Rückblick zu den Anfängen der Aids-Politik in Basel 

Am Vorabend des Welt-Aids-Tages blickten wir in Basel mit dem Screening von «The Nomi Song» und einem Podium auf die Anfänge der lokalen Aids-Politik 40 Jahre zurück. 40 Jahre, die die Jüngeren nur aus Erzählungen kennen. «Das Podiumsgespräch war für mich ein Flashback in jeder Beziehung», so eine der Rückmeldungen, die uns erreichten. Im Zentrum der Diskussion: Wie waren diese Zeiten, als Aktivisten der 80er aus der Aids-Arbeitsgruppe der homosexuellen Arbeitsgruppen Basel (habs) heraus die lokale Aidshilfe gründeten?

Um diese Zeit wach zu halten, hatten habs queer basel, die Aidshilfe beider Basel und GayBasel gemeinsam zum Abend ins Stadtkino geladen. Auch eher «seltene» Gesichter füllten den Saal bis fast auf den letzten Platz. Ob viele Jüngere wegen des Schmuddelwetters fernblieben? Oder: Was bräuchte es für die «Generation Z» in queer(feministischen) Zeiten, dass zum «eigenen» Emanzipationsverständnis auch «schwule» Emanzipationsgeschichte von Interesse ist? Welche Geschichten erzählen wir?

Mit einem persönlichen Einstieg erinnerte ich an «meine» 80er: Ich hörte Nomi auf Kassetten, war fasziniert von der Musik des Countertenors. Ein Weg zu Aufbruch und Befreiung? Gleichzeitig blieb zu vieles hängen, an der Rede von «Schwulenpest» und «gerechter Strafe Gottes». So wollte ich nicht sein. Ein gewichtiger Grund, dass mein Coming-Out in weite Ferne rückte. Noch 1985 wurde in Bayern, wo Nomi seine ersten Lebensjahre verbrachte, diskutiert, Aidskranke in Heimen zu internieren und Schwulenclubs zu schließen. Im selben Jahr empfiehlt der Direktor des Schweizer Bundesamtes für Gesundheitswesen das Bibelstudium gegen Aids.

Klaus Nomi, der mit Falsettstimme und extravagantem Look als New-Wave-Künstler im New Yorker Underground in den 70ern Oper mit Rock und Pop verband, unnahbarer «Ausserirdischer» auf der Bühne, als Konditor beliebt für Zitronenkuchen und Linzer-Torte, mit denen er nicht nur das Guggenheim-Museum belieferte, starb 1983 mit 39 Jahren an Aids. Queer würden wir ihn heute labeln. Wobei Fragen von Rolle und Identität schillernd verschwimmen und auch durch die Doku, 2004 als «Best Documentary» mit dem Teddy-Award ausgezeichnet, nicht ganz aufgeklärt werden konnten. Den Underground liess Nomi auf dem Weg zu internationalem Ruhm zurück. Viele einstige Begleiter*innen, die in der Doku zur Stimme kommen, auch. Doch zum Durchbruch reichte es nicht. Als einer der ersten Prominenten erlag er der damals noch weitgehend unbekannten Krankheit. Nur wenige Monate nachdem die Verursachung von Aids durch einen Virus erstmalig in Science behauptet wurde.

In diesen Monaten formierte sich in Basel die Aids-Gruppe der habs. Die Aktivisten der 1972 gegründeten «homosexuellen Arbeitsgruppen» – damals praktisch ausschliesslich schwule und bisexuelle Männer – waren noch mitten im Kampf um sexuelle Selbstbestimmung, als anfangs 80er das gewonnene Selbstbewusstsein von der noch unerforschten Krankheit bedroht wurde: bezüglich des Zusammenlebens unter Schwulen, aber auch im Kampf um gesellschaftliche Deutungshoheiten.

Bruno Suter, Mitglied der Aids-Gruppe der habs, betonte, dass die Gruppe nicht nur beratend Verantwortung übernehmen wollte; in der Telefonberatung der habs wurde Aids zum zentralen Thema, so auch von ungeouteten Familienvätern, die Angst vor einer Infektion hatten. Es ging zugleich um schweizweites Lobbying in der «hach», dem damaligen Zusammenschluss der «HA»-Gruppen. Und es ging darum, wie die lokale Zusammenarbeit z.B. mit dem Uni-Spital und der dort eingerichteten Aids-Meldestelle erfolgen sollte. Immer auch war die Gruppe ein Stück weit Selbsthilfe: Wie Solidarität mit Erkrankten leben, wie überhaupt noch Sex haben, in Zeiten von Unsicherheit und potenziell eigener Betroffenheit, in Zeiten, als es noch keine Testmöglichkeiten gab?

Auszug aus dem Protokoll der habs-Vollversammlung vom 23.06.1983, in dem Aids erstmalig (in den vorhandenen Protokollen) erwähnt wurde. Weiter heisst es: «Wir bilden eine Gruppe, die sich speziell mit Aids beschäftigen wird: Strategien, Ideen, Koordination.»

Ein Subventionsgesuch von 1985 hatte Erfolg: 1986 konnte die Aidshilfe beider Basel (AHbB) gegründet werden. Deren Gründungspräsident, Marcello Schumacher, erinnerte an Herausforderungen wie Positives ab Mitte der 1980er-Jahre. An Zeiten, da alle Tests noch in die USA geschickt werden mussten, so dass es Wochen dauerte, bis der Verdacht womöglich der Sicherheit wich, ein tödliches Virus in sich zu tragen. Dennoch gelang es, dass der Präventionsdiskurs in der Schweiz nicht angstbetont geführt wurde, sondern dass mit der Stop-Aids-Kampagne ab 1987 die Aufklärung im Fokus stand.

Mit Dario Stagno war auch der heutige Präsident der AHbB in der Runde. Wir diskutierten, welche Erkenntnisse von einst auf heute übertragbar sind: Wer trägt welche Verantwortung bezüglich steigender STI-Fallzahlen? Gibt es hier Formen spezifischer Verantwortung bei MSM oder gar «der» Community der MSM? Gibt es genug Testangebote? Müssten sie, wie beispielsweise in Frankreich, auch finanziell leichter zugänglich werden? Welche Akteure politisieren hierfür? Professionalisierte Aidshilfen, Gruppen wie habs, haz oder hab, Sexuelle Gesundheit Schweiz, Public Health Schweiz – und wie die Betroffenen selbst?

Was bleibt? Sexuelle Gesundheit ist im Spannungsfeld von sexueller Selbstbestimmung, individuellen Selbstverständnissen und gesellschaftlicher Verantwortungsübernahme auch 2023 noch relevant. Und gerade, weil simple Verantwortungszuschreibungen einer komplexen Realität nicht gerecht werden können, lohnt der Blick, wie emanzipatorische Politik heute vorangebracht werden könnte. Liegt ein Schlüssel im Bewusstsein von «eigener» Emanzipationsgeschichte? Dazu könnten Anlässe rund um den Welt-Aids-Tag durchaus beitragen. Doch bleibt die Frage, wessen Geschichten das sind, die 40 Jahre zurückliegen, wer bereit ist, sie sich zu «eigen» zu machen – und machen zu wollen. Jedenfalls gibt es genug Stoff für weitere Veranstaltungen! Dass es sich lohnt, diese mit verschiedenen Organisationen gemeinsam zu organisieren, hat der Abend rund um Nomi und Aids in den frühen 80ern jedenfalls gezeigt.

Axel Schubert

Mitglied von AHbB und habs, Initiator und Moderator des Abends

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