Hamburg – Ab welchem Zeitpunkt sollte ein HIV-Infizierter Medikamente nehmen, die das Virus bekämpfen? Die Frage war schwer zu beantworten. Die sogenannten antiretroviralen Mittel sind zwar das einzige, was bisher den Beginn der Immunschwächekrankheit Aids herauszögern und ihren Verlauf abbremsen kann. Andererseits haben diese Mittel auch Nebenwirkungen, vor allem, wenn sie über Jahre genommen werden. Unter anderem können sie Leber und Nieren schädigen. Und natürlich ist es für die Betroffenen auch eine Kostenfrage.

 

Eine aktuelle Studie liefert jetzt den Beleg dafür, dass eine frühzeitige Einnahme der Mittel Leben retten kann. Bei der Untersuchung gelang der Nachweis, dass Infizierte, die frühzeitig HIV-Medikamente verabreicht bekamen, weit weniger ansteckend sind.

 

Das amerikanische nationale Institut für allergische und Infektions-Krankheiten, das zur US-Gesundheitsbehörde gehört, wollte in mehreren größeren Studien ermitteln, welcher Therapiebeginn optimal ist. In eine Untersuchung, die seit 2005 lief, wurden deshalb nicht nur HIV-Positive einbezogen. Es nahmen auch Paare teil, bei denen ein Partner infiziert war, der andere aber nicht.

 

Eine Hälfte der HIV-positiven Probanden erhielt ab Studienbeginn antiretrovirale Medikamente – insgesamt wurden elf Präparate, die bereits am Markt sind, eingesetzt. Bei der anderen Hälfte verordneten die Ärzte die Mittel erst im Fall von bestimmten gesundheitlichen Veränderungen, bei denen die Medikamente üblicherweise verschrieben werden. Ansonsten wurden alle Teilnehmer in gleicher Weise medizinisch versorgt. Die Ärzte informierten sie auch über Safer Sex und gaben Kondome aus.

 

Insgesamt nahmen 1763 Paare aus Afrika, Asien, Süd- und Nordamerika an der Studie teil, wobei 97 Prozent davon heterosexuell waren. Bei 890 Paaren war der Mann mit HIV infiziert, in 873 Fällen die Frau.

 

Ansteckungsrisiko um 96 Prozent gesenkt

 

Ursprünglich sollte die Studie unter der Leitung von Myron Cohen von der University of North Carolina in Chapel Hill bis 2015 laufen, doch nun fielen die Daten so eindeutig aus, dass sie vorzeitig beendet wurde. Ergebnis: Nur ein einziger Versuchsteilnehmer hat sich bei einem Partner angesteckt, der zur Gruppe derjenigen gehörte, die die ganze Zeit HIV-Medikamente genommen hatte. Alle anderen infizierten sich bei Partnern, die nicht unverzüglich die Medizin erhielten.

 

Insgesamt steckten sich 39 der ursprünglich HIV-negativen Partner mit dem Virus an. Sieben davon flossen nicht in die Statistik ein, da die Analyse der Viren zeigte, dass sich diese Teilnehmer nicht bei ihrem Partner, sondern bei einer dritten Person angesteckt hatten. Vier Fälle sind nach Angaben der Gesundheitsbehörde noch nicht ausgewertet. Es bleiben also 28 Fälle – von denen sich 27 bei einem Partner infiziert, der nicht sofort mit antiretroviralen Mitteln behandelt wurde. Demnach senkte die frühe Medikamentengabe das Ansteckungsrisiko um ganze 96 Prozent.

 

Die Forscher schränken allerdings ein, dass sich die Daten nicht auf homosexuelle Paare übertragen lassen. Im vergangenen Jahr hatten Forscher berichtet, dass ein Medikament die Ansteckungsrate bei homosexuellen Männern senkt – die Daten waren jedoch bei weitem nicht so eindeutig. Zudem berichteten Forscher von einem Vaginalgel, welches das Infektionsrisiko deutlich verringern soll.

 

Michel Sidibé, Direktor des Uno-Programms UNAIDS, bezeichnete das neue Studienergebnis als Durchbruch. “Es macht die HIV-Therapie zu einer neuen Schutzmaßnahme.” Nun müsse man sicherstellen, dass Paaren diese Möglichkeit auch zur Verfügung stehe, wenn sie sie nutzen wollen.

 

Gemeinsam mit der WHO weist UNAIDS allerdings darauf hin, dass keine Präventionsmaßnahme allein vollständig vor HIV schützt. Eine vorbeugende antiretrovirale Therapie müsse mit anderen Schutzmaßnahmen kombiniert werden, wie dem Benutzen von Kondomen.

 

Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation WHO sind weltweit mehr als 33 Millionen Menschen mit dem HI-Virus infiziert, jedes Jahr stecken sich etwa 2,6 Millionen neu an. Im Jahr 2009 starben 1,8 Millionen Menschen an den Folgen von Aids.

 

wbr