestrategien auf das Fortschreiten der Leberfibrose bei mit HIV koinfizierten HCV-Patienten untersucht. Das Modell arbeitet mit Daten neu diagnostizierter HCV-Infektionen unter schwulen und bisexuellen Männern in der HIV-Kohortenstudie. Alle Kohorten-Patienten werden jährlich auf HCV-Antikörper und erhöhte Leberenzyme überprüft. Das Modell berücksichtigt Patienten aus allen Stadien ab akuter HCV-Infektion über „keine Fibrose“, Stadium F0; „leichte Fibrose“ F1; „moderate Fibrose“ F2; „schwere oder fortgeschrittene Fibrose“ F3 oder Leberzirrhose F4 wie auch dekompensierende Leber (Leberversagen), Leberkrebs und Tod. Die Forscher setzten voraus, dass das Alter der Patienten beim Zeitpunkt der Infektion und Alkoholkonsum den Krankheitsverlauf beeinflussen.
Das Modell geht weiter davon aus, dass im ursprünglichen Szenario mit den alten Therapien 60% der Patienten mit pegyliertem Interferon und Ribavirin behandelt wurden und diese Therapie bei 40% der Patienten erfolgreich war. Bei den neuen, interferonfreien Therapien ging man von Behandlungsraten von 100% aus, welche in 90% aller Fälle erfolgreich verläuft. Die Risiken von Lebererkrankungen und Tod wurden bewertet, wie auch die Dauer der Infektiosität (definiert als nachweisbare Hepatitis-C-Viruslast). Diese Szenarien wurden verglichen mit verschiedenen Therapiestrategien – Behandlung innert eines Monats nach Diagnose (was nicht dem Zeitpunkt der Ansteckung entspricht), ein Jahr nach der Diagnose oder bei Lebererkrankungsstadium F2, F3 oder F4. Das Risiko einer HCV-Reinfektion nach erfolgreicher Therapie wurde nicht berücksichtigt.

Frühe Therapien verhindern Todesfälle…
Im Ausgangsszenarium (Interferon-basierende Therapien) entwickelten ungefähr 10% der Patienten eine dekompensierende Leber, mehr als 15% entwickelten ein Leberkarzinom und mehr als 25% starben an leberbedingten Komplikationen. Mit den neuen Therapien und einer raschen Behandlung innerhalb eines Monats oder einem Jahr nach Diagnose werden die Proportionen dramatisch reduziert – nur etwa 1% der Patienten entwickeln eine dekompensierende Leber, nur etwa 2% ein Leberkarzinom und nur ca. 3% sterben an leberbedingten Komplikationen.

…und Neuansteckungen
Wird der Therapiebeginn auf die Lebererkrankungsstadien F2 oder F3 verzögert, steigen die Risiken von Lebererkrankungen und Todesfall an. Ein steiler Anstieg der Risiken zeigt sich bei einer Therapieverzögerung auf das Stadium F4. Bei Behandlungsbeginn im Stadium F3 zeigen 3% der Patienten eine dekompensierende Leber, die Leberkrebsrate steigt auf 8% und leberbedingte Todesfälle betragen 10%. Bei Therapiebeginn im Stadium F4 verschlechtern sich diese Werte auf 5%, 20% und 25%. Wird die Therapie von F2 auf F3 verschoben, verdoppelt sich die Rate von leberbedingten Todesfällen von 5% auf 10%; verschiebt man die Therapie auf F4, verfünffacht sich das Risiko auf 25%.

Innerhalb eines Monats bis einem Jahr behandelte Patienten können HCV im Durchschnitt während ca. 5 Jahren übertragen. Setzt die Behandlung bei F2 ein, sind sie während 12 Jahren infektiös, mehr als 15 Jahre bei F3 und fast 20 Jahre bei einer Therapie im Stadium F4. Cindy Zahnd betonte, dass zwischen den raschen Behandlungsstrategien innerhalb eines Monats oder einem Jahr nach Diagnose kaum ein Unterschied festzumachen ist. Behandlungsverzögerungen in die Stadien F2, F3 oder F4 jedoch machen wirklich etwas aus.

Trotz Heilung: Risiko Leberkrebs erhöht
Das Risiko einer dekompensierenden Leber, Leberkrebs oder leberbedingtem Tod sinkt auch bei erfolgter Heilung nicht auf Null. Diese Risiken steigen bei verzögerter Therapie zudem stark an. Die Mehrheit der leberbedingten Todesfälle findet nach erfolgter Heilung statt, wenn der Therapiebeginn auf die Stadien F3 oder F4 verzögert wird.

Der an der Studie beteiligte Hansjakob Furrer vom Inselspital in Bern betonte denn auch nach der Präsentation von Cindy Zahnd dass die Studie aus genau diesem Grund durchgeführt wurde. „Wir verwenden die Daten für Gespräche mit dem BAG. Diese Verhandlungen werden durch die klare Datenlage erleichtert – alles spricht für eine frühere Behandlung der HCV Patienten“.

Die gegenwärtig verfügten Limitationen des Bundesamtes für Gesundheit verzögern die Behandlung auf F3 oder F4, mit nur wenigen Ausnahmen. Die Alarmglocken läuten – wir hoffen, sie werden gehört. Menschen mit HIV Ko-Infektionen sollten sofort von Therapien profitieren können. Zudem: Eine rechtzeitige Therapie der Patienten führt zu einer Volumenausweitung. Unter dieser Voraussetzung sollten die Behörden Preisreduktionen mit den Herstellerfirmen aushandeln können. Andere Länder machen das vor. Aus Public-Health- und aus der Patienten-Perspektive ist die gegenwärtige Situation unhaltbar.

Zahnd C et al. Impact of deferring HCV treatment on liver-related events in HIV+ patients. 2015 Conference on Retroviruses and Opportunistic Infections (CROI), Seattle, abstract 150, 2015; http://www.croiconference.org/sessions/impact-deferring-hcv-treatment-liver-related-events-hiv-patients
Autor: David Haerry