Die wichtigste Botschaft des letzten Jahrzehntes ist für uns HIV-Positive mit Sicherheit das Swiss Statement der EKSG. Die Aussage, dass wir – unter der Bedingung einer erfolgreichen Therapie – nicht mehr infektiös sind, ist längst noch nicht überall angekommen. Die Aids-Hilfe Schweiz will dies Schritt für Schritt ändern. Den Anfang gemacht hat sie mit der Kampagne #undetectable. In einem Interview hat uns Andreas Lehner, Programmleiter MSM, Auskunft gegeben.
Die Kernbotschaften der Kampagne lauten:
- Das Stigma (und das Selbststigma) hat ausgedient, es hat keine Berechtigung mehr.
- Eine erfolgreiche Therapie ist eines der wirksamsten Präventionsmittel.
Unter dem Label #undetectable verweist die AHS auf den Umstand, dass HIV-positive Menschen, deren Viruslast dank erfolgreicher ART nicht mehr nachweisbar ist, das Virus sexuell nicht mehr weitergeben. Der Begriff hat sich in den USA und anderen Ländern mittlerweile etabliert, nicht zuletzt in Online-Datingplattformen für schwule Männer. Er wird von NGOs und anderen Organisationen aufgenommen und verstärkt und bekommt damit ein offizielles Gesicht. Zu Beginn richtete sich die Kampagne vor allem an schwule Männer. Künftig ist es aber wichtig, diese Informationen weiteren Kreisen zugänglich zu machen. Denn möglichst alle sollen die Botschaft kennen und wissen was dahinter steht. So kann erreicht werden, dass Menschen mit HIV nicht länger als potenzielle Gefahr und Seuchenherde gelten. Und Betroffene können sich von Scham und Angst befreien. Denn dieses Unwissen und die weiterhin vorhandenen Vorurteile sind belastend und führen bei vielen HIV-Positiven zu psychischen Problemen und sozialer Isolation.
#undetectable – eine von drei Präventionssäulen
Gleichzeitig ist die zentrale Botschaft auch wichtig für die Prävention. Wenn HIV mit weniger Stigma belegt ist, haben die Leute weniger Angst vor dem Test. Werden mehr Tests gemacht, erhalten mehr HIV-Positive die Therapie und sind nicht mehr ansteckend. Diese Aussicht ist für viele Menschen mit HIV ein wichtiger Grund, um mit der Therapie früh anzufangen. Sie ermöglicht ihnen ein normales Sexleben, in dem sie frei von Angst ungeschützten Sex haben können. Lehner: „Es muss deutlich gesagt werden, dass ungeschützter Sex mit einem HIV-Positiven unter Therapie bezüglich HIV sicher ist. Im Gegensatz dazu ist es sehr riskant, mit einem Mann ungeschützt zu verkehren, der seinen HIV-Status nicht kennt. Wir kommunizieren aber auch klar, dass man sich – erfolgreiche HIV-Therapie vorausgesetzt – beim Verzicht auf das Kondom zwar nicht mehr mit HIV, aber immer noch mit anderen sexuell übertragbaren Infektionen anstecken kann. Und zwar beide Partner.“
Für Andreas Lehner ist aus diesem Grund die konventionelle Präventionsmethode (Sex mit Kondom) keineswegs obsolet. Er sieht darin keine Gefahr, dass die Kampagne als Aufruf zu Sex ohne Kondom missverstanden wird. Im Gegenteil: Die AHS nimmt das Heft in die Hand, informiert zur Sache und umfassend. Die Kampagne klärt auf und bietet keinen Spielraum für Halbwahrheiten und Spekulationen. Lehner: „Uns stehen für die Zielgruppe der schwulen Männer drei wesentliche Präventionsinstrumente zur Verfügung: Das Kondom, die PrEP und die Therapie und damit die Konsequenz von undetectable. Nicht vergessen darf man, dass das Schutzverhalten schwuler Männer nach wie vor sehr gut ist. Heute wird jedoch wieder viel mehr Analsex praktiziert als noch vor einigen Jahren. Die regelmässig durchgeführte Gay Survey-Befragung schwuler Männer zeigt, dass während der frühen Jahre der HIV-Epidemie nur noch etwa dreissig Prozent analen Geschlechtsverkehr hatten. Ob mit oder ohne Kondom, die Angst vor HIV war gross. Diese Angst hat in den letzten Jahren stark abgenommen, weil die Krankheit nicht mehr tödlich ist. Heute geben rund achtzig Prozent an, Analsex zu praktizieren. Auch wenn sich die allermeisten mit Kondomen schützen, ist dadurch natürlich die absolute Zahl ungeschützter Kontakte gestiegen.“
#undetectable – Kritik und Reaktionen
Gab es im Verband der AHS und deren Partner Vorbehalte gegenüber der Kampagne? Lehner: „Wir führten etliche auch hitzige Diskussionen. Es gab Befürworter und Gegner. Die kritischen Fragen halfen uns, die Kampagne umsichtig zu planen, weil wir uns immer wieder hinterfragen und erklären mussten. In der Form, wie sich die Kampagne nun präsentiert, stehen sowohl der Verband wie auch unsere Partner voll und ganz dahinter.“
Und die Reaktionen in der Zielgruppe: „Die Kampagne polarisiert. Wir hörten „Cool, endlich kommt ihr raus damit“ ebenso wie, „Was soll das jetzt?“. Allerdings überwiegen die positiven Reaktionen deutlich. Einige kritische Zuschriften erhielten wir von HIV-positiven Frauen und Männern ausserhalb der Schwulenszene. Für mich bisher das grösste Erfolgserlebnis war das Outing eines HIV-positiven Mannes auf Facebook #undetectable. Er schrieb sinngemäss: „Da seht Ihr, HIV-Positive Männer sind überhaupt keine Gefahr. Ich bin übrigens auch einer.“ Die Aids-Hilfe Schweiz ist sich im Klaren darüber, dass es noch viel zu tun gibt, bis die Botschaft alle erreicht hat. Deshalb wird die Kampagne weiterlaufen und peu à peu auf weitere Zielgruppen ausgedehnt werden. Bewusst ist sich die AHS auch, wie wichtig die Zusammenarbeit mit anderen Organisationen ist, zum Beispiel mit dem Positivrat.“
VValo Bärtschi / März 2017