Menschen mit HIV in Alters- und Pflegeheimen

Eine Studie der Fachhochschule St. Gallen von 20171 über die vorhandene Sensibilisierung von Alters- und Pflegeheimen für LGBT-Menschen wurde in diesem Newsletter bereits vorgestellt. Die Studie war von der Fachgruppe Alter von Pink Cross, LOS und TGNS gleichzeitig mit Parallelstudien bei den Spitex und den Pflegefachschulen in Auftrag gegeben worden2. Dieser Artikel berichtet über eine Folgebefragung im 2019 und die Weiterarbeit der Fachgruppe. 

 

In allen drei Studien wurde ganz konkret auch nach dem Umgang mit Menschen mit HIV in Alters- und Pflegeheimen gefragt. Einerseits, weil die Aidshilfe Bern im Jahr 2013 von einer Studierendengruppe der FHNW eine Studie zur Aufnahme von Menschen mit HIV in Berner Alters- und Pflegeheimen3 hatte durchführen lassen, und andererseits auch aus einer persönlichen Betroffenheit heraus. Als die Studienergebnisse der Fachhochschule St. Gallen im März 2017 im IQS4 vorgestellt wurde, kritisierten Teilnehmende gerade diesen Einbezug des HIV-Aspekts, weil damit die Verbindung Schwul und HIV zementiert werde. Doch auch wenn – wie Hansruedi Völkle im Newsletter POSITIV schrieb – LGBT(IQ)-Menschen mit HIV „nur“ eine Schnittmenge der LGBTIQ-Community sind, gehören sie gerade als Langzeitüberlebende dennoch getrennt, aber ausdrücklich mitberücksichtigt, was dann schliesslich allen anderen Menschen mit HIV zu Gute kommt. 

 

Doch zurück zum AHBE/FHNW-Projekt: In dieser Studie zeigte sich, dass von den damals 150 angeschriebenen Berner Alters- und Pflegeheimen sich bloss 62 (41 %) mit der Frage überhaupt befassen wollten. Im Schlusswort des Projektberichts wurde damals festgehalten, „…, dass in den Alters- und Pflegeheimen noch kein Bewusstsein über die Problematik besteht. 11% der befragten Institutionen im Kanton Bern lehnen die Aufnahme von Menschen mit HIV ab. 16% sind sich nicht sicher, ob sie eine Person mit HIV aufnehmen würden. Eine breite Aufklärung über die Problematik an sich und den aktuellen medizinischen Stand im Bereich der Behandlung von HIV und Aids, sowie die Reduktion der Gefahr einer Ansteckung bei der Pflege von Menschen mit HIV und unter den Patientinnen und Patienten, könnte zu einer Entstigmatisierung führen. Ziel ist es, die absehbare Problematik gar nicht erst zu einer solchen werden zu lassen, indem durch Präventionsarbeit für jeden Menschen mit HIV die Möglichkeit besteht, in das Alters- oder Pflegeheim nach Wahl einzutreten.“ 

 

Was die Rücklaufquoten der Studien von 2016 betrifft, betrugen sie um die 30 %. Die Ergebnisse zeigten auf allen drei erfassten Ebenen klaren Handlungsbedarf. Ein Teilergebnis zeigte, dass in den (antwortenden) Alters- und Pflegeheimen rund 60 % und bei den Spitex 50% Wissen zu Menschen mit HIV haben. Im Teil Pflegefachschulen gaben 43 % der Teilnehmenden an, dass das Thema „ältere Menschen mit HIV“ schwerpunktmässig thematisiert wird, wobei gleichzeitig kaum auf den Aspekt LGBT(IQ) eingegangen zu werden scheint. Aus den Ergebnissen der Studien ergibt sich übrigens, dass damals als sich mit HIV befassende Organisationen die AHS und regionale Aids-Hilfen zu 50-90 %, die Checkpoints zu 10-20 % und der Positivrat nur zwischen 1-5 % bekannt waren. 

 

In der Weiterarbeit der Fachgruppe Alter, zu der zwischenzeitlich auch InterAction5 und queerAltern6 gestossen sind, wurden in einer online Umfrage (während 20 Tagen im August/September 2019) die Erwartungen von LGBTIQ-Menschen an Alters- und Pflegeheime (sowie Spitex und Pflegefachschulen), immer unter Einbezug des Aspekts Menschen mit HIV, abgefragt. Aus der Auswertung7 ergibt sich das nachfolgende Bild: Insgesamt halten nur wenige der 245 Teilnehmenden diese Institutionen für vorbereitet auf LGBTIQ-Menschen oder solche mit HIV, und sie sehen einen grossen Informations- und Sensibilisierungsbedarf. 30 % wünschen sich, dass Alters- und Pflegeheime bereit sind, Menschen mit HIV aufzunehmen (mit einer adäquaten medizinischen Betreuung) sowie 40 % erwarten diese Bereitschaft von den Spitex. 

 

Gesamthaft geht der Arbeitsansatz der Fachgruppe von der Annahme aus, dass – trotz des in Zürich von queerAltern erreichten Erfolgs mit dem Projekt LGBTIQ-Haus im Rahmen der sanierten Alterssiedlung im Espenhof – schweizweiter Bedarf an LGBTIQ-freundlicher Aufnahme, Betreuung und Pflege von Menschen mit HIV in Alters- und Pflegeheimen und durch die Spitex besteht. Aus diesem Grund arbeitet die Fachgruppe an einer Auszeichnung mit LGBTIQ-Pflegelabel für Alters- und Pflegeheime (und Spitex). Im Verlauf dieser Arbeiten hat sich gezeigt, dass diese Ansprüche an eine sensible Aufnahme, Betreuung und Pflege von LGBTIQ-Menschen (mit oder ohne HIV) klar(er) zu formulieren sind. Der Leitfaden für „Vielfalt in der Pflege“ der Schwulenberatung Berlin ist da ein gutes Vorbild. Die Fachgruppe darf ihn mit deren Zustimmung übernehmen und auf die Schweizer Verhältnisse anpassen. 

 

Bei diesen Arbeiten zeigt sich auch, wie sehr die Alters-Pflegeheimlandschaft in der Schweiz einerseits kantonalisiert und andererseits durch Richtlinien/Empfehlungen für die Heime zum menschenwürdigen Umgang mit Bewohnenden, z. B. von Curaviva, oder Qualitätsmanagementvorgaben, z. B. von qualivista, geprägt sind. Nur kommt leider die LGBTIQ-Vielfalt darin nicht vor. Diesen Mangel gilt es in den kommenden Monaten und Jahren zu beheben.

 

 

Max Krieg / April 2021

 

 

1. https://positivrat.ch/cms/images/Newsletter_PDFs/12017.pdf


2. https://www.pinkcross.ch/de/aktuelles/leben/alter/160923-studie-zu-lgbt-im-alter


3. Projektbericht des Studierendenprojektes „ISKRA“ – Menschen in Alters- und Pflegeheimen – Eine Bestandsaufnahme im Kanton Bern, Studierendengruppe FHNW, Olten, Februar 2014


4. Institut für queer Studies der Universität Zürich


5. https://de.inter-action-suisse.ch/


6. https://queeraltern.ch/


7. https://www.pinkcross.ch/de/aktuelles/leben/alter/200324-lgbtiq-menschen-handlungsbedarf-in-pflegeheimen-und-spitex

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