Wenn es um die Gesundheit geht, ist es entscheidend, zu verstehen und verstanden zu werden. Fremdsprachige brauchen daher bei Beratungsgesprächen oder Arztkonsultationen nicht selten interkulturelles Übersetzen – eine Dienstleistung, die in der multikulturellen Schweiz zusehends an Bedeutung gewinnt.
Die Behandlung und Prävention von HIV/Aids ist ein komplexes und sehr sensibles Thema, bei dem vertrauensvolle und differenzierte Gespräche eine zentrale Rolle spielen. Wenn diese Gespräche auch mit den hierzulande lebenden Migranten und Migrantinnen gelingen sollen, ist die Anwesenheit von interkulturellen Übersetzern oder Übersetzerinnen oft unerlässlich. Interkulturelles Übersetzen unterscheidet sich vom herkömmlichen Dolmetschen darin, dass bei Bedarf auch eine kulturelle Übersetzungsleistung erbracht wird; etwa indem die am Gespräch Beteiligten auf unterschiedliche Wahrnehmungen, Wertvorstellungen und Bedeutungen aufmerksam gemacht werden.
Zurzeit leben in der Schweiz schätzungsweise 200‘000 Personen, die weder eine Landessprache noch Englisch verstehen. In der Migrationsbevölkerung, die etwa einen Fünftel der Wohnbevölkerung ausmacht, gibt es zudem eine nicht zu unterschätzende Anzahl von Personen, die zwar ein Alltagsgespräch bewältigen können, aber von komplizierteren Erläuterungen zu Gesundheitsfragen bald einmal sprachlich überfordert sind. Dies kann sich zum Beispiel bei Arztgesprächen negativ auf das Vertrauensverhältnis, die Patientenzufriedenheit und die Therapietreue auswirken; zudem besteht auch das Risiko einer Fehldiagnose oder falschen Behandlung.
Fachleute und Behörden haben das Problem erkannt: Das interkulturelle Übersetzen ist daher seit 2002 ein Schwerpunkt des Nationalen Programms Migration und Gesundheit, das durch das Bundesamt für Gesundheit umgesetzt wird. Bislang sind 650 Personen als interkulturelle Übersetzer bzw. Übersetzerinnen in den 50 geläufigsten Sprachen der Migrationsbevölkerung zertifiziert worden. Sie sind an die Schweigepflicht gebunden und können – im Gegensatz zu den spontan zum Übersetzen herbeigezogenen Angehörigen von Fremdsprachigen – eine professionelle Qualität der Verständigung bei Arztkonsultationen oder Beratungsgesprächen gewährleisten. Ihre Dienste können via regionale Vermittlungsstellen angefordert werden, die auf der Webseite der Dachorgansiation Interpret aufgelistet sind.
Im Rahmen des Programms Migration und Gesundheit tragen auch folgende Projekte und Publikationen zur Förderung des interkulturellen Übersetzens bei:
- Fachpersonen aus dem Gesundheitsbereich können via Webseite migesplus.ch Gesundheitsinformationen in mehr als 25 Sprachen beziehen, um diese in ihrem Praxisalltag an Migranten und Migrantinnen abzugeben. Es sind dort auch zahlreiche fremdsprachige Broschüren über HIV/Aids zu finden.
- Das Handbuch „Diversität und Chancengleichheit“, das im Rahmen des Projekts Migrant Friendly Hospitals entstanden ist, weist den Bedarf nach interkulturellem Übersetzen im Spitalalltag nach und macht konkrete Empfehlungen für die Umsetzung.
- Der Dokumentarfilm „Verstehen kann heilen“ veranschaulicht, wie interkulturelles Übersetzen im Spitalalltag eingesetzt wird.
- Das Rechtsgutachten „Übersetzen im Gesundheitsbereich: Ansprüche und Kostentragung“ belegt, dass niemandem wegen mangelnder Sprachkenntnisse eine medizinisch indizierte Behandlung vorenthalten werden darf. Zudem muss die Aufklärung zur Erreichung des „informed consent“ in einer für den Patienten bzw. die Patientin verständlichen Sprache erfolgen.
- Die Vorstudie „Kosten und Nutzen des interkulturellen Übersetzens im Gesundheitswesen“ skizziert, wie die Argumentation wissenschaftlich zu belegen ist, dass dank interkulturellem Übersetzen ungünstige Krankheitsverläufe und medizinische Überversorgung vermieden werden können.
- Um den Einsatz von interkulturellem Übersetzen weiter zu fördern und zu vereinfachen plant das Bundesamt für Gesundheit auch den Aufbau eines nationalen Telefondolmetschdienstes, mit dem noch dieses Jahr begonnen werden soll.
Kurzum, es tut sich vieles. Jetzt sollte das vielfältige Angebot nur noch besser bekannt und genutzt werden.
Agatha Blaser, Bundesamt für Gesundheit, Nationales Programm Migration und Gesundheit, agathe.blaser@bag.admin.ch
Nützliche Links:
Dachorganisation Interpret: www.inter-pret.ch
Gesundheitsratgeber für Migranten und Migrantinnen: www.migesplus.ch
Nationales Programm Migration und Gesundheit (Film, Spitalhandbuch und wissenschaftliche Studien): www.miges.admin.ch
Swiss Aids News 2, Juni 2010, www.aids.ch