Skandal in Grossbritannien

Ein riesiger Skandal um mit HIV und Hepatitis-C verseuchte Blutkonserven erschüttert Grossbritannien. Mehr als 2’500 Seiten lang ist der Bericht, der nach einer fünfjährigen Untersuchung unter dem Vorsitz von Sir Brian Langstaff erstellt wurde. Der Bericht untersucht das Schicksal von 30’000 Menschen, die zwischen den 1970er und den frühen 90er Jahren mit verseuchtem Blut infiziert wurden. Etwa 3’000 der Betroffenen sind bisher gestorben. Es handelt sich dabei um den grössten Skandal in der Geschichte des nationalen Gesundheitssystems NHS.

Der Untersuchungsleiter sagte am Montag, die Katastrophe hätte „weitgehend, wenn auch nicht vollständig, vermieden werden können“. Verursacht wurden die Ansteckungen durch Transfusionen während chirurgischer Eingriffe oder durch Blutplasmaprodukte, die aus den USA zur Behandlung von Hämophilen importiert wurden.

Der Bericht enthält eine ganze Reihe von Beispielen für nicht beachtete Warnungen. Kliniker und Minister wurden über die Risiken aufgeklärt, aber die Patienten wurden belogen und bei Versuchen, die ohne ihre Zustimmung oder, im Falle von Kindern, die ihrer Eltern durchgeführt wurden, infiziert. Es gab auch Verzögerungen bei der Information der Patienten über ihre Infektionen, die sich in einigen Fällen über viele Jahre hinzogen.

Den Skandal verschlimmert haben die jahrelangen Weigerungen der Verantwortlichen, das begangene Unrecht anzuerkennen. Mehr noch, die Betroffenen wurden regelrecht belogen. Die britische Regierung behauptete wiederholt, dass die Menschen die beste verfügbare Behandlung erhielten und dass mit der Untersuchung von Blutspenden begonnen wurde, sobald die Technologie verfügbar war. Beide Behauptungen waren platte Lügen.

Unter Tausenden von tragischen Geschichten sticht die Verwendung von Kindern als „Forschungsobjekte“ an der Treolar-Schule in Hampshire hervor. Die Treolar-Schule war eine spezielle Ausbildungsstätte für mit der Bluterkrankheit lebende Personen. Von den 122 Betroffenen, welche die Schule zwischen 1970 und 1987 besuchten, haben bloss 30 überlebt.

Die Regierung hat angekündigt, die überlebenden Betroffenen innert 90 Tagen mit 210‘000 Pfund zu entschädigen. Das entspricht 244‘000 Schweizer Franken.

Ähnliche Skandale gab es weltweit. Am bekanntesten ist wohl der 1999 aufgedeckte Skandal in Frankreich mit 4‘000 Betroffenen. Auch in der Schweiz wurden bis Mai 1986 nicht auf HIV getestete Blutprodukte verarbeitet und an Hämophile abgegeben, obwohl die ersten HIV-Tests schon 1984 eingeführt worden waren. 1998 wurde der ehemalige Direktor des Zentrallabors des Schweizerischen Roten Kreuzes, Alfred Hässig, zu einer bedingten Gefängnisstrafe von zwölf Monaten verurteilt.

Der englische Skandal dürfte aber weltweit einzigartig sein – sowohl in der Dimension und weil bis in die 1990-er Jahre ungeprüfte Blutprodukte verwendet wurden. Auch was die Vertuschung anbelangt, schlägt Grossbritannien alles bisher Gesehene.

David Haerry / Mai 2024

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