Ihr Interview vom 8. August 2014 im 20 Minuten online, «Lohnen sich teure Medis bei Todkranken?»

Sehr geehrte Frau Kessler

Ihr Interview zu den Medikamentenpreisen in 20 Minuten online können wir nicht unkommentiert lassen. Sie kritisieren hohe Medikamentenpreise und setzen sich für ein günstigeres Gesundheitssystem ein. Das ist richtig und wir gehen mit Ihnen einig.

Doch Ihre Äusserungen zur Kostenübernahme nur für diejenigen Patienten, die die Krankheit nicht selbst verschuldet haben, sind erschreckend. Sie erwähnen das Beispiel der Drogenabhängigen, die sich mit Hepatitis-C über den Drogengebrauch anstecken.

Zuerst einmal: Sucht ist eine Krankheit. Süchtige sind also Patienten und sollten dementsprechend behandelt und auch von Ihnen geschützt werden. Ihnen die Verantwortung für Folgeschäden ihrer Krankheit zuzuschreiben, zeugt von einer grossen Unkenntnis.

Sie stellen das Solidaritätsprinzip im Schweizer Gesundheitswesen in Frage und somit die Kostenübernahme von Behandlungen an zigtausend Patientinnen und Patienten in der Schweiz. Wenn wir, wie Sie vorschlagen, das Verursacherprinzip einführen, was ist dann mit dem krebskranken Raucher? Wird er behandelt oder nicht? Was mit dem Übergewichtigen, der an Diabetes erkrankt? Was mit dem Hauswart, der die Leiter unvorsichtigerweise auf einen Tisch stellt und sich beim Sturz das Bein bricht? Mit dieser Argumentation öffnen Sie die Büchse der Pandora.

Das Solidaritätsprinzip ist eine Stärke des Schweizer Gesundheitswesens. Wenn es nun in Frage gestellt wird, gefährdet dies die Gesundheitsversorgung von vielen chronisch kranken Menschen in unserem Land.

Wir erwarten etwas anderes von einer bekannten Schweizer Patientenschützerin als mit dem Finger auf die Schwächsten zu zeigen und ihnen die Solidarität aufzukündigen. Wir erwarten, dass sie sich für alle Patienten einsetzt – ohne moralische Werturteile.

Wir sind schwer enttäuscht und finden, dass Sie Ihre Haltung als Patientenschützerin überdenken müssen. Eine Stellungnahme von Seiten der Stiftung Patientenschutz ist dringend nötig.

Mit freundlichen Grüssen

Stephanie Alder, Marketing & Projekte, Schweizerische Diabetes-Gesellschaft
Dr. Philip Bruggmann, Chefarzt ARUD Zentren für Suchtmedizin, Zürich
Doris Fiala, Nationalrätin, Präsidentin Aids-Hilfe Schweiz
Dr. Heinrich von Grünigen, Präsident Schweizerische Adipositas-Stiftung
Prof. Dr. Huldrych Günthard, Präsident Schweizerische HIV-Kohorte
Prof. Dr. Bernard Hirschel, Schweizerische Gesellschaft für Infektiologie
Bettina Maeschli, Vorsitzende Positivrat Schweiz
Dr. Claude Scheidegger, Präsident SAMMSU (Swiss Association for the Medical Management in Substance Users)
Daniel Seiler, Geschäftsführer Aids-Hilfe Schweiz
Prof. Dr. Pietro Vernazza, Präsident Eidg. Kommission für sexuelle Gesundheit EKSG

Stellungnahme Margrit Kessler