In den meisten Ländern ist HIV-positiven Menschen die Organspende nicht erlaubt. In der Schweiz wurde die Gesetzgebung 2007 geändert. In Genf wurde nun erstmals einem HIV-positiven Patienten die Leber eines HIV-positiven Spenders transplantiert. Sowohl Spender und Empfänger wurden seit vielen Jahren therapiert, und beide hatten dokumentierte, aber kontrollierte Mehrfachresistenzen. Fünf Monate nach dem Eingriff geht es dem Organempfänger sehr gut. Eine Organspende zwischen HIV-Positiven ist also möglich.

Aufgrund vieler Befürchtungen ist die Organspende von HIV-positiven Spendern in den meisten Ländern nicht erlaubt. In den USA alleine führt diese Haltung zu einem jährlichen Verlust von ungefähr 350 Organspenden. HIV-positive Patienten, die auf ein neues Organ warten, werden auf den Wartelisten diskriminiert. Das Todesfallrisiko ist bei HIV-positiven Empfängern höher – das gilt vor allem bei mit Hepatitis C ko-infizierten Patienten. Grund für das hiesige Verbot einer Transplantation HIV-positiver Organe ist die Annahme, dass bei einer Organtransplantation von einem HIV-positiven Spender auf einen HIV-positiven Empfänger ein anderer HI-Virustyp übertragen wird, welcher beim Empfänger nicht mehr kontrolliert werden kann. Dadurch könnte das Immunsystem des Empfängers überlastet werden, und es könnten sogenannte opportunistische Infektionen auftreten.

Bis jetzt wurden nur in Südafrika die Nieren HIV-positiver Spender an ebenfalls HIV-positive Empfänger transplantiert. Die Spender waren entweder noch gar nicht therapiert, oder sie hatten noch keinen Therapiewechsel hinter sich. In den USA sind solche Transplantationen seit 2013 gesetzlich möglich, doch braucht es zur Ausführung ein bewilligtes Forschungsprotokoll, was wiederum eine unnötige Hürde ist. Zwischen 2008 und 2014 sind in der Schweiz 569 HIV-positive Menschen verstorben, davon rund 80 an einem Leberversagen. 14 HIV-positive Menschen bekamen in dieser Zeitspanne die Leber eines HIV-negativen Menschen transplantiert. Dieser Artikel dokumentiert die erste Lebertransplantation eines HIV-positiven Spenders zu einem HIV-positiven Empfänger.

Empfänger und Spender
Einem 53-jährigen HIV-positiven Mann wurde die Leber eines im Oktober 2015
verstorbenen Spenders angeboten. Der Empfänger ist seit 1987 HIV-positiv und hat sich als Drogenkonsument angesteckt. Beim Empfänger wurden zusätzlich 1997 eine Hepatitis C diagnostiziert. 2004 war diese ohne Therapie spontan geheilt. Ebenfalls hatte er früher mal eine ebenfalls spontan ausgeheilte Ansteckung mit einer Hepatitis B Infektion. Eine fortschreitende Hepatitis D wurde 2011 diagnostiziert. Diese wurde mit pegyliertem Interferon behandelt, doch die Therapie wurde vom Patienten nicht vertragen. Seit November 2014 war der Empfänger auf der Warteliste für eine Spenderleber. Sein Zustand verschlechterte sich im Sommer 2015 dramatisch.

Der Spender war ein 75-jähriger Mann, der an einer Hirnblutung verstorben ist. Er war bisexuell und wurde 1989 als HIV-positiv diagnostiziert. Spender und Empfänger hatten aus frühen Therapiekombinationen Resistenzen, waren aber erfolgreich therapiert, mit einer Viruslast unter der Nachweisgrenze. Beim Empfänger schwankten die CD4 zwischen 300 und 400 Zellen pro Mikroliter, beim Spender zum Zeitpunkt des Todesfalls 298 Zellen pro µl . Der Spender erfuhr von seinem Arzt über die Möglichkeit der Organspende, und er gab im September 2015 sein schriftliches Einverständnis. Von beiden Patienten waren die Resistenzen dokumentiert. Der Empfänger wurde vor dem Eingriff über die Resistenzen des Spenders und die dadurch nötige Therapieumstellung informiert. Er nahm das Risiko auf sich und erklärte schriftlich sein Einverständnis.

Eingriff und nachfolgende Behandlung
Die transplantierte Leber funktionierte nach dem Eingriff sofort normal. Am zweiten Tag nach dem Eingriff wurde die antiretrovirale Therapie wieder eingeleitet. Die Basistherapie rilpivirine/tenofovir/emtricitabine wurde zusätzlich mit raltegravir und enfuvirtide verstärkt. Es wurden weitere Posttransplantationsmedikamente verabreicht. Die HIV-Therapie wurde drei Monate nach dem Eingriff wieder vereinfacht.

Schlussfolgerungen und Kommentar
Die erfolgreiche Transplantation einer Leber eines HIV-positiven Spenders zu einem HIV-positiven Empfänger ist in vieler Hinsicht eine Revolution. Bisher wurden bloss 27 Nieren an HIV-positive Empfänger in Südafrika transplantiert. Bei diesen Fällen ist die Erfolgsrate gleich gut wie bei HIV-negativen Empfängern. Im Fall aus Genf waren Spender und Empfänger seit ca. 30 Jahren HIV-positiv, hatten mehrere Therapiewechsel hinter sich und auch unterschiedliche Resistenzprofile. Deshalb wurde die HIV-Therapie beim Empfänger nach dem Eingriff massiv ausgebaut– sogar das vergessene Enfuvirtide (Fuzeon) wurde aus dem Dornröschenschlaf geholt. Fünf Monate nach dem Eingriff geht es dem Patienten sehr gut. Auch die dreifache Hepatitis-Infektion spielte keine negative Rolle.

Trotz des Erfolgs bleibt ein solcher Eingriff eine Herausforderung. Medikamenteninteraktionen sowie die immunologische und virologische Kontrolle können Probleme verursachen und die medizinische Vorgeschichte sowohl des Spenders wie des Empfängers müssen lückenlos bekannt sein. Dieser Artikel ist auch eine Aufforderung an Menschen mit HIV, ihre Bereitschaft zur Organspende bei der nächsten Arztvisite zu bekunden. Auch Sie können Leben retten!

David Haerry / Oktober 2016

1 Alexandra Calmy et al, Swiss HIV and Swiss Transplant Cohort Studies, American Journal of Transplantation 2016; XX: 1–6, doi: 10.1111/ajt.13824