Newsletter POSITIV 9/2020

EDITORIAL

Wir melden uns ein letztes Mal in diesem Jahr mit einem Newsletter zum Welt-Aids-Tag. Ganz besonders ans Herz legen möchten wir Euch unser Gespräch mit David Jackson-Perry vom CHUV in Lausanne. Der Experte für sexuelle Gesundheit ist seit einigen Monaten in der Uniklinik Lausanne, wo er Projekte entwickelt, welche sich positiv auf die dort behandelten Patienten auswirken sollen. Zum Welt-Aids-Tag hat er ein interessantes Online-Seminar zu vielen Fragen rund um das Leben mit HIV zusammengestellt.

Die Aids-Hilfe Schweiz hat seit diesem Jahr eine neue Präsidentin – die ehemalige Waadtländer SP-Ständerätin Géraldine Savary aus Lausanne. Zum Welt-Aids-Tag hat sie eine Grussbotschaft verfasst.

Dann beschäftigten wir uns mit einem wichtigen Frauenthema: die Prä-Expositionsprophylaxe PrEP. Bei den schwulen Männern hat die PrEP voll eingeschlagen, bei den Frauen ist es etwas kompliziert – Angela Lagler beleuchtet die Hintergründe und sie hat auch wirklich interessante neue Informationen aus der HPTN 084-Studie in Südafrika.

Alex Schneider berichtet über einige Zweierkombinationstherapien. Diese sind den gewohnten Dreiertherapien mittlerweile ebenbürtig geworden. Das eröffnet neue Perspektiven und senkt die Therapiekosten.

Vor zwei Tagen erreichte uns die Nachricht, dass wohl durch COVID-19 bedingt die HIV-Neuansteckungen um einen Drittel tiefer seien als im Vorjahr. Wir trauen der Sache noch nicht ganz und erläutern weshalb.

Dann stellen wir den UK Health Podcast der schottischen Krankenpflegerin und Aktivistin Jackie Morton vor und verweisen auf eine eben publizierte Studie, welche uns drastisch vor Augen führt, wie schlimm die Auswirkungen einer zu späten HIV-Diagnose sind. Wenn mehr als die Hälfte der HIV-Diagnosen in Westeuropa viel zu spät gestellt werden, dann muss uns das zu denken geben.

2020 wird uns als schwieriges Jahr in Erinnerung bleiben. Wir hatten viel zu schreiben – statt fünf Newsletter gab es neun. Wir haben weitere, nicht einfache Wintermonate vor uns. Viele unserer Mitmenschen sind verunsichert, gereizt oder in einer schwierigen beruflichen Situation. Das Coronavirus hat uns weiter fest im Griff und zeigt, wie verletzlich unsere Gesellschaft unterwegs ist. Wer als HIV-Patient die 1980er Jahre erlebt hat, hat vielleicht ein «Déjà-vu», doch geht heute alles viel schneller. Statt wie damals sogenannte «Randgruppen», trifft COVID-19 die Gesellschaft in Herz und Seele. Kinos, Konzertsäle, Fussballstadien sind zu, Parties sind bloss Erinnerung, reisen können wir nicht, planen können wir nichts und ob wir mit Familie oder Freunden die Festtage feiern können, steht in den Sternen. Künstler, Tourismus und Luftfahrt stehen vor dem Aus oder vor der grossen Ungewissheit. Natürlich bedrückt uns das, und wie. Reden wir darüber, wie es uns geht und was das alles mit uns macht. Es wird uns leichter fallen, wenn wir unsere Sorgen mit anderen teilen.

In den letzten Tagen jagen sich die Erfolgsmeldungen über grossartige Resultate in der Impfstoff-Forschung. Gleichzeitig wird auch schon schön schweizerisch gejammert, weil man in Deutschland möglicherweise rascher zur Impfung kommt als in der Schweiz. Nun, die Sache ist halb so schlimm – ob die Impfungen dann auch wirklich halten, was die Presseabteilungen der Industrie versprechen, muss sich erst noch weisen. Normalerweise dauert die Entwicklungszeit für einen Impfstoff zehn Jahre – bei COVID-19 sollten wir es in neun Monaten geschafft haben? Drei Monate Daten über die Wirkung bei ein paar zehntausend Menschen – das ist aus technischer Sicht grossartig, aber in der Realität trotzdem mickrig und es lässt keine verlässlichen Aussagen zu. Wenn wir die Impfstoffe im nächsten Jahr kriegen, wird das noch immer Forschung am Menschen sein und nicht für eine Massenimmunisierung taugen. Wir sehen zwar Licht am Horizont, doch brauchen wir vor allem eines: viel Geduld.

In diesem Sinne wünschen wir allen einen besinnlichen Welt-Aids-Tag, viel Geborgenheit und Wärme über die Festtage und vielleicht auch neue Erfahrungen mit Mitmenschen, die auf uns angewiesen sind und denen es nicht so gut geht.

 

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David Haerry / November 2020

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