Alle zwei Jahre wieder steht die HIV Glasgow in der Agenda. Der Kongress hat ein spezielles Image – miserables Wetter aber sehr freundliche Stadtbewohner in Glasgow – und eine Veranstaltung wo man nichts verpassen kann, weil es bloss eine Programmschiene gibt; man freut sich auf ein abwechslungsreiches Programm und auf gute Gespräche mit Kollegen, weil man etwas mehr Zeit hat als sonst.
Die heurige Ausgabe der Konferenz war bis auf das Wetter in bester Glasgow-Tradition. Es war frisch und kühl, doch herrschte meist strahlender Sonnenschein.
Patiententhemen: ein Workshop zum Thema Heilung von HIV und eine spezielle Session zum Thema „Altern mit HIV“
Der Community Workshop zu Aspekten der Forschung im Bereich Heilung von HIV hat sich mittlerweile etabliert. Einmal im Jahr treffen sich Aktivisten mit Forschern an der Retrovirenkonferenz in den USA im März und ein weiteres Mal an der jeweiligen europäischen Aidskonferenz im Herbst. Glasgow 2018 thematisierte erstmals Verhaltenswissenschaften und Ethik in diesem Forschungsbereich. Und dazu gab es durchaus einiges zu bedenken und besprechen. Sind die Erwartungen der Forscher und der beteiligten Patienten im Einklang? Die an Studien teilnehmenden Patienten geben ihre Einwilligung zu teilweise heftigen Eingriffen mit grösseren Auswirkungen. Den Forschern hingegen ist klar, dass bei diesen Studien niemand geheilt werden wird. Möglichst viele neue Erkenntnisse sollen die Forschung vorantreiben – das sind die realistischen Ziele der laufenden Studien. Ist den teilnehmenden Patienten immer bewusst, dass sie persönlich wohl kaum von der laufenden Forschung profitieren werden? Die heutigen Therapien sind derart sicher und wirksam – lohnt es sich wirklich, trotzdem auf eine mögliche Heilung hinzuarbeiten? Die Teilnahme an diesen Studien ist ja nicht ganz ohne Risiko, denn die meisten laufenden Versuche beinhalten einen Therapieunterbruch. Jeder Unterbruch der Therapie beinhaltet ein Risiko, und die Studienteilnehmer sollten dieses verstehen. Das Thema ist komplex. Die beiden Aktivisten Richard Jefferys und Simon Collins haben eine Empfehlung für die Forschung mit Therapieunterbrüchen entworfen[1].
Die Community Session der European AIDS Treatment Group reflektierte über das abgeschlossene „Ageing“-Projekt der Organisation. War das Projekt ursprünglich speziell aufs Älterwerden mit HIV angelegt, befasste man sich zusätzlich mit Kindern und Jugendlichen sowie mit Erwachsenen im Alter von 18 bis 50 Jahren. Das war sicher gut gemeint, doch zeigte sich bei den Präsentationen der drei Achsen, dass der ursprüngliche Fokus verloren ging. Es wurden durchaus wertvolle Erkenntnisse gewonnen, doch stellt sich jetzt die Frage was man damit macht. In Glasgow wurde das nicht ganz ersichtlich.
HIV-Therapie: Die Neuigkeiten in Kürze
- Janssen präsentierte 96-Wochen Daten einer neuen Einzelpillenkombination mit dem Proteaseinhibitor Darunavir. Die weiteren Substanzen sind Emtricitabine, Tenofovir Alafenamide und Cobicistat. In den USA, der EU und Kanada ist die neue Kombination bereits zugelassen. Sie wird vor allem für jene Patienten interessant, welche eher Mühe mit der Adhärenz haben, da sich mit dieser Kombination kaum Resistenzen bilden.
- Gilead zeigt ebenfalls 96-Wochen Daten mit dem neuen Integraseinhibitoren Bictegravir, verglichen mit dem bereits bekannten Konkurrenzprodukt Dolutegravir[2]. In der vorgestellten Studie hatten die Patienten unter Bictegravir weniger Nebenwirkungen als mit Dolutegravir. Interessanterweise gab es aber keinen Unterschied bei den Therapieabbrüchen aufgrund von Nebenwirkungen. Die Kombinationspille enthält ebenfalls Emtricitabine und Tenofovir Alafenamide. In der EU ist die Pille seit Ende April 2018 zugelassen.
- Eine französische Studie verglich die Wirksamkeit von Dolutegravir mit niedrig dosiertem Efavirenz.[3] Zwar waren beide Substanzen gleich wirksam, doch sind die Patienten unter Dolutegravir besser vor Resistenzen geschützt. Das ist eine wichtige Erkenntnis für den Einsatz von Dolutegravir in Afrika – wir erläutern das gleich anschliessend.
- Sicherheit von Dolutegravir während einer frühen Schwangerschaft – wir haben im Mai darüber berichtet[4]: Es gibt im Moment keine neuen Erkenntnisse zu den Beobachtungen in Botswana. Das Signal wird weiter untersucht und die Sicherheitsempfehlungen vom Mai 2018 bleiben bestehen. Es gibt aber auch keine zusätzlichen Hinweise puncto Sicherheit von Dolutegravir. Bei den anderen Integraseinhibitoren (Raltegravir, Elvitegravir und Bictegravir) wurde das Signal nicht beobachtet. Weitere Daten werden im Frühjahr 2019 erwartet. Wir dürfen hoffen, dass es dabei bleibt – wie wichtig die Substanz im südlichen Afrika ist, zeigt die oben geschilderte Studie mit niedrig dosiertem Efavirenz im Vergleich zum Integraseinhibitoren.
- Theratechnologies präsentierte Daten zur Substanz Ibalizumab, einem mono-klonalen Antikörper welcher bei Patienten mit Mehrfachresistenzen erfolgreich eingesetzt wird[5]. Die Substanz, welche in den USA im April zugelassen wurde, wird alle zwei Wochen gespritzt. Die Studienteilnehmer waren ältere Patienten mit einer fortgeschrittenen Erkrankung welche seit über zwanzig Jahren mit HIV leben. Die Zahl der Studienteilnehmer war allerdings sehr tief, und es fragt sich wie solid die Erkenntnisse sind.
PrEP
Der Einsatz der Prä-Expositionsprophylaxe PrEP war anfänglich bei vielen Ärzten umstritten. Wie sehr sich das geändert hat, zeigte die interaktive Session mit Roy Gulick. Er stellt dem Publikum seit Jahren dieselbe Frage zum Einsatz von PrEP. Waren es vor 4 Jahren noch mickrige 10% der Anwesenden, welche in einer spezifischen Fragestellung zur PrEP gegriffen hätten, sind es jetzt über 70%. Damit ist die PrEP definitiv aus der Schmuddelecke entwachsen.
Zwei interessante Studien zum Thema:
- Generisches, online gekauftes Truvada ist sicher und enthält die korrekten Substanzen in der richtigen Menge[6]. Das sind gute Nachrichten auch für PrEP-Nutzer in der Schweiz. Wichtig ist aber, einen der durch Ärzte und Checkpoints empfohlenen Kanäle zu benutzen und nicht irgendwo irgendwas online zu besorgen. Bitte auch beachten, dass ein ärztliches Rezept vorliegen muss, sonst wird die Sendung am Zoll beschlagnahmt.
- Über die Sicherheit einer PrEP hat man sich lange Sorgen gemacht. Man befürchtete insbesondere Schädigungen der Nierenfunktion sowie einen negativen Einfluss auf die Knochendichte. In der in Glasgow gezeigten Meta-Analyse konnte kein Hinweis auf ein erhöhtes Risiko von Nebenwirkungen gefunden werden[7].
Die nächste grössere HIV-Konferenz in Europa wird die EACS 2019 vom 6. bis 9. November 2019 in Basel. Wir berichten aber bereits im Frühjahr wieder von der Retrovirenkonferenz aus Seattle.
David Haerry / November 2018
[1] http://i-base.info/htb/wp-content/uploads/2014/07/Community-TI-draft-for-comment-210714.pdf
[2] Stellbrink H et al. Phase III randomized, controlled clinical trial of bictegravir coformulated with FTC/TAF in a fixed-dose combination (B/F/TAF) versus dolutegravir (DTG) + F/TAF in treatment naıve HIV-1 positive adults: Week 96 results. International Congress on Drug Therapy in HIV Infection (HIV Glasgow), Glasgow, 2018, abstract 0211.
[3] Cournil A et al. Dolutegravir- versus an efavirenz 400mg-based regimen for the initial treatment of HIV-infected patients in Cameroon: 48-week efficacy results of the NAMSAL ANRS 12313 trial.International Congress on Drug Therapy in HIV Infection (HIV Glasgow), Glasgow, UK, abstract 0342
[4] https://positivrat.ch/cms/medizin/therapie/368-dolutegravir-europaeische-medikamentenbehoerde-und-who-mahnen-bestimmte-frauen-im-gebaehrfaehigen-alter-zur-vorsicht.html
[5] Cohen Z et al. Analysis of patients completing the ibalizumab phase 3 trial and expanded access program. International Congress on Drug Therapy in HIV Infection (HIV Glasgow), Glasgow, 2018, abstract O345
[6] Wang X et al. Generic tenofovir disoproxil fumarate and emtricitabine tablets obtained from the internet – are they what they say they are? International Congress on Drug Therapy in HIV Infection (HIV Glasgow), Glasgow, 2018, abstract P010
[7] Pilkington V et al. Meta-analysis of the risk of Grade 3/4 or serious clinical adverse events in 12 randomised trials of PrEP (n = 15,678). International Congress on Drug Therapy in HIV Infection (HIV Glasgow), Glasgow, 2018, abstract O143, 2018