Besonders beim Therapiebeginn und bei der Umstellung eines HIV-Medikaments leiden viele HIV-PatientInnen an Durchfall, Übelkeit und Erbrechen. Diese Beschwerden verschwinden in vielen Fällen nach einigen Wochen. Wenn sie besonders schwer oder andauernd sind, gibt es verschiedene Möglichkeiten, wie man ihnen begegnen kann. ÄrztInnen und PatientInnen sollten diese Symptome sorgfältig beobachten und miteinander darüber kommunizieren. Nicht immer ist die antiretrovirale Therapie die Ursache für Magen-Darm-Probleme.

Die HIV-Infektion wirkt sich zerstörerisch aus auf das Immunsystem, und das hat in verschiedenen Hinsichten Folgen für die Magen-Darm-Gesundheit. Die Magen-Darmregion enthält die grösste Konzentration von T-Helferzellen, und diese Zellen sind die wichtigsten Ziele von HI-Viren. Das führt zuerst zu einer Schwächung der Immunabwehr in dieser Gegend. Die antiretrovirale Therapie (ART) kann diesen schädlichen Effekten teilweise vorbeugen, bzw. zu einer Verbesserung der Situation führen.

HIV-Medikamente können aber, durch ihre chemische Wirkung, ihrerseits zu Verdauungsproblemen führen, vor allem zu Beginn einer Therapie. Magen-Darm-Effekte sind ein häufiges Problem mit hoch wirksamen medikamentösen Therapien, die HIV-Therapie ist diesbezüglich kein Sonderfall. Ein grosser Teil der HIV-PatientInnen, die eine Therapie beginnen oder umstellen, leidet vorübergehend an derartigen Beschwerden. (1) Die Probleme reichen von Schluckbeschwerden, über Magenschmerzen und Übelkeit bis zu Erbrechen und Durchfall. Bei einigen PatientInnen sind diese Nebenwirkungen so stark und fortdauernd, dass ein HIV-Medikament ausgewechselt wird, wenn das möglich ist. (2) Grundsätzlich gilt, dass Magen-Darm-Probleme zwar für die Betroffenen höchst unangenehm sein können, sie sind aber nur in den seltensten Fällen medizinisch bedrohlich.

Folgen für die Therapietreue!
Probleme mit der Magen-Darmgesundheit sind einer der wichtigsten Faktoren für die Nichteinhaltung der Therapietreue, bzw. für eine Therapieumstellung. Viele PatientInnen treffen eigene Massnahmen, um Durchfall, Erbrechen und andere derartige Symptome unter Kontrolle zu bringen. Oft wird dabei die Dosierung der HIV-Medikamente verändert, oder es werden spezielle Medikamente eingesetzt, ohne dass der behandelnde Arzt darüber informiert ist. (3) Dies kann zu Therapiekomplikationen führen bis hin zum Therapieversagen. Es ist deshalb wichtig, dass PatientInnen Verdauungsprobleme mit dem Arzt besprechen und dass HIV-Spezialisten diese Rückmeldungen ernst nehmen.

Es existieren diverse Möglichkeiten, um Magen-Darm-Problemen im Zusammenhang mit einer HIV-Therapie wirkungsvoll zu begegnen. Voraussetzung für deren Einsatz ist ein funktionierender Informationsfluss zwischen HIV-Arzt und PatientIn. Es ist ein Vorteil in dieser Situation, wenn HIV-ÄrztInnen klare Vorstellungen haben über die bestehenden – nicht immer schulmedizinischen – Alternativen und PatientInnen zur Ernährungsberatung verhelfen können.

Wenn Magen-Darm-Beschwerden während eines Monats nicht bessern, sollten medizinische Massnahmen ergriffen werden. Nach drei Monaten sollte in der Regel eine Umstellung der ART vorgesehen werden. Nicht in allen Fällen kann das Problem behoben werden. Für PatientInnen mit Therapieversagen, bei denen die Kombination der ART schon mehrfach umgestellt worden ist, bestehen möglicherweise keine Alternativen.

Durchfall
Durchfall (Diarrhoe) gehört zu den verbreitetsten Magen-Darm-Nebenwirkung der ART. In einer Studie der Schweizerischen HIV-Kohortenstudie (SHCS) gaben knapp 30% der 1078 befragten PatientInnen dieses Problem an (4). Durchfall unter ART tritt hauptsächlich nach der Einnahme von Proteasehemmern, bzw. im Anschluss an eine Mahlzeit nach der Medikamenteneinnahme auf. (v.a. bei Saquinavir [Invirase], Fosamprenavir [Telzir], Lopinavir [Kaletra]; weniger Atazanavir [Reyataz] und Darunavir [Prezista]). Die Wirkung aller PIs wird normalerweise mit Ritonavir (Norvir) verstärkt („geboosted“), und auch Ritonavir kann, je nach Dosierung, Duchfall verursachen.

Auch andere Medikamente, vor allem Antibiotika und Chemotherapien, aber besonders auch Infektionen der Magen-Darmregion können zu Durchfall führen.

Andauernder Durchfall ist, ebenso wie Erbrechen, grundsätzlich mit Flüssigkeits- und Nährstoffverlust verbunden. Wenn das Problem anhält, müssen deshalb Flüssigkeit und Nährstoffe ergänzt werden. Ausserdem muss kontrolliert werden, ob die ART-Medikamentenspiegel aufgrund von Durchfall oder Erbrechen beeinflusst werden. Wenn man im Zusammenhang mit diesen Symptomen ungewollt und merklich Gewicht verliert, ist das immer ein Alarmsignal und sollte mit dem Arzt besprochen werden.

Durchfall kann in vielen Fällen durch eine Anpassung der Ernährungsgewohnheiten vermindert werden. Zum Beispiel, indem die HIV-Medikamente, bei denen dies möglich ist (alle PIs in Tablettenform; nicht Fosamprenavir-Saft), zusammen mit einer kleinen Mahlzeit eingenommen werden statt auf nüchternen Magen. Ausserdem sollte auf Speisen wie Sauerkraut, Pflaumen und künstliche Süssstoffe verzichtet werden. Auch die bewährten Hausmittel (zerdrückte Bananen und geraffelte Äpfel) helfen in vielen Fällen. Generell hilft weniger fettige Ernährung Probleme mit Durchfall zu vermeiden. Durchfälle, die von Proteasehemmern herrühren, konnten in vielen Fällen mit Kalziumgabe vermindert werden. (6)

Nützen die Hausmittel nichts, sind diverse rezeptfreie und rezeptpflichtige Medikamente verfügbar, welche die Darmschleimhaut beruhigen, die Darmbewegung hemmen, oder die Stoffaufnahme im Darm verlangsamen können. In schweren Fällen kann zu Loperamid oder zu Opiumtinktur gegriffen werden, die beide stark stuhlhemmend wirken. Beide sind rezeptpflichtig.

Nach einem Durchfall kann der Wiederaufbau der Darmflora durch probiotische Nahrung (z.B. Hefepräparate)  unterstützt werden.

Übelkeit und Erbrechen
Übelkeit und Erbrechen sind generell verbreitete Beschwerden und sie können die unterschiedlichsten Ursachen haben. Dazu gehören auch antiretrovirale Medikamente. Mehr als ein Drittel der PatientInnen, die mit einer HIV-Therapie beginnen, leiden vorübergehend an mehr oder weniger starker Übelkeit, die oft mit Erbrechen verbunden ist. Diese unangenehme und belastende Nebenwirkung dauert in den meisten Fällen nicht länger als einige Wochen bis Monate, dann passt sich der Körper den Wirkstoffen an.(2) Man geht auch hier davon aus, dass nicht der antivirale Effekt der HIV-Medikamente diese Nebenwirkungen hervorruft, sondern ihre chemische Wirkung auf die Magenschleimhaut. Und auch für diese Nebenwirkungen sind hauptsächlich einige Ritonavir-verstärkte Proteasehemmer bekannt (v.a. Lopinavir und Fosamprenavir, weniger Atazanavir, Darunavir, Saquinavir). Unter den nukleosidalen Hemmern der reversen Transkriptase (NRTI) ist besonders Zidovudine für diesen Effekt bekannt.

Übelkeit und besonders fortdauerndes Erbrechen müssen in der Phase des Therapiebeginns sorgfältig beobachtet werden. Wichtig ist, festzustellen, ob diese Erscheinungen in der Tat von den HIV-Medikamenten herrührt, oder ob es andere medizinische Probleme gibt. Je nachdem können passende Massnahmen ergriffen werden. Medizinisch gesehen gilt für Übelkeit und Erbrechen generell, dass ein Arztbesuch immer angezeigt ist, wenn die Beschwerden nicht innert ein bis zwei Tagen vorübergehen.

Hausmittel wie Ingwer, Kamille, feuchtwarme Bauchumschläge, Schonkost sind für ihre wohltuende Wirkung bekannt. In schwereren Fällen können auch Medikamente angewendet werden. Domperidon (z.B. Motilium) und Metoclopramid (z.B. Paspertin) wirken fördernd auf die Bewegung des Magen- Darmtraktes, Dimenhydrinat (z.B. Vomex) und so genannte Neuroleptika wie Promethazin (Atosil) wirken auf das Gehirn.

Sodbrennen
Bei erwachsenen Menschen ist das charakteristische, saure Aufstossen im Bereich hinter dem Brustbein unabhängig von einer HIV-Therapie ein relativ verbreitetes Problem. Im Unterschied zur Übelkeit ist Sodbrennen in indirekter Effekt von ART-Medikamenten. Es kann z.B. bei fortdauernder Übelkeit und Erbrechen als Nebenerscheinung auftreten. Der Grund ist ein unvollständiger Verschluss der Magenpforte (Kardia) in Richtung Speiseröhre (Kardiainsuffizient). Dies kann verschiedene Ursachen haben und bedingt bei chronischem Auftreten eine genauere medizinische Abklärung.

Sodbrennen hat aber häufiger mit falscher Ernährung zu tun. Ein Übermass an fettigem Essen, Schokolade und anderen Süssigkeiten, sowie Alkohol (v.a. Weisswein) und Nikotin können das Schliessvermögen der Magenpforte vermindern. Auch Pfefferminztee hat grundsätzlich diesen Effekt. Starkes Übergewicht, bzw. zu reichhaltiges Essen kann ausserdem das Schliessvermögen der Kardia übersteigen.

Da der chronische Rückfluss von Magenflüssigkeit in die Speiseröhren langfristig zu Entzündungen und sogar zu Karzinomen führen kann, muss dieses Problem rechtzeitig erkannt und behandelt werden. Entweder werden dazu Säureregulatoren eingesetzt (Omeprazol, Cimetidin, Famutidin) oder Mittel zur Förderung der Darmaktivität (Domperidon, Metoclopramid).

Der Einsatz von Säureregulatoren kann Auswirkungen auf die ART-Wirkstoffe haben, speziell beim Einsatz von Atazanavir. Mit diesem Medikament dürfen keine Säurehemmer eingenommen werden. Die anderen ART-Wirkstoffe können dagegen, mit genügendem Zeitabstand zu Säurehemmern, eingenommen werden.

Magenschmerzen (Gastritis)
Die Gastritis ist eine Entzündung der Magenschleimhaut und diese kann durch Medikamente, auch durch eine HIV-Therapie, verursacht sein. Gastritits geht typischerweise einher mit Brennen, Stechen, Übelkeit, Krämpfen, oder dumpfe Schmerzen und Völlegefühl. Gastritis kann, wie Sodbrennen, durch Säureregulatoren bekämpft werden. Wie oben erwähnt gilt auch hier, dass die Einnahme entsprechender Gegenmittel in jedem Fall mit einer HIV-Therapie abgestimmt werden muss.

 

Rainer Kamber, Aids-Hilfe Schweiz

(1) Brenchley JM, Schacker TW, Ruff LE et al., «CD4+ T cell depletion during all stages in HIV disease occurs predominantly in the gastrointestinal tract», in Journal of Experimental Medicine, Sept. 2004, 6(200), S. 749–59; Kotler DP, «HIV infection and the gastrointestinal tract», in AIDS, 2005, 19(2), S. 107–17.
(2) Trottier B, Walmsley S, Reynes J et al., «Safety of enfuvirtide in combination with an optimized background of antiretrovirals in treatment-experienced HIV-1-infected adults over 48 weeks», in JAIDS, 2005, 40(4), S. 413–21.
(3) Hill A, Balkin A, «Risk Factors for Gastrointestinal Adverse Events in HIV Treated and Untreated Patiens», in AIDS Reviews, 2009, 11(1), 30–38; Guest JL, Ruffin C, Tschampa JM et al, «Differences in Rates of Diarrhea in Patients with Human Immunodeficiency Virus Receiving Lopinavir-Ritonavir or Nelfinavir», in Pharmacotherapy, 2004, 24(6), S. 727–35.
(4) O’Brien M, Clark R, Besch C et al., «Patterns and correlates of discontinuation of the initial HAART regimen in an urban outpatient cohort», JAIDS, 2003, 34(4), S. 407–14.
(5) Heath KV, Singer J, O’Shaughnessy, MV et al., «Intentional Nonadherence Due to Adverse Symptoms Associated With Antiretroviral Therapy», in JAIDS, Okt. 2002, 31(2), S. 211–17; Siddiqui U, Bini EJ, Chandarana K et al., «Prevalence and Impact of Diarrhea in the Era of Highly Active Antiretroviral Therapy», in Journal of Clinical Gastroenterology, 2007, 41(5), S. 484–90.
(6) Keiser O, Fellay J, Opravil M et al., «Adverse events to antiretrovirals in the Swiss HIV Cohort Study: effect on mortality and treatment modification», in Antiviral Therapy, 2007, 12(8), S. 1157–1164.
(7) Bonfanti P, Valsecchi L, Parazzini F, «Incidence of Adverse Reactions in HIV Patients Treated With Protease Inhibitors: A Cohort Study», in JAIDS, März 2000, 23(3), S. 236–45.
(8) «Magen-Darm- und Leberbeschwerden – Nebenwirkung der HIV-Therapie», MEDINFO Medizinische Informationen zu HIV und AIDS, Nr. 73, Hg. Aidshilfe Köln 2010, www.hiv-med-info.de. Die Deutsche Aidshilfe führt eine Website, die eine Reihe wertvoller Informationen zum Umgang mit Magen-Darm-Beschwerden enthält: www.hiv-wechselwirkungen.de.
Swiss Aids News 2, Juni 2010, www.aids.ch
Swiss Aids News 2, Juni 2011, www.aids.ch