ForscherInnen der Schweizerischen HIV-Kohortenstudie und der ETH Zürich haben eine Methode gefunden, den Zeitpunkt einer HIV-Infektion zu ermessen. Das HI-Viruserbgut lieferte ihnen Hinweise auf das Alter der im Körper befindlichen HI-Viren und damit auf den ungefähren Zeitpunkt der HIV-Infektion. Ihre Studie wurde im Januar 2011 publiziert.
Bei vielen HIV-infizierten Menschen ist nicht bekannt, wann sie sich infiziert haben. Das Wissen um den Infektionszeitpunkt wäre einerseits für die Einschätzung und Behandlung von PatientInnen und andererseits aus epidemiologischen Gesichtspunkten von grossem Interesse.
Seit 2000 werden „frische“ HIV-Infektionen im Meldesystem des Bundesamtes für Gesundheit (BAG) aufgeführt. Auf „frische“ Infektionen weisen jene reaktiven und bestätigt positiven HIV-Tests hin, die während der Primoinfektion eines Patientien gestellt werden, oder solche positive Tests, bei denen durch ein negatives Testresultat innerhalb der letzten sechs Monate zuvor der Infektionszeitpunkt eingrenzt werden kann. Neu ist, dass durch die Untersuchung der Virenvielfalt im Blut von HIV-Positiven rückblickend und auch ohne Hinweise auf frühere negative Tests, bestimmt werden kann, ob eine HIV-Infektion ein Jahr alt oder jünger ist.
Um dies herauszufinden, hat die Forschungsgruppe Daten ausgewertet, die im Rahmen von Resistenztests bei HIV-Positiven der Kohortenstudie routinemässig erhoben werden. Diese Tests untersuchen das HIV-Erbgut, um allfällige Resistenzen auf antiretrovirale Medikamente festzustellen. Wo verschiedene HIV-Stämme vorhanden sind, liefern die Resistenztests nur uneindeutige Resultate. In einer Medienmitteilung zur Studie wird Prof. Dr. Huldrych Günthard zitiert: „Während langer Zeit galt die Unschärfe im Viruserbgut als Abfallprodukt des Tests. Aber wir fragten uns, ob sie ein Mass für die Vielfalt der Viren im Blut sein könnte.“ HI-Viren vermehren sich im Blut sehr schnell und dabei entstehen laufend Mutationen der Viren. Die Anzahl der Mutationen und das Ausmass der Vielfalt kann darum Hinweise darauf liefern, wie lange die Viren sich schon vermehren – mit anderen Worten: wie lange sie schon im Blut existieren. Weil die HIV-Therapie die Vermehrung der Viren stoppt oder reduziert, wurden nur Blutproben von HIV-PatientInnen untersucht, die nicht unter Therapie standen.
In den ersten acht Jahren nach einer HIV-Infektion, so lautet das Resultat der Studie, steigt die Virenvielfalt gleichmässig an, danach flacht die Kurve ab. Durch Vergleiche mit früheren Berechnungen des Infektionszeitpunkts und durch Untersuchungen von Blutproben, bei denen der Infektionszeitpunkt bekannt war, konnten die ForscherInnen einen Wert bestimmen, der mit fast hundertprozentiger Sicherheit auf eine Infektion hinweist, die ein Jahr alt oder jünger ist.
Die neue Methode zur Bestimmung des Infektionszeitpunktes soll in Zukunft routinemässig bei jedem genotypischen Resistenztest angewendet werden. Wann diese Neuerung in Kraft tritt und wer die Kosten für die Untersuchung übernehmen wird, ist noch nicht festgelegt.
Shelley Berlowitz, Aids-Hilfe Schweiz
POSITIV 1/2011 © Aids-Hilfe Schweiz