Seit 1986 kennen wir die STOP AIDS Kampagne. Es ist unglaublich, wie mutig diese Kampagne vor 32 Jahren auftrat. Wie sie aufrüttelte und sich einprägte, wie sich Politiker und ab und zu ein Bischof über die einfachen und direkten Botschaften erregten. Und wie wirksam sie war, schwulen Männern und dem ganzen Volke Safer Sex beizubringen.

Sie hat in den Anfangsjahren keinen kalt gelassen. Die jährliche Kampagne war in aller Munde, machte aus einem verschlafenen Bundesamt eine hippe Bude und half uns Betroffenen, HIV in unserem Umfeld zu thematisieren ohne gleich in einem Tränental zu versinken.

Aus der tödlichen Gefahr der Anfangsjahre wurde nach einem Jahrzehnt dank einem unglaublichen Forschungseffort eine chronische Erkrankung. Die offene Drogenszene verschwand: Wer Drogen brauchte, bekam Zugang zu neuen Spritzen und wer sich beim Sex infizierte, wurde nicht mehr krank. Diese Entwicklung ging an der Kampagne nicht spurlos vorbei. Aus „STOP AIDS“ wurde 2005 „LOVE LIFE. STOP AIDS”, sechs Jahre später haben wir nur noch “LOVE LIFE” und seit drei Jahren sagt man „LOVE LIFE. Bereue nichts“.

Mit dem Slogan „Bereue nichts“ hatten wir als Betroffene einige Mühe1,2 – unsere Intervention beim Bundesamt stiess jedoch auf taube Ohren. Da war eine Strategiegruppe am Werk, an welcher jede noch so gut formulierte und begründete Kritik abprallte. Wir haben auch erlebt, wie die Kampagne der Eidgenössischen Kommission für Sexuelle Gesundheit EKSG präsentiert wurde, und wie die dort geäusserte Kritik lapidar mit einem „zu spät“ unter den Tisch gewischt wurde. Die eben lancierte neuste Ausgabe von Love Life schlägt dem Fass den Boden aus – das unsägliche „Bereue nichts“ wird nun endgültig zum sauglatten Cabaret und es gibt gar einen Rasenmäher oben drauf. Gute zwei Millionen lässt das Bundesamt dafür springen. Dafür darf man rätseln, wer mit dieser Kampagne angesprochen werden sollte. Die allzu forcierte Doppeldeutigkeit der Videoclips wirkt ermüdend und bemüht.

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Was wir wollen
Wir haben eine nationale Präventionsstrategie mit klar definierten Zielgruppen. Seit gut 15 Jahren sollte auch allen klar sein, dass die sogenannte „Normalbevölkerung“ keine Zielgruppe für die HIV-Prävention ist. Wir fragen uns:

Wir fordern eine HIV-Prävention, die bei der Realität jener Menschen ist, welche sich einem Ansteckungsrisiko oft unbewusst aussetzen. Wir fordern eine Prävention, welche aus Betroffenen keine armseligen Opfer macht, welche lebenslänglich etwas zu bereuen haben. Und wir fordern Präventionsstrategien, welche alle wissenschaftlich erwiesenen wirksamen Methoden gleichermassen berücksichtigt und die sich konsequent auf das Ziel „neue Ansteckungen verhindern“ ausrichtet.

Wir fordern wirklich unabhängige externe Evaluationen unter Aufsicht der EKSG, mehr Transparenz bei der Erteilung von externen Mandaten und einen aufrichtigen Einbezug von Betroffenen bei der Gestaltung von Kommunikationskampagnen.

Die zwei Millionen Jahresbudget würden zum Beispiel eine Dauer-PrEP für 1‘850 schwule Männer7 finanzieren. Wir geben es zu: Auch diese Prävention kostet was. Dafür wirkt sie dort, wo es nötig ist.

 

David Haerry / September 2018

 

1https://positivrat.ch/cms/standpunkte/positionen/42-neue-love-life-kampagne-ein-leben-lang-bereuen.html

2https://positivrat.ch/cms/standpunkte/positionen/43-nicht-diskriminierung-darf-nicht-zum-lippenbekenntnis-werden.html

3https://www.woz.ch/-86aa

4Salazar-Vizcaya L et al. Highly Dissimilar Patterns of Sexual Risk Behaviour among HIV-positive Men who Have Sex with Men: Clustering Individual Trajectories in the Swiss HIV Cohort Study from 2000 to 2017. 16th European AIDS Conference, October 25-27, Milan, abstract PS12/1, 2017

5https://positivrat.ch/cms/medizin/shcs/338-information-shcs-hohe-anzahl-symptomloser-sexuell-uebertragebarer-infektionskrankheiten-bei-hiv-infizierten-maennern-die-sex-mit-maennern-haben.html

6https://positivrat.ch/cms/medizin/studien/166-neues-aus-der-kohortenstudie-shcs-wer-verursacht-neuansteckungen-mit-hiv-die-wichtigsten-gruende-sind-eine-frische-infektion-und-therapieunterbrueche-der-quellperson-1.html

7Annahme: Generisches Truvada der Kölner Birkenapotheke, Monatsdosis bei Dauereinnahme 90 CHF