Es sind noch immer verbreitete Annahmen, dass das sexuelle Verhalten von Menschen in der Region Subsahara-Afrika sich von dem anderer Weltregioen unterscheide und dass dies ein wichtiger, wenn nicht der wichtigste Grund für die massiven HIV-Epidemien in diesen Ländern sei. Nach heutigem Wissensstand sind vermutlich beide Annahmen falsch. Dennoch gibt es diverse Arten multipler Partnerschaften, die für die HIV-Prävention nicht bedeutungslos sind. Die HIV-Verhaltensprävention sollte ihre Ressourcen auf die Informierung über HIV-Risiken in sexuellen Netzwerken und auf die Förderung von individuellem Schutzverhalten richten.

Männer und Frauen aus afrikanischen Ländern, vor allem aus der Region Subsahara, haben durchschnittlich nicht mehr lebenzeitliche sexuelle PartnerInnen als Menschen in anderen Weltregionen, sondern eher weniger. Sie haben möglicherweise, speziell in Ländern südlich der Sahara, häufiger mehrere PartnerInnen zur gleichen Zeit. Multiple Partnerschaften (engl. concurrent partnerships, oder concurrency) können unterschieden werden von „seriell-monogamen“ Partnerschaften (in denen eine neue Partnerschaft zeitlich nach der vorherigen kommt), wie sie in der westlichen Welt verbreitet sind. Diese Sachverhalte haben sich aus Studien in Afrika ebenso wie in westlichen Ländern (ausser in der Schweiz, wo solche Studien fehlen) ergeben (1). Allerdings wurde die tatsächliche Verbreitung und die epidemiologische Bedeutung multipler Partnerschaft auch angezweifelt – inklusive der Schlussfolgerungen, die sich daraus für die Prävention zu ergeben scheinen, dass nämlich multiple Partnerschaften mit den Mitteln der Prävention zu bekämpfen seien. (2)

Netzwerke
Theoretisch ist einleuchtend, dass ein Netzwerk gleichzeitiger sexueller Partnerschaften die Ausbreitung von HIV und STIs massiv begünstigen kann (3). Im Fall von HIV hat das vor allem mit der Primoinfektion zu tun: wird eine Person innerhalb eines sexuellen Netzwerkes mit HIV infiziert, besteht ein unmittelbares Transmissionsrisiko gleichzeitig für eine Gruppe von Menschen, und nicht nur für einen Partner wie bei seriell-monogamen Beziehungen (4).

Viele HIV- und STI-ExpertInnen stellen einen direkten Zusammenhang her zwischen multiplen Partnerschaften und der überdurchschnittlichen HIV- und STI-Prävalenz in Susahara-Afrika. Ein solcher ist aber bis jetzt, trotz verschiedener Untersuchungen, nicht nachgewiesen worden. Im Gegenteil sieht es so aus, dass die HIV-Prävalenz nicht in den Regionen erhöht ist, in denen die Beziehungsform multipler Partnerschafte vorherrscht. Teilweise scheint es sich sogar umgekehrt zu verhalten. Zudem besteht kein einheitliches Verständnis davon, was als multiple Partnerschaft gilt. Z.B. darüber, wie lange die Gleichzeitigkeit anhalten muss, damit der Begriff angewandt werden kann und ob traditionale Formen wie z.B. die Polygamie, auch darunter fallen sollen. Letzteres wäre problematisch, da für diese Formen ausdrücklich kein Zusammenhang mit der Ausbreitung von HIV gefunden werden kann (4).

Kein einzelner Faktor
Nach wie vor gibt es keine einheitliche und gut akzeptierte Erklärung für die ausserordentlichen HIV-Epidemien in Subsahara-Afrika, bzw. für die markanten Unterschiede zwischen regionalen Epidemien. Das ist wohl darum so, weil es keinen einzelnen Faktor gibt, der sie alle erklärt. Vielmehr spielen mehrere Faktoren eine wichtige Rolle und nicht überall sind es dieselben. Gut akzeptiert sind die Annahmen, dass die biologischen Faktoren STIs (insbesondere HSV-2 und Trichomonas) und männliche Beschneidung eine wichtige Rolle spielen. Ebenfalls eine wichtige Rolle dürfte das vergleichsweise tiefe Niveau der Therapieversorgung spielen. Damit kann auch die präventive Wirkung der ART sich nicht richtig entfalten.

Auch verhaltensbezogene Faktoren spielen eine Rolle. Zum einen gibt es grosse Unterschiede bei der Verbreitung von Safer Sex. Zum zweiten sind Frauen in Subsahara-Afrika sexuell vulnerabler als in westlichen Ländern und dementprechend durchschnittlich viel höher von HIV betroffen als Männer.

Schliesslich gibt es Forschende, welche den Übertragungsweg via verseuchter Spritzen (sowohl durch Drogengebrauch als auch im Gesundheitswesen) als wichtigen und unterschätzten Faktor in den afrikanischen Epidemien sehen. Dieser Standpunkt wird ergänzt durch den anderer Experten, die überzeugt sind, dass sexuelle Faktoren in Afrika sich in nichts grundlegend von anderen Ländern unterscheiden und dass dementsprechend auch keine Sondermassnahmen in diesem Bereich Sinn machen würden.

Was heisst das für die Prävention?
In Bezug auf die Thematik multipler Partnerschaften liegt eine zentrale Schlussfolgerung für die Prävention auf der Hand: es ist vermutlich einfacher, billiger und wirksamer, monogame PartnerInnen, vor allem Frauen, zu mehr Selbstschutz zu motivieren und bei der Entwicklung der entsprechenden Kompetenzen zu unterstützen, als bei Personen, die viele Partner haben, eine Verhaltensänderung herbeizuführen.

Eine zweite Schlussfolgerung müsste sein, dass Menschen mit vielen PartnerInnen, und ebenso deren Partner, angemessen über die Risiken, denen sie sich möglicherweise aussetzen, informiert werden. Z.B. könnte, so wie das in westlichen Ländern für schwule Männer gemacht wurde (6), gezielt über die Problematik der Primoinfektion und sexuelle Netzwerke kommuniziert werden.

Schliesslich sollten sich PräventionistInnen hüten davor, das Phänomen multipler Partnerschaften ins Zentrum von Präventionsüberlegungen zu stellen. Erstens erlaubt die Faktenlage dies nicht und zweitens wird dadurch sexueller Stigmatisierung Vorschub geleistet, die sinnvoller Präventionsarbeit im Weg steht.

Dies hindert allerdings nicht, Personen oder Gruppen auf die Thematik multipler Partnerschaften aufmerksam zu machen und auf die entsprechenden Risiken aufmerksam zu machen. In der Schweiz haben wir, im Zusammenhang mit der HIV-Epidemie unter schwulen Männern, mit dieser Thematik viel Erfahrungen und Kompetenzen versammelt und wir haben in Projekten und Kampagnen erfolgreich damit operiert. Dieses Know-How kann und soll auch in anderen Gruppen zur Anwendung kommen, wenn wir es dort mit ähnlichen Phämonenen zu tun haben.

 

Rainer Kamber, Aids-Hilfe Schweiz

(1) Wellings K, Collumbien M, Slaymaker E et al., «Sexual behavior in context: A global perspective», Lancet, 2006, 368, S. 1706–28.
(2) Mattson CL, Bailey RC, Agot K et al., «A nested case-control study of sexual practices and risk factors for prevalent HIV-1 infection among young men in Kisumu, Kenya», in Sex Transm Dis, 2007, 34(10), S. 731–36; Sandoy IF, Dzekedzeke K, Fylkesnes K, «Prevalence and correlates of concurrent sexual partnerships in Zambia», AIDS Behav, 2010, 14(1), S. 59–71.
(3) Lagarde E, Auvert B et al., «Concurrent sexual partnerships and HIV prevalence in five urban communities of Sub-Saharan Africa», in AIDS, 2001, 15(7), S. 877–84.
(4) Reniers G, Watkins S, Lurie MN et al., «Polygyny and the spread of HIV in sub-Saharan Africa: a case of benign concurrency», AIDS, 2010, 24(2), S. 299–307.
(5) Buvé A, Caraël M, Hayes RJ et al., «The multicentre study on factors determining the differential spread of HIV in four African cities», AIDS, 2001, 15(suppl. 4), S. S127–31.
(6) Potterat JJ, Gisselquist D, Brody S, «Still Not Understanding the Uneven Spread of HIV Within Africa», Sex Trans Dis, 2004, 31(6), S. 365.
(7) Lurie MN, Rosenthal S, «Concurrent Partnerships as a Driver of the HIV Epidemic in Sub-Saharan Africa? The Evidence is Limited», AIDS Behav, 2010, 14(1), S. 17–24.
Swiss Aids News 2, Juni 2010, www.aids.ch