Clinical Infectious Diseases

Marzel et al., Hauptgründe für neue HIV-Infektionen in der SHCS

Es gilt, dass Personen unter einer wirksamen HIV-Therapie und regelmässiger Einnahme ihrer HIV-Medikamente das HIV sexuell nicht mehr auf andere Personen übertragen können. Zudem ist bekannt, dass die Infektiosität von HIV-infizierten Personen in den ersten Monaten nach Ansteckung am höchsten ist. Viele HIV-infizierte Personen wissen jedoch nicht, dass sie infiziert sind, weil sie sich nicht auf HIV testen lassen. Der frühzeitigen Erkennung der HIV-Infektion und dem unmittelbaren Beginn der HIV-Therapie bei neu-diagnostizierten Personen kommt somit eine entscheidende Bedeutung zu, um die Rate an HIV-Übertragungen in der Schweiz senken zu können. Es ist deshalb wichtig zu wissen, wie viele der HIV-Infektionen durch Leute übertragen werden, welche sich in der frühen Phase der Infektion befinden und welchen Einfluss die Unterbrechung der HIV-Therapie auf die HIV-Übertragungen hat.

Marzel und Kollegen haben in ihrer Studie untersucht, wie viele der neu-diagnostizierten HIV-Infektionen in der Schweiz von Personen stammen, welche sich in den ersten 12 Monaten nach Ansteckung mit HIV befinden. Hierfür haben sie anonymisiert die genetischen Daten von den HIV-Resistenztestungen von 10’970 Teilnehmern aus der Schweizerischen Kohortenstudie ausgewertet und einen genetischen Stammbaum erstellt. Innerhalb dieses genetischen Stammbaumes konnten sie schliesslich bis zu 378 sogenannte potentielle Übetragungs-Paare identifizieren, in welchen die eine Person mit grosser Wahrscheinlichkeit ihr HIV auf die andere Person übertragen hatte. Ausgehend von diesen Übertragung-Paaren konnten die Autoren der Studie ausrechnen, dass bis zu 56% der HIV-Übertragungen in der Schweiz von Personen stammen, welche sich in den ersten 12 Monaten nach Ansteckung befinden. Eine Übertragung in der chronischen Phase der HIV-Infektion war umso höher, wenn bei den HIV-infizierten Personen die HIV-Therapie erst spät begonnen wurde und je höher die HIV-Viruslast der unbehandelten Personen war. Zudem fanden 14% der Übertragungen bei Personen statt, welche ihre HIV-Therapie unterbrochen oder gestoppt hatten.

Zusammenfassend zeigt diese Studie, dass die meisten Infektionen in der Schweiz von HIV-infizierten Personen übertragen werden, welche sich noch in der Frühphase ihrer HIV-Infektion befinden oder ihre HIV-Therapie abgesetzt haben. Um die HIV-Epidemie in der Schweiz wirksam bekämpfen zu können, ist es deshalb sehr wichtig, die Personen bereits früh nach der Infektion zu diagnostizieren und die HIV-Therapie unmittelbar nach Diagnosestellung zu beginnen. Eine Unterbrechung der HIV-Therapie sollte nicht mehr erfolgen und immer mit dem Arzt abgesprochen werden.

Zusammenfassung: Dr Dominique Braun, Universitätsspital Zürich


Kommentar Positivrat

David Haerry

Diese Studie zeigt uns eindrücklich, wo wir die HIV-Prävention in der Schweiz verbessern können. Menschen mit hohem Risikoverhalten müssen häufiger testen und im Falle einer Ansteckung sofort therapieren, oder sie brauchen eine PrEP. Und wir müssen verhindern, dass Patienten ihre Therapie absetzen. Wenn wir hier nicht effiziente Strategien entwickeln, bleibt die Erreichung der 90-90-90 Ziele der UNAIDS eine Illusion.