Diese Nachricht hat die Debatte um das „chemische Kondom“ weltweit neu entfacht: Ein beratendes Gremium der amerikanischen Zulassungsbehörde FDA empfiehlt die Zulassung des HIV-Medikamentes Truvada als Prä-Expositionsprophylaxe.

Das Antiviral Drugs Advisory Committee (ADAC) der FDA empfiehlt die Zulassung von Truvada als Prä-Expositionsprophylaxe (PrEP) für schwule Männer mit 19 gegen 3 Stimmen, und mit 19 gegen 2 für die Benutzung in serodiskordanten Beziehungen. Mit einer dritten Abstimung empfiehlt das ADAC mit 12 gegen 8 Stimmen, Truvada für den generellen Gebrauch für alle Menschen mit hohem HIV-Risiko zuzulassen. Das FDA muss den Empfehlungen dieses beratenden Gremiums nicht Folge leisten. Eine definitive Entscheidung wird per 15. Juni erwartet. Ein Entscheid gegen die Empfehlung des ADAC ist aber angesichts der dortigen Stimmenverhältnisse sehr unwahrscheinlich.  

Jubel und Kritik
PrEP hat die Gemüter schon immer erregt. Das zeigt sich jetzt erneut. Die Reaktionen reichen von Hurrageschrei über Sorgenfalten bis zu Verständnislosigkeit. Bereits die Studien wurden seinerzeit massiv kritisiert und teilweise sogar abgebrochen. Die damalige Kritik war zum Teil berechtigt, aber stark übertrieben – sie hat letztlich einfach die Forschung verzögert. Es war nicht einfach, Präventionsstudien mit antiretroviralen Medikamenten in Ländern durchzuführen, wo nicht alle HIV-Patienten Zugang zu einer Therapie haben. Wegen der hohen Zahl von Neuinfektionen in genau diesen Ländern meinten die Sponsoren aber sie hätten eine moralische Pflicht, Präventionsstudien durchzuführen. Auch darüber kann man sich streiten.  

Das ADAC beruft sich auf Daten, die seit dem 23. November 2010 öffentlich sind. Die damalige Eidgenössische Kommission für Aidsfragen EKAF hat sich gleichentags wie folgt vernehmen lassen:  

„Die Eidg. Kommission für AIDS Fragen (EKAF) hat am 24.11.10 die Studienresultate (Grant et al, NEJM 23.11.10, online) der ersten Publikation zur Wirksamkeit einer täglich eingenommen HIV-Zweierkombination (PrEP) zur Prävention der HIV-Infektion gemeinsam mit Experten der Fachkommission Klinik und Therapie HIV/AIDS diskutiert und gewürdigt.  

Die Kommissionen kommen zum Schluss, dass die mässige Wirksamkeit der hier untersuchten Dauerbehandlung zur PrEP keine Änderung der Präventionsstrategie notwendig macht. Die Nebenwirkungen, der hohe Preis und das Risiko der Entstehung von resistenten HIV-Stämmen stehen in keinem Verhältnis zum mässigen Nutzen der Behandlung.“  

Die Therapietreue macht den Unterschied
Seit November 2010 ist aber in der HIV-Präventionsforschung einiges passiert, und die vielen zum Teil widersprüchlichen Erkenntnisse sind mit ein Grund für die erneuten Diskussionen. Verschiedene PrEP Studien haben in den letzten 18 Monaten widersprüchliche Daten publiziert – iPREX, FEM-PrEP, Partners PrEP und TDF2 zeigten eine Wirksamkeit von 0 (FEM-PrEP) bis 83% (für Männer in Partners PrEP). Nachfolgende Analysen zeigten, dass diese Resultate durch unterschiedliche Adhärenz bedingt sind. In der iPREX Studien war die Wirksamkeit von PrEP 92% bei jenen Studienteilnehmern, welche nachweisbare Medikamentenspiegel im Blut hatten. Damit ist klar, dass die Adhärenz für die Wirksamkeit von PrEP eine ganz entscheidende Rolle spielt. Aber eigentlich ist das ja eine Binsenwahrheit. Wo Pillen nicht genommen werden, können sie nicht wirken…

Das liebe Geld
Man macht sich auch Sorgen wegen der Kosten. Die Monatspackung Truvada kostet in der Schweiz Fr. 1’029.90. Wer kann sich das leisten? Was meinen die Krankenkassen, das zuständige Bundesamt? Man wird sich auch in der Schweiz mit dieser Frage noch befassen müssen. Eine HIV-Infektion verursacht Kosten von ca. einer Million Franken. Wenn eine Person eine wilde Phase von zwei, drei Jahren hat und sich nicht auf Kondome verlassen kann, könnte sich die Investition wohl lohnen. In den Entwicklungsländern sieht die Rechnung anders aus – es würden deutlich billigere generische Versionen eingesetzt.

Bis jetzt wurde die Wirkung von PrEP nur in Studien mit täglicher Dosierung untersucht. IPERGAY in Frankreich untersucht die Wirkung von Truvada wenn das Medikament bloss vor und nach dem Sex eingenommen wird. Falls diese Strategie funktioniert, reduzieren sich die Kosten deutlich. Allerdings sei hier gleich bemerkt, dass es auch bei einem solchen sogenannt intermittierenden Einsatz mit der Adhärenz nicht einfach wird.

Gibt es Alternativen?
Von grossem Interesse wäre auch die Verwendung anderer Substanzen. Truvada ist eines der meistverwendeten Medikamente in der HIV-Therapie. Truvada hat bekannte Nebenwirkungen im Dauergebrauch, und die Gefahr von Resistenzbildungen ist auch nicht zu unterschätzen. Sehr gerne wüsste man, ob sich besser verträgliche Substanzen bei intermittierender Abgabe bewähren würden – offensichtliche Kandidaten sind CCR5-Inhibitoren wie Maraviroc oder Integraseinhibitoren wie Raltegravir. Raltegravir könnte unter Umständen auch als Pille danach wirken. Viele gute Argumente und intensives Lobbying haben aber bisher nichts gefruchtet.

Voläufiges Fazit
Halten wir also fest: