2012 hat die amerikanische Zulassungsbehörde FDA das Therapiemedikament Truvada zur Prä-Expositionsprophylaxe von HIV zugelassen (Pillen davor, statt viele oder gar endlos Pillen danach). Die Erfahrungen der Amerikaner sind gut. Kurz vor der CROI 2015 wurden zwei europäische PrEP-Studien vorzeitig abgebrochen – weil die Intervention so erfolgreich war, dass man den Patienten in den Studienarmen ohne PrEP das Medikament aus ethischen Gründen nicht länger vorenthalten konnte.

Die Post-Expositionsprophylaxe PEP nach ungeschütztem Geschlechtsverkehr ist in Europa und der Schweiz seit vielen Jahren selbstverständlich. Die entsprechenden Richtlinien wurden in der Schweiz 2014 angepasst, die Kosten für einen Monat Therapie werden von der Grundversicherung übernommen.

Die Geschichte der PrEP, der Pille davor, ist lang. Seit mehr als 10 Jahren weiss man, dass sie zumindest funktionieren könnte. Unglaublich aufwendige Studien wurden mit amerikanischen Geldern – öffentlichen und aus privaten Stiftungen (Gates und Ford Foundation) vor allem in Afrika, Lateinamerika und Asien, aber auch in San Francisco durchgeführt. Die Resultate waren unterschiedlich, doch sie zeigten eines deutlich: Wenn die Pille geschluckt wird, wirkt sie auch. Eigentlich eine banale Erkenntnis. Aufgrund dieser Tatsache hat das FDA die Zulassung im Jahr 2012 durchgesetzt (das FDA ist mächtig und kann eine Zulassung verfügen; die europäischen und die Schweizer Behörden müssen warten, bis eine Firma ein Geschäft wittert und die Zulassung beantragt). Trotz dem schlechten Ruf des amerikanischen Gesundheitssystems funktioniert auch die Kostenübernahme offenbar gut – die Krankenversicherungen machen mit, und wo nicht vorhanden springen Hilfsprogramme ein. Interessant ist auch die Tatsache, dass in den USA die PrEP sehr oft bei Heteropaaren mit Kinderwunsch eingesetzt wird. In der Schweiz würde man einfach den HIV-positiven Partner therapieren, und damit basta.

Aus glatter Verzweiflung über die sehr hohen Neuansteckungsraten bei schwulen Männern haben die Engländer und die Franzosen die bereits erwähnten PrEP-Studien durchgeführt. Die Engländer verglichen in der PROUD-Studie sofortige PrEP mit dem um ein Jahr verzögerten PrEP Einsatz bei schwulen Männern mit hohem Risikoverhalten (Patienten, die wegen Geschlechtskrankheiten spezialisierte Kliniken aufsuchten). Trotz häufigem Einsatz von PEP im verzögerten Arm steckten sich derart viele Männer an, dass die Studie vorzeitig abgebrochen wurde und PrEP an alle Studienteilnehmer abgegeben wurde. Es brauchte 13 therapierte Männer, um eine Neuansteckung zu verhindern. Der deutsche Filmemacher Nicholas Feustel hat eben einen ausgezeichneten Dokumentarfilm zur PROUD-Studie publiziert (in englischer Sprache, aber sehr gut verständlich): https://vimeo.com/132412294

Die Studienanlage war bei den Franzosen etwas anders: Die IPERGAY-Studie rekrutierte schwule Männer, welche innert 6 Monaten mehr als zwei Mal ungeschützten Analverkehr hatten, und man verglich den Einsatz von Truvada als PrEP gegen ein Placebo (Tablette ohne Wirkung) und Präventionsberatung. Ungewöhnlich das Therapieschema der Franzosen: statt Truvada jeden Tag wie Ovomaltine gab es Truvada nur bei Bedarf, wenn Sex geplant war, 4 Pillen insgesamt (zwei davor; einen Tag bis zwei Stunden vor dem Sex; zwei weitere danach, nach 24 und 48 Stunden). Das senkt die Kosten, aber auch die Nebenwirkungen einer Dauertherapie deutlich und sollte auch eine bessere Therapietreue bewirken. Und siehe da: die Resultate der Franzosen waren genau gleich gut wie jene der Engländer, und die Studie wurden wegen Erfolgs vorzeitig abgebrochen.

Erstaunlich ist die Tatsache, dass es nur zwei kleine, vergleichsweise billige Studien brauchte, um die bestehenden Vorurteile gegenüber PrEP über den Haufen zu werfen. Man fragt sich angesichts der riesigen, Hunderte Millionen Dollar verschlingenden Studien im Süden, warum das nicht früher geschah. Doch seien wir nicht kleinlich, wir haben jetzt die Daten, endlich. Aber wie geht es weiter? Truvada hat in Europa nach wie vor keine Zulassung der Behörden für den Einsatz in der Prävention. Weil diese fehlt, übernimmt auch kein System die Kosten. In der Schweiz wissen wir von einigen Ärzten, die bei Bedarf PrEP verschreiben. Die Patienten gehen mit dem Rezept über die Grenze, holen dort ihre Pillen weil sie billiger sind und bezahlen selbst.

Weil das kein Dauerzustand sein kann, hat sich die Arbeitsgruppe Therapie der Eidgenössischen Kommission für sexuelle Gesundheit EKSG (früher EKAF) dem Thema angenommen. Von der Truvada Herstellerfirma Gilead wissen wir, dass sie bei der europäischen Behörde eine Zulassung plant und in der Schweiz dasselbe möglich ist. Die Arbeitsgruppe der Kommission wird nochmals die veröffentlichten Daten begutachten und ihre Bedeutung für die Schweiz beurteilen. Man muss sich gut überlegen, für welche Zielgruppe die PrEP kostenwirksam eingesetzt werden kann, wer die PrEP verschreiben soll, wie man die Therapie bei gesunden Menschen überwacht und schlussendlich wer das bezahlen soll. Wenn alles gut geht, erwarten wir eine Empfehlung per Ende 2015. Auch nach dem EKAF-Statement bleibt es spannend in der Prävention. Komplizierter wird es auch, aber das soll uns nicht weiter stören.

Auch wenn PrEP teurer ist als ein Kondom: Die Intervention ist auch wirksamer als der Gummi und ein weiterer, wichtiger Pfeil im Köcher der Prävention.

David Haerry