HOPE – 40 Jahre Leben mit HIV
Unter dem Titel «HOPE – 40 Jahre Leben mit HIV – Gemeinsam Hoffnung schaffen» organisiert die Aids-Hilfe Schweiz verschiedene Aktivitäten. Neben einer öffentlichen Kampagne im Vorfeld des Welt-Aids-Tages am 1. Dezember war die Fachtagung vom 2. Oktober in Bern ein mehr nach innen gerichteter Schwerpunkt. Teilgenommen haben Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der regionalen Mitglieder der AHS. Wir unterhalten uns mit dem Programmleiter «Menschen mit HIV» Nathan Schocher.
Q: Nathan, was genau wollt Ihr mit der Fachtagung erreichen?
A: Wir möchten gemeinsam auf 40 Jahre Leben mit HIV zurückschauen, aber auch miteinander besprechen, wo heutige und künftige Herausforderungen liegen im Kampf gegen HIV.
Q: Das Programm berührt viele Aspekte – Geschichte von HIV in der Schweiz; HIV und schwule Politik, HIV und Stigma, LGBTIQ+ in der Schweiz und Leben mit HIV heute – welche waren Dir besonders wichtig?
A: Als Programmleiter «Menschen mit HIV» ist mir das Thema Stigma besonders wichtig. Aus meiner Sicht ist Stigma ein Schlüsselwort, das in fast allen Aspekten der Tagung auftaucht und untrennbar mit der Geschichte von HIV verwoben ist.
Q: Eine Programmlücke aus unserer Sicht ist die Situation der Migranten mit HIV. Gemessen an der Zahl der Menschen welche die regionalen Aids-Hilfen aufsuchen, erstaunt uns das. Warum wurde das Thema ausgelassen?
A: Es sollte ursprünglich von einem Referenten aufgenommen werden, der dann jedoch leider kurzfristig abgesagt hat. Ich hoffe, das Thema an einer nächsten Veranstaltung aufnehmen zu können.
Q: Was war für Dich die wichtigste Erkenntnis der Veranstaltung? Und gibt es Rückmeldungen aus dem Publikum?
A: Am Wichtigsten war für mich, zu sehen, wie stark das Stigma rund um HIV weiterhin auch ganz alltägliche Aspekte im Leben von Menschen mit HIV bestimmt. Die persönlichen Stellungnahmen der eingeladenen Menschen mit HIV haben nicht nur mich, sondern auch viele im Publikum sehr bewegt.
Q: Seit wie vielen Jahren bist Du bei der Aids-Hilfe Schweiz, und was macht Deine Arbeit spannend?
A: Ich arbeite nun fast sechseinhalb Jahre bei der Aids-Hilfe Schweiz. Mich interessiert, wie sich im Thema HIV medizinische, gesellschaftliche und moralische Diskurse überschneiden.
Q: Gibt es Erlebnisse mit Menschen mit HIV, die Dich geprägt haben?
A: Ja, lange bevor ich begonnen habe, bei der Aids-Hilfe Schweiz zu arbeiten, hat sich mir ein Freund kurz nach seiner HIV-Diagnose anvertraut. Aber auch durch meine Arbeit lerne ich immer wieder Menschen mit HIV kennen, die trotz eigener schwieriger Lebensumstände noch die Kraft finden, sich für andere einzusetzen – ich bewundere das.
Q: Einige haben den Wissenstand zu U=U in der Allgemeinbevölkerung, aber auch beim schwulen Dating beklagt. Was unternimmt die AHS in diesem Bereich?
A: Seit einigen Jahren nutzen wir jeweils den Welt-Aids-Tag am 1. Dezember für eine Kampagne zu U=U, die an die Allgemeinbevölkerung gerichtet ist. Bis dieses Wissen aber auch überall angekommen ist, wird es wohl noch Zeit brauchen. In der schwulen Community verbreiten wir die Botschaft U=U schon länger, leider kommt es gerade auf Dating Apps zu viel Abwertung und Diskriminierung nicht nur bezüglich des HIV-Status.
Q: Viren sind wieder mal in aller Munde und in der Presse. Inwieweit berührt das Eure Arbeit bei der AHS?
A: Letztes Jahr hat es um den 1. Dezember zu grösserer Aufmerksamkeit geführt. Den Rest des Jahres haben sich die Medien jedoch kaum für etwas anderes als Covid-19 interessiert. Allgemein macht uns Sorgen, dass der Zugang zu Tests und Beratung trotz Covid-19 uneingeschränkt gewährleistet bleibt. Und nicht zuletzt führt die Zunahme von Falschinformationen über Infektionskrankheiten zu Verunsicherung und mehr Anfragen an uns aus der Bevölkerung.
Q: Wenn Du nach vorne schaust, welche Themen im Bereich «Menschen und Leben mit HIV» werden uns in den nächsten Jahren beschäftigen?
A: Prekarität ist ein Thema, das mich umtreibt. Viele Menschen leben gut mit HIV, aber es gibt doch nicht wenige Menschen mit HIV in grossen Schwierigkeiten. Das können Long Time Survivors (Langzeitüberlebende) sein, denen die IV die Rente streicht, alleinerziehende Mütter oder Sans-Papiers. Zudem geht es vielen Menschen mit HIV durch das Stigma auch psychisch nicht gut.
Q: Und gibt es noch irgendwas, was Du uns sagen möchtest?
A: Super gibt es den Positivrat! Euer kritisches Engagement ist unverzichtbar, um die für Menschen mit HIV wichtigen Themen auf der Agenda zu halten.
David Haerry / Oktober 2021