PrEP für Frauen?

Dieser Beitrag unserer Gastautorin Angela Lagler wiederspiegelt ihre Einschätzungen zum Thema.

Dank Corona wächst die Szene des Casual-Datings zurzeit stark an. 20 Minuten titelt «Superspreader-Events verhelfen Casual Dating Portal zu Traumzahlen»1. Wenn also immer mehr Frauen beiläufigen Sex suchen, sollte die Möglichkeit einer Prä-Expositions-Prophylaxe (PrEP) in Betracht gezogen werden.

Eine an der CROI 2018 vorgestellte Meta-Studie2 besagt, dass während der Schwangerschaft ein fast drei Mal höheres Risiko besteht mit HIV infiziert zu werden. In den ersten sechs Monaten nach der Geburt ist das Risiko gar vier Mal höher. Die «Partners PrEP Study» (2011 Kenia/Uganda) wurde mit 4.758 diskordanten Paaren (ein Partner HIV-positiv und ein Partner HIV-negativ) durchgeführt. Sie gilt als entscheidender Beleg für die Wirksamkeit der PrEP gegen eine heterosexuelle HIV-Übertragung3. Deshalb sollte die PrEP im Fall einer Schwangerschaft weiter genommen werden, auch in Anbetracht, dass eine HIV-Neuinfektion eine hohe Virenlast aufweist und eine Übertragung auf das Kind wahrscheinlicher wird.
Ich wollte wissen, warum die Infektionsgefahr während und nach der Schwangerschaft erhöht ist und fragte bei einem jungen Infektiologen nach. Er konnte es mir nicht erklären und wusste auch nicht, dass die PrEP bei Frauen angewendet werden kann. Erstaunlich, da bereits diverse Studien zum Thema gemacht wurden. Im Juni 2018 kam die deutsch-österreichische PrEP-Leitlinie für Ärztinnen und Ärzte heraus4. Sie inkludiert alle Menschen und fordert, dass das epidemiologische oder das individuelle Risiko zu definieren. Doch wenn hierzulande über PrEP berichtet wird, dann im Zusammenhang mit Männern, die Sex mit Männern haben. Sie haben ein epidemiologisches Risiko. Es wird Zeit, dass wir die Frauen und Hetero-Männer auch ins Visier nehmen. Bei Frauen, die kein epidemiologisches Risiko haben, wird nicht ihr eigenes Sexualverhalten erfragt, sondern der Fokus liegt auf dem Sexualpartner. Ist er z. B. bisexuell? Man scheint Angst zu haben die Frau zu stigmatisieren, anstatt selbstverständlich über die Sache zu sprechen, die die meisten Menschen dieser Welt praktizieren. Das Wissen über PrEP muss zu den Frauen gelangen, damit jede Person ihr individuelles Risiko einschätzen kann, ob eine PrEP sinnvoll ist oder nicht. Eine PrEP-Userin sagt in einem Interview: «Die PrEP ist für mich Mittel zum selbstständigen Schutz meiner sexuellen Gesundheit, unabhängig von Männern oder Partnern. Das ist vielleicht vergleichbar mit der Anti-Baby-Pille, die seit den 1960er-Jahren zur Selbstbestimmung von Frauen beiträgt».5

Für Frauen, die Vaginalverkehr ohne Kondom praktizieren, wird nur die tägliche PrEP empfohlen. Die Empfehlungen reichen von 21 – 3 Tage vor dem Vaginalverkehr zu beginnen. Die deutsch-österreichische PrEP-Leitlinie empfiehlt 7 Tage. Beim Analverkehr ist der Wirkstoffspiegel bereits nach 2 Tagen erreicht.
Die gängige PrEP wird mit den Wirkstoffen Tenofovir (TDF) und Emtricitabin (FTC) verschrieben. Bei Männern wurde die Infektionsrate gemäss iPrEx-Studie mit nur zwei Tabletten pro Woche bereits um 90% reduziert6. Frauen hingegen müssen täglich eine Dosis einnehmen, um den gleichen Schutz zu erreichen und dürfen keine Tablette vergessen. Da zeigt sich, dass die Kombination TDF/FTC für Frauen keine optimale PrEP zu sein scheint. Zudem sollten Frauen nach dem letzten Vaginalverkehr die PrEP noch Tage weiter nehmen. Auch hier liegen die Empfehlungen zwischen 7 – 28 Tage (Analverkehr 2 Tage). Die unterschiedlichen Empfehlungen zeigen, dass noch viel Forschung benötigt wird für die Anwendung bei Frauen. Die PrEP «on demand» (bei Bedarf) wurde nur bei Männern überprüft, die Sex mit Männern haben und ist deshalb nur für Analverkehr belegt.

Positiv zu werten ist, dass keine Toxizität bei Schwangerschaft für das Kind bei Einnahme von TDF/FTC besteht und auch keine Wechselwirkungen mit anderen Substanzen beobachtet wurden. Das heisst, die PrEP kann gut kombiniert werden (Antibabypille, Hormonersatztherapie usw.). TDF/FTC gilt als gut verträgliches HIV-Medikament. Anfängliche mögliche Nebenwirkungen wie Kopfschmerzen oder Schwindel verschwinden oder werden nach den ersten Wochen der Einnahme besser6.
Vielversprechend scheint die 2-Monatsspritze mit Cabotegravir zu sein. Vor drei Jahren wurde die Studie in Botswana, Kenia, Malawi, Südafrika, Eswatini, Uganda und Simbabwe gestartet. An der Studie nahmen über 3200 Frauen im Alter zwischen 18 und 45 Jahren teil, die ein höheres Risiko hatten, sich mit HIV zu infizieren. Die Studie zeigt, dass die langwirksamen Injektionen bei Frauen um 89% wirksamer waren als die täglichen Tabletten7.
PrEP für die Frau ist nicht nur dann sinnvoll, wenn die Herkunft auf ein epidemiologisches Risiko schliesst (z. B. Subsahara), sondern auch wenn eine Frau es individuell als passend für ihre sexuelle Gesundheit erachtet.

 

Angela Lagler / November 2020

 

Kommentar David Haerry

Die eben abgebrochene HPTN084-Studie zeigt uns in Süd- und Ostafrika, wie eine PrEP für Frauen funktionieren könnte. Die bisher in der PrEP verwendeten Substanzen Tenofovir und Emtricitabin sind für Frauen aus zwei Gründen nicht optimal: Erstens muss die PrEP sieben Tage lang eingeleitet werden, bis in der Vagina eine genügend hohe Schutzwirkung aufgebaut ist. Danach muss die PrEP auch wirklich täglich genommen werden, solange der Schutz erwünscht ist. Und zweitens spricht das bekannte Nebenwirkungsprofil von Tenofovir/Emtricitabin mit Auswirkungen auf die Knochendichte eher gegen eine allzulange Daueranwendung.

Die Autorin plädiert für einen sehr unkomplizierten Umgang mit der PrEP für Frauen und schreibt, dass Frauen selber entscheiden sollen, wenn sie diesen Schutz wollen. Auch wenn das richtig ist, wird man die Diskussion mit interessierten Frauen führen müssen, wo, wann und unter welchen Umständen eine PrEP in welcher Formulierung wirklich Sinn macht. Auch bei den schwulen Männern, welche die PrEP bereits nutzen, haben wir uns darauf verständigt, dass ein hohes Ansteckungsrisiko bestehen muss, damit eine PrEP angezeigt ist. Die PrEP mit der Depotspritze hat einen kleinen, doch vielleicht entscheidenden Nachteil: Man kann sie nicht einfach abbrechen, wenn man keine Lust mehr hat. Cabotegravir bleibt sehr lange nachweisbar, und damit entsteht ein relativ hohes Risiko einer Resistenzbildung, falls nach Abbruch eine Ansteckung erfolgt. Damit ist die gespritzte PrEP eine langfristige Entscheidung, welche nur kontrolliert rückgängig gemacht werden kann.

 

1. 20 Minuten. 2020. https://cp.20min.ch/de/stories/1462-superspreader-events-verhelfen-casual-dating-portal-zu-traumzahlen

2. CROI 18 vorgestellte Meta-Studie. https://www.frauenundhiv.info/aktuelles/studie-hoeheres-hiv-risiko-bei-frauen-der-schwangerschaft-und-nach-der-geburt

3. Partners PrEP Study. 2011. https://www.hivandmore.de/kongresse/ias2011/Partner_PrEP_Studie.shtml

4. Deutsch-österreichische PrEP-Leitlinie für Ärztinnen und Ärzte. 2018. https://daignet.de/site-content/hiv-leitlinien/leitlinien-1/deutsch-oesterreichische-leitlinien-zur-hiv-praeexpositionsprophylaxe

5. Interview. 2018. https://magazin.hiv/2018/09/11/hiv-prep-fuer-frauen/

6. HIV Report 2018/1. PrEP für Frauen. https://www.hivreport.de/sites/default/files/documents/2018_01_hivreport_fertig_aktualisiert.pdf

7. Studie 2-Monatsspritze. 2020. https://www.unaids.org/en/resources/presscentre/pressreleaseandstatementarchive/2020/november/20201109_cabotegravir?utm_source=UNAIDS+Newsletter&utm_campaign=240a244a63-20201109_cabotegravir&utm_medium=email&utm_term=0_e7a6256e25-240a244a63-114154045

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