Leon-Reyes S. et al, Clinical Infectious Diseases Februar 2019

 

Um die aktuellen und zukünftigen Bedürfnisse von HIV-infizierten Personen in der Schweiz abschätzen zu können, sind verlässliche Daten zu den Kosten und der Ressourcennutzung im Gesundheitswesen von entscheidender Bedeutung. Bisherige Studien zu den Kosten, welche bei der Behandlung HIV-infizierter Personen anfallen, waren nicht repräsentativ und deshalb nur von begrenztem Nutzen für die Entscheidungsträger im Gesundheitswesen. In der vorliegenden Pilotstudie wurden nun erstmals auf anonymisierte Weise Gesundheitsdaten aus der Schweizerischen HIV-Kohortenstudie (SHCS) mit Daten des größten Schweizer Krankenversicherers Helsana miteinander verknüpft, um die Kosten abschätzen zu können, welche bei der Behandlung der HIV-Infektion entstehen. Wie hoch diese Kosten ausfallen und durch welche Faktoren diese beeinflusst werden, lesen sie weiter unten.

Für die vorliegende Analyse wurden die Daten aller Versicherungsnehmer der Krankenversicherung Helsana, welche einen Datensatz für eine antiretrovirale Therapie (n = 2‘355) aufwiesen, mit den Daten antiretroviral behandelter Patienten aus der SHCS (n = 9‘326) in den Jahren 2012 und 2013 anonym verknüpft. Die primären Studienendpunkte waren die gesamten Gesundheitskosten in den Jahren 2012 und 2013 pro Patient in der HIV-infizierten Schweizer Bevölkerung. Die Patienten wurden für diese Analyse bezüglich Ressourcen-Aufwand in Gruppen mit niedrigem, mittlerem und hohem Risiko eingestuft.

Die Durchschnittskosten für die Behandlung HIV-infizierter Personen in der Schweiz in den Jahren 2012 und 2013 betrugen CHF 32‘289 und CHF 33‘132 und entfielen hauptsächlich auf die Kosten der antiretroviralen Therapie in der ambulanten Behandlung (70% der durchschnittlichen Kosten).

Für die risikoarme Gruppe betrugen die Kosten in den Jahren 2012 und 2013 durchschnittlich CHF 28‘378 und CHF 27‘699.

In der mittleren Risikogruppe lagen die jährlichen Kosten in den Jahren 2012 und 2013 um mehr als CHF 3‘737 (13%) und CHF 4‘629 (17%) höher bzw. in der hohen Risikogruppe um CHF 14’867 CHF (52%) und 14‘516 (52%) höher.

Zusammenfassend zeigt diese Studie, dass der Hauptteil der Kosten bei der Behandlung von HIV-infizierten Personen in der Schweiz auf die antiretrovirale Therapie entfällt. Eine detaillierte Analyse der studierten Personengruppen ergab, dass folgende Faktoren mit erhöhten Behandlungskosten vergesellschaftet waren: zunehmendes Alter, vorgängige AIDS Diagnose, psychiatrische Begleiterkrankungen, Drogen- und Alkoholkonsum sowie eine niedrige Medikamentenadhärenz. Ein wiederholter Abgleich von SHCS- und Gesundheitsdaten von Krankenkassen in einer größeren Stichprobe könnte wesentliche Daten liefern, um zukünftige Kosten zu modellieren, welche die Gesundheitspolitik auf verschiedenen Ebenen beeinflussen könnte.



Kommentar Positivrat

David Haerry

Diese Studie ist eine Pioniertat. Noch nie hat die HIV-Kohorte ihre Daten mit jener einer grossen Krankenkasse verglichen. Natürlich anonymisiert, das versteht sich. 70% der HIV-Patientenkosten werden für Medikamente ausgegeben – eine eher banale Erkenntnis. Dass es nun „Risikogruppen“ gibt, welche um bis zu 50% höhere Kosten verursachen, wird hier zum ersten Mal berechnet. Alter, psychische Gesundheit, Alkohol- und Drogenkonsum sowie eine schlechte Adhärenz sind die wichtigsten Faktoren.

Wenn jetzt die Autoren weitere und noch grössere Studien fordern, „um die Gesundheitspolitik zu beeinflussen“, dann heisst es aufgepasst. Auf die betroffenen Patienten darf kein zusätzlicher Druck ausgeübt werden. Sie brauchen eher noch mehr Zeit und Zuwendung durch die Betreuenden. Mit dem bundesrätlich verordneten, auf 20 Minuten reduzierten Tarmed wird das nicht zu machen sein. Herr Berset’s Kostenbremse ist bei vielen HIV-Patienten ein Rohrkrepierer. Das hätte man betonen müssen, statt die vulnerablen Gruppen blosszustellen.