Diskussionen um die PrEP waren an der Konferenz in Glasgow Ende Oktober 2016 eines der dominierenden Themen. Zum Einen weil die Thematik in vielen europäischen Ländern diskutiert wird, zum Anderen weil gerade in England der Zugang und die Kostenübernahme der PrEP nicht gelöst sind. Für eine Überraschung sorgte Norwegen: das Gesundheitsministerium verkündete am 20. Oktober, dass die PrEP künftig durch das nationale Gesundheitssystem gratis erhältlich ist.

Norwegen ist damit nach Frankreich das zweite Land in Europa, wo eine PrEP erhältlich ist, und das erste weltweit wo die Präventionspille gratis ist. Erst nach der Konferenz wurde bekannt, dass das NHS England vor einem Berufungsgericht unterlegen ist. Die Richter befanden, dass das NHS für die Abgabe von PrEP zuständig ist. Das Urteil wurde insbesondere damit begründet, dass die Post-Expositionsprophylaxe PEP bereits übernommen wird.

Das Hickhack um die Kostenübernahme in England hat dazu geführt, dass PrEP Aktivisten eine Webseite zum online Einkauf eingerichtet haben (iwantprepnow.co.uk). Die Webseite listet 4 Quellen für ein Truvada Generikum. Die monatlichen Kosten belaufen sich zwischen 31£ und 78£ pro Monatspackung 1. Die Dean Street Clinic in Soho, London ist die Anlaufstelle für schwule Männer mit sexuell übertragbaren Krankheiten. Die zunehmende Anzahl Patienten, welche PrEP online einkaufen ermunterte die Klinik zu einer Studie 2. Man überprüfte die Medikamentenspiegel für Truvada bei 234 Kunden der online Apotheken zwischen Februar und September 2016. Es könnte ja gut möglich sein, dass die inoffizielle Quelle für den Medikamentenbezug eine nachlässige oder ungenaue Einnahme zur Folge haben könnte.

Die Männer waren im Durchschnitt 37-jährig. Ein Drittel von ihnen verkehrt in der Chemsex-Szene. 85% nahmen die PrEP täglich, nur 15% bloss bei Bedarf. Fast zwei Drittel der Selbstbezüger nutzten den Kanal www.unitedpharmacies-uk.md; nahezu alle bezogen das indische Generikum Tenvir-EM der Firma Cipla.

Die Forscher verglichen die Blutspiegel der Selbstbezüger mit jenen von Patienten, welche Truvada direkt in der Klinik bezogen – entweder als PROUD-Studienteilnehmer oder Selbstzahler. Die Medikamentenspiegel waren bei allen Teilnehmern vergleichbar und genügend hoch, um eine HIV-Infektion zu vermeiden. Während der kurzen Beobachtungszeit hatte sich auch keiner der Patienten mit HIV infiziert. Die wichtigsten Fragen hat die kleine Studie beantwortet:

Nneka Nwokolo präsentierte die Daten. Sie schloss mit den Worten „Solange PrEP nicht über das NHS erhältlich ist, ist es wichtig dass alle potentiellen Nutzer einer PrEP Zugang zu einer bezahlbaren Therapie haben“. Diesem Votum schliessen wir uns gerne an.

An dieser Stelle noch ein kurzer Hinweis auf eine holländische Modellingstudie, welche Ende September im Lancet publiziert wurde 3. Das Modell untersuchte die Kosteneffizienz einer täglichen PrEP, wenn sie zu heute gültigen Preisen in den Niederlanden an schwule Männer mit hohem Infektionsrisiko verschrieben wird.

Das Modell geht davon aus, dass eine PrEP zu 80% wirkt, dass 10% der schwulen Männer mit hohem Infektionsrisiko eine PrEP nehmen, dies bei den heute geltenden Preisen. Die Kosten pro qualitätskorrigiertes Lebensjahr (quality adjusted life year QALY) würden 11’000€ betragen. Würde die PrEP statt täglich nur bei Bedarf genommen und die Pillenmenge halbiert, sinken die Kosten auf 2’000€. Das Modell betrachtet Kosten von unter 20’000€ als kosteneffizient.

Eine tägliche PrEP würde Geld sparen, wenn die Kosten um 70% sänken – das heisst, die Kosten der PrEP würden durch Ersparnisse bei verhinderten Infektionen kompensiert. Wird PrEP nur bei Bedarf eingesetzt, wären direkte Ersparnisse bereits bei 30-40% tieferen Kosten möglich.

Dieses Modell aus Holland ist realistischer als frühere Berechnungen, weil es die überraschend guten Ergebnisse der europäischen PROUD- und IPERGAY-Studien berücksichtigt. Zudem geht es davon aus, dass nur 10% der schwulen Männer mit hohem Infektionsrisiko wirklich eine PrEP verschrieben bekommen – was ebenfalls realistisch ist. Damit würden pro Jahr in den Niederlanden 4’500 schwule Männer eine PrEP nehmen, und dies für durchschnittlich 5 Jahre. Auch wenn 80% der Männer mit dem höchsten Risiko eine PrEP nehmen würden – das bedeutet 36’000 Männer unter PrEP – wären die Kosten bloss 40% höher als wenn PrEP nicht verfügbar wäre. Unter den meisten Szenarien würden immer noch Kosten gespart.

Laut der Autoren erscheinen die kurzfristigen Kosten einer PrEP zwar hoch, doch werden langfristig Therapiekosten eingespart, ganz besonders wenn die Kosten für eine PrEP sinken würden.

 

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Da in der Schweiz sowohl die offizielle Zulassung durch Swissmedic als auch eine Kostenübernahme durch die Grundversicherung keine Themen sind, ist iwantprepnow.co.uk auch für Nutzer aus der Schweiz interessant. Damit es beim Import keine Probleme gibt, muss der Bezüger ein ärztliches Rezept vorlegen und maximal drei Monatsdosen aufs Mal einführen.

Betreffend Zulassung durch Swissmedic hat sich die Patentinhaberin Gilead inzwischen geäussert. Offenbar sind der Firma die Swissmedic Prozesse zu kompliziert und zu langwierig. Das hat etwas: In der Schweiz ist für eine Erweiterung einer bestehenden Zulassung ein neuer Antrag nötig – dieser dauert länger als ein Jahr. In Europa gibt es für diese Fälle ein spezielles Verfahren, es dauert zwischen 60-90 Tagen. Trotzdem sind wir der Meinung, dass sich die Firma mehr engagieren sollte. Man darf sich nicht wundern, falls auch hierzulande die Generika diesen Markt übernehmen. Besonders gewünscht wäre auch ein Engagement der Firma für eine PrEP-Implementierungsstudie in der Schweiz. Das ist nötig, weil eine breitere Abgabe von PrEP spezielle Anforderungen an das Gesundheitssystem stellt. Von den Kliniken wissen wir, dass sie an einer solchen Studie sehr interessiert sind.

David Haerry / November 2016

 

1 Publikumspreis für das Originalpräparat in der Schweiz Fr. 899.30 (Quellle: Compendium CH, überprüft 27.11.2016)
2 Wang X, Nwokolo N (presenter), Boffito M et al. InterPrEP: internet-based pre-exposure prophylaxis (PrEP) with generic tenofovir DF/emtricitabine (TDF/FTC) in London – analysis of pharmacokinetics, safety and outcomes. International Congress on Drug Therapy in HIV Infection (HIV Glasgow), Glasgow, abstract O315, 2016.
3 Nichols BE et al. Cost-effectiveness analysis of pre-exposure prophylaxis for HIV-1 prevention in the Netherlands: a mathematical modelling study. The Lancet, early online publication, 22 September 2016, http://dx.doi.org/10.1016/S1473-3099(16)30311-5