Noch vor zehn Jahren waren Therapieresistenzen das grosse Schreckgespenst in der HIV-Therapie. Vielen Patienten sass die pure Angst im Nacken – wie lange hält und wirkt die Therapie? Sind irgendwann alle Patienten multiresistent und austherapiert? Eine eben publizierte Studie der HIV-Kohorte gibt Entwarnung – definitiv.

1987 wurde AZT als das erste HIV-Medikament durch die amerikanische Food and Drug Administration (FDA) zugelassen. AZT (Handelsname Retrovir), ist noch immer erhältlich, spielt aber in der heutigen Therapie kaum mehr eine Rolle.

Eingesetzt wurde AZT damals als Monotherapie. Schon bald zeigte sich, dass das Medikament nach wenigen Monaten nicht mehr wirksam war – die Viren waren resistent geworden. Damals hatte man das Phänomen zwar beobachtet, aber noch nicht richtig begriffen. Gute fünf Jahre später schafften weitere Medikamente derselben Substanzklasse die Zulassung. Wenn man nun beim Therapiebeginn gleich zwei Substanzen benutzte, war die Therapie etwas länger wirksam. Der definitive Durchbruch kam aber erst 1995 mit der Zulassung der ersten Proteasehemmer: wurde diese neue Substanzklasse mit zwei Molekülen der NRTI-Klasse kombiniert, dann funktionierte die Therapie dauerhaft. Die HIV-Kombinationstherapie war geboren.

Die damaligen Therapieschemen waren aber eine Zumutung für die Patienten. Viele, sehr viele Tabletten zwei- oder dreimal am Tag, teils mit, teils ohne Essen – der Alltag drehte sich förmlich um die Pillen. Hinzu kamen die zum Teil schweren Nebenwirkungen – auf Dauer waren die meisten Patienten von der Therapie überfordert.

Viele Patienten hatten damals auch eine Therapiegeschichte mit Mono- oder Dualtherapien. Resistenzen waren also bereits vorhanden, und der neue Proteaseinhibitor wurde einfach aufgepfropft, und damit eine neue Einzelsubstanz zu den mehr schlecht als recht funktionierenden NRTIs zugefügt. Dann kam die nächste Studie, die nächste neue Substanz, wieder obendrauf – und nach ein paar Monaten entstanden wieder neue Resistenzen. Ein nicht enden wollender Kreislauf des Versagens.

Nach dem Jahr 2000 konzentrierte sich die HIV-Medikamentenentwicklung auf zwei Prioritäten:

Man hat damals auch gelernt, dass bei vorbehandelten Patienten eine Therapieumstellung nur funktioniert, wenn mindestens zwei Medikamente aus zwei Klassen voll wirksam sind, und dass man vor dem Therapiebeginn einen Resistenztest machen muss, weil eventuell resistente Viren übertragen wurden.

Ab ungefähr 2008 kam eine Welle neuer Medikamente (z.B. Integrasehemmer, neuere Proteasehemmer und NNRTIs) auf den Markt – diese erfüllten die eben erwähnten Kriterien der besseren Verträglichkeit, einfacheren Dosierung und Wirksamkeit trotz bestehender Resistenzen. Die grosse Zahl neuer Therapien in verschiedenen Klassen half auch den alten, multiresistenten Patienten aus der Sackgasse. Mit ganz wenigen Ausnahmen konnten neue, verträgliche und wirksame Kombinationen verabreicht werden. Enfuvirtide oder T-20, das zweimal täglich zu spritzende, sehr teure Präparat der allerletzten Wahl wurde zum Ladenhüter.

Die Autoren konnten in der aktuellen Studie zeigen, dass die Entstehung neuer Resistenzmutationen zwischen 1999 und 2013 dramatisch von 401 auf 23 Patienten zurückgegangen ist.

Die Studie zeigt, dass die Resistenzbürde in der HIV-Kohortenstudie ein Relikt aus den Anfangsjahren der Therapie darstellt, als die Medikamente noch nicht in Kombination eingesetzt wurden. Die Entstehung von Resistenzen konnte mit der Einführung von neuen Substanzen ab 2006 praktisch gestoppt werden, und nur acht Patienten mit Therapiestart nach 2006 entwickelten eine 3-Klassen Resistenz.

Resistenzen in der SHCS

Therapiebeginn Vor 1999 1999-2006 2007-2013

Resistenzen nachgewiesen

56% 20% 10%
NNRTI Resistenzen 18% 8% 4%
NRTI Resistenzen 54% 16% 5%
PI Resistenzen 28% 7% 2%

Resistent gegen 2 Klassen

22% 8% 1.7%

Ist nun wirklich alles in Butter?
Für Schweizer und Europäer sind wir sicher. In ärmeren Ländern, insbesondere in Sub-Sahara Afrika aber auch in Osteuropa gilt das nicht. Die in diesen Ländern eingesetzten Erst-Therapien genügen den Anforderungen nicht, und die Instrumente um die Resistenzprobleme rechtzeitig festzustellen, sind nicht da. Die Zweit-Therapien sind um ein Vielfaches teurer als die Ersttherapien. Diese Länder brauchen deshalb dringend wirksamere und gleich billige Ersttherapien. Nur dann können auch sie der Resistenzfalle entrinnen.

David Haerry / Juli 2016

 

1 Alexandra Scherrer et al, Swiss HIV Cohort Study SHCS, Clinical Infectious Diseases May 15, 2016, DOI: 10.1093/cid/ciw128