Die durch Aids verursachte Sterblichkeit hat dank der Therapie massiv abgenommen. Aber bestimmte gesundheitliche Aspekte von Menschen mit HIV würde man gern mit der HIV-negativen Bevölkerung vergleichen. Das ist nicht einfach, weil gute Kontrollgruppen fehlen. Den SHCS-Autoren ist ein Vergleich mit der CoLaus Kohorte aus Lausanne und den FIRE-Daten gelungen. Die Resultate sind interessant und zum Teil überraschend.

Immer wieder wird die Lebenswartung von Menschen mit HIV diskutiert. Die Befürchtung, dass HIV-Patienten schneller alt werden und allgemein gebrechlicher sind als die Normalbevölkerung ist verbreitet. Menschen mit HIV sterben heute nur noch selten an den typischen, aids-definierenden Erkrankungen. Sie werden älter und entwickeln Mehrfacherkrankungen so wie die Normalbevölkerung auch. Die vorliegende Studie verarbeitet die Daten von fast 75’000 Personen, davon 3’230 Personen mit HIV.

Die Cohorte Lausannoise (CoLaus) bildet die Allgemeinbevölkerung ab. Sie beschäftigt sich vor allem mit Herz-Kreislauferkrankungen, Diabetes und psychiatrischen Erkrankungen. Die CoLaus ist mit elektronischen Patientendossiers und dem Todesfallregister verknüpft.
FIRE steht für „Family Medicine PCPC-Research using Electronic Medical Records“. 150’000 Patienten aus 75 allgemeinmedizinischen Praxen wurden mit Daten aus elektronischen Patientendossiers verknüpft.

Aus der CoLaus und der Schweizerischen HIV-Kohortenstudie (SHCS) wurden Patienten ausgewählt, die Europäer, nicht Drogengebraucher, in den Jahren 2003 bis 2006 mindestens 35 Jahre alt waren und fünf bis sechs Jahre später mindestens einen ärztlichen Folgekontakt hatten. Ähnliche Kriterien galten für die Patienten aus FIRE. Diese Einschlussmerkmale hatten zur Folge, dass in den Jahren 2009-2011 alle Studienteilnehmer über 40-jährig waren. Diese Daten flossen dann in die Prävalenzanalyse.

Resultate
Die Patienten aus den Datenbanken von CoLaus und FIRE waren etwas älter, häufiger weiblich und hatten häufiger Übergewicht. Die Patienten aus der SHCS rauchten aber mehr als alle anderen. Mehrfacherkrankungen waren fast gleich häufig in CoLaus und SHCS (etwas mehr als ein Viertel der Patienten); aber nur halb so häufig in FIRE.

Herz-Kreislauferkrankungen (z.B. Herzinfarkte) waren bei allen Rauchern häufiger, egal ob HIV-positiv oder –negativ. Bluthochdruck, Nieren- und Lebererkrankungen waren bei HIV-positiven Patienten häufiger, egal ob es Rauchern oder Nicht-Raucher waren. Wichtig: Eine HIV-Infektion zusammen mit Rauchen erhöht das Risiko für einen Schlaganfall. Die Häufigkeit von Diabetes war unabhängig von Rauchen und HIV.

Die häufigsten Mehrfacherkrankungen in der HIV-Kohorte waren Bluthochdruck und Lebererkrankungen (29%), Bluthochdruck plus Diabetes (23%), oder Bluthochdruck plus Nierenprobleme (14%). In der CoLaus war die Kombination Bluthochdruck plus Diabetes mellitus am häufigsten (41%); Bluthochdruck plus Leber- oder Nierenerkrankungen liegen bei 14% und 12%.

In dieser Studie konnten wichtige Erkrankungen nicht berücksichtigt werden – Krebs, Osteoporose und Lungenerkrankungen fehlen. Das hat mit der fehlenden Kontrollgruppe zu tun, die CoLaus hat diese Daten nicht. Obwohl die CoLaus Patienten sehr wahrscheinlich gesundheitsbewusste Menschen sind, weisen sie im Vergleich mit der SHCS-Gruppe nicht weniger Herz-Kreislaufrisiken auf. Das ist eine überraschende Erkenntnis – sie spricht für die Qualität der Behandlung und eine optimale Betreuung der HIV-Patienten.

Schlussfolgerungen
Die Studie zeigt, dass Bluthochdruck, Leber- und Nierenerkrankungen bei Menschen mit HIV generell häufiger sind. Herz-Kreislauferkrankungen treten häufiger bei Rauchern auf. Aus ärztlicher Sicht müssen bei Menschen mit HIV vor allem die Bemühungen um Raucherentwöhnung und Änderungen des Lebensstils (z.B. Ernährung, Gewichtsabnahme) verstärkt werden. Ferner müssen Blutdruck sowie Nieren- und Leberfunktionen gut überwacht werden, um das Risiko von Mehrfacherkrankungen und Medikamenteninteraktionen tief zu halten.

Für Menschen mit HIV heisst das auch: Nicht zu rauchen oder mit dem Rauchen aufzuhören, ist das wichtigste was sie selber für ihre langfristige Gesundheit beitragen können.

An einer Raucherentwöhnung interessiert?
Folgende SHCS Zentren haben bestehende Raucherentwöhnungsprogramme:

Die Programme sind offenbar erfolgreich. Der Anteil der Raucher in der Kohortenstudie lag im Jahr 2000 auf gut 60%, heute sind es noch ungefähr 40%. Patienten, die in einer privaten Praxis in Behandlung sind, sollten ihren Arzt auf das Thema ansprechen.

David Haerry / November 2015

[1] Strong impact of smoking on multimorbidity and cardiovascular risk among human immuodeficiency visrus-infected individuals in comparison with the general population; B. Hasse et al, Open Forum Infectious Diseases, DOI: 10.1093/ofid/ofv108