Für die Patienten sind die neuen Hepatitis C-Therapien ein Segen. In ganz wenigen Fällen versagt aber die Ersttherapie; die Gründe verstehen wir meistens nicht. Betroffen sind etwa 3% der Schweizer Hepatitis C-Patienten. Für diese Patienten ist seit Dezember 2017 eine Zweittherapie von Swissmedic zugelassen. Mit der Kostenübernahme klappt es aber nicht, viele Patienten bleiben im Regen stehen. Wir hoffen auf eine rasche Einigung zwischen BAG und Gilead.

Das Verzögerungsmuster kommt uns bekannt vor, trotzdem sind wir überrascht. Nachdem das Bundesamt für Gesundheit BAG sämtliche Zugangsbeschränkungen zur Hepatitis-C Therapie per Oktober 2017 aufgehoben hat, hofften wir, dass auch die Zweittherapie nun zügig für die Patienten bereitstehen würde. Swissmedic hat dem Produkt unter dem Markennamen Vosevi für genau diesen Zweck im Dezember 2017 die wissenschaftliche Zulassung erteilt. Vosevi ist eine Kombinationspille aus drei Wirkstoffen, welche während 12 Wochen einmal täglich mit einer Mahlzeit eingenommen wird. Die gängigen Ersttherapien enthalten zwei Wirkstoffe; diese Therapie dauert acht bis zwölf Wochen, je nach Ausgangslage und Therapie.

Wo liegt das Problem?
Wir verstehen es nicht. Damit die Krankenkassen Leistungen im Gesundheitswesen im Rahmen der obligatorischen Versicherung vergüten, müssen sie gemäss Artikel 32 im Bundesgesetz über die Krankenversicherung wirksam, zweckmässig und wirtschaftlich sein. Die Wirksamkeit muss mit wissenschaftlichen Methoden nachgewiesen sein – dafür ist die Swissmedic zuständig. Die Zweckmässigkeit einer Therapie wird in der Indikation definiert – hier steht, unter welchen Voraussetzungen eine Therapie eingesetzt werden soll. Für die Beurteilung des dritten Kriteriums, der Wirtschaftlichkeit, ist die Abteilung Kranken- und Unfallversicherung des Bundesamtes für Gesundheit verantwortlich. Im erwähnten Gesetz steht auch, dass der Bundesrat bestimmt, in welchem Umfang die Krankenkassen die Kosten einer neuen Leistung übernehmen, deren Wirksamkeit, Zweckmässigkeit oder Wirtschaftlichkeit noch in Abklärung ist. Die Regierung setzt dafür eine Kommission ein, die Eidgenössische Arzneimittelkommission EAK. Weil bei Vosevi Wirksamkeit und Zweckmässigkeit erwiesen sind, scheint es bei der Beurteilung der Wirtschaftlichkeit zu harzen.

Wie wird ein Preis festgesetzt?
Der vom BAG in der Spezialitätenliste festgesetzte Höchstpreis (auch Publikumspreis genannt) besteht aus dem Fabrikabgabepreis FAP, dem Vertriebsanteil und 2,5% Mehrwertsteuer. Der FAP wird von der Herstellerfirma festgelegt und mit dem BAG verhandelt. Der Schweizer FAP darf den durchschnittlichen FAP des Arzneimittels in Ländern mit wirtschaftlich vergleichbaren Strukturen nicht überschreiten. Verglichen wird mit 9 Ländern – Belgien, Finnland, Frankreich, Grossbritannien, Deutschland, den Niederlanden, Norwegen, Österreich und Schweden. Ein zusätzlicher Indikator für die Beurteilung der Wirtschaftlichkeit ist der therapeutische Quervergleich. Dabei wird die Wirksamkeit des Arzneimittels einer vergleichenden Wertung mehrerer zum gleichen Behandlungszweck zur Verfügung stehender Heilmittel unterzogen. Dann wird sie in Zusammenhang gesetzt mit den Kosten pro Tag oder Kur im Verhältnis zu den Kosten der anderen Arzneimittel gleicher Indikation oder ähnlicher Wirkungsweise. Der Durchschnittspreis aus dem Länderkorb und der therapeutische Quervergleich werden 50:50 gewichtet.

Soweit, so gut. Ein kompliziertes System, welches sich zudem auf Preise aus Nachbarländern mit anders funktionierenden Gesundheitssystemen abstützt. Diese Preise sind nicht immer transparent, weil die Systeme nicht sichtbare Zusatzrabatte aushandeln. Trotzdem gelten die Regeln als generell akzeptiert und fair.

Welche Informationen haben wir zu Vosevi?
Wir haben einen Auslandspreis aus Deutschland; die anderen Länder sind offenbar noch nicht soweit. Ein anderes zum gleichen Zweck verfügbares Mittel gibt es nicht. Die Konsequenz einer nicht durchgeführten Zweittherapie ist eine Lebertransplantation (kostet laut Swisstransplant für Eingriff und Spitalaufenthalt ca CHF 110‘000 – 180‘000) oder der Tod des Patienten. Aus anderen Indikationen, wo es auch zu Therapieversagen kommen kann und Zweit- oder Dritttherapien existieren, ist bekannt dass diese in der Regel mehr kosten als die Ersttherapie, auch weil diese Therapien weniger häufig zum Einsatz kommen.

Was sagen die Beteiligten, BAG und Herstellerfirma?
Über das laufende Verfahren will sich niemand äussern, weder der Hersteller noch das BAG. Das Bundesamt bestätigt das oben beschriebene System der Preisfestsetzung. Gleichzeitig weist man aber auch darauf hin, dass es 2017 gelungen sei, die Preise der Hepatitis-C Medikamente erheblich zu senken. Wir erinnern uns an diesen Durchbruch per 1. Oktober 2017, welcher für alle Betroffenen Patienten den Weg zur Therapie freigab – unabhängig vom Stadium oder der Virentypen. Damit kosteten alle DAA-Therapien plötzlich ungefähr gleichviel, egal wie lange diese dauerten. Diese Einigung erfolgte also nicht innerhalb der eigentlich geltenden Regeln zur Preisbestimmung.

Wir verstehen, dass das Bundesamt sparen will und muss. Darum haben wir noch gefragt, warum nicht alle gesetzlichen Vorgaben optimal ausgenutzt werden damit eine raschere Einigung möglich wäre. Im Gesetz steht nämlich auch „…der Bundesrat bestimmt, in welchem Umfang die Krankenkassen die Kosten einer neuen Leistung übernehmen, deren Wirksamkeit, Zweckmässigkeit oder Wirtschaftlichkeit noch in Abklärung ist“. Man könnte also bei grosser Unsicherheit einen vorläufigen Preis provisorisch festlegen und dabei Daten zur Wirtschaftlichkeit sammeln. Andere Länder machen das. Das BAG bestätigt diesen Sachverhalt und zeigt damit, dass noch Spielraum besteht.

Die Herstellerfirma Gilead sagt, sie sei an einer raschen Einigung interessiert und bemühe sich, gemeinsam mit dem BAG eine Lösung zu finden.

Weil weder das BAG noch Gilead sehr gesprächig sind, dürfen wir spekulieren. Falls das normale Verfahren mit therapeutischem Quervergleich und Auslandspreisvergleich verwendet wird, ist die Verzögerung schwer erklärbar. Meint man im Bundesamt, die Zweittherapie mit drei Substanzen mit der Ersttherapie und zwei Substanzen vergleichen zu können? Um viele Patienten geht es nicht, aber die Betroffenen sind wegen dem Therapieversagen emotionell sehr unter Druck.

Inzwischen spielt man auf Zeit und rechnet damit, dass die nicht sehr häufigen Fälle über Artikel 71 abgewickelt werden können. Im Artikel 71 geht es um die Vergütung von Medikamenten im Einzelfall und „Off-Label“ Bereich – ausserhalb der Fachinformation Swissmedic oder der Limitierung gemäss Spezialitätenliste. Die Kostenübernahme erfolgt dann, wenn vom Einsatz des Mittels ein hoher therapeutischer Nutzen gegen eine bestimmte Krankheit erwartet wird und keine Alternative wirksam und vergütet ist.

In der Praxis geht das so, dass der behandelnde Arzt bei der Krankenkasse einen Antrag stellt, die Krankenkasse diesen beurteilt und sich mit der Herstellerfirma über den Preis einigt. Für die Ärzte ist dieses System sehr aufwendig, und für die Patienten ein Gang ins Spielcasino. Man geht rein, und weiss nicht wann und mit wieviel man wieder rauskommt. Nicht alle Kassen spielen mit, und damit kommt es zu ethisch inakzeptablen Entscheiden und einer Ungleichbehandlung der Patienten. Das ist fragwürdig und nicht im Sinn des Krankenversicherungsgesetzes.

Das Umfeld
Es ist klar, dass sich die Vorgänge um Vosevi in einem Umfeld abspielen, und dieses eine Einigung verzögert. Einige Umstände möchten wir hier erwähnen.

  1. Das Bundesamt muss sparen. Die Krankenkassenprämien sind ein Dauerthema, der ständige Prämienanstieg ist ein Ärgernis und politisch ein heisses Eisen.
  2. Der Bericht der Expertengruppe Kostendämpfung,[1] und dessen Umsetzung durch das Eidgenössische Departements des Innern EDI. Das EDI wird dem Bundesrat im Dezember 2018 über den Stand der Massnahmen Bericht erstatten.
  3. Anhaltende Diskussionen um die Umsetzung von Artikel 71[2], [3], [4]
  4. Personelle Engpässe im BAG, welche bei der Aufnahme von neuen Medikamenten in die Spezialitätenliste zu Verzögerungen führen. Die Basler Zeitung BAZ titelt am 2. Juli „Keine neuen Medikamente bis 2019“ und publiziert ein Interview mit Ständerat Joachim Eder (FDP, ZG). Eigenartig ist, dass unseres Wissens keine andere Zeitung das Thema aufgegriffen hat. Saure Gurkenzeit?
  5. Nicht zuletzt: Unsicherheit und Ängste auf allen Seiten. In einem Klima der allgemeinen Verunsicherung findet man keine Lösungen. Dass dieses Klima auch preistreibend wirkt, wird offenbar nicht wahrgenommen.

Die Crux mit den Preisen
Immer wieder hört man die Klage, die Medikamentenpreise seien zu hoch. Innerhalb der Schweizer Hepatitis-Strategie hat sich eine Arbeitsgruppe[5] von 2015 bis 2017 mit Preismodellen beschäftigt. Das Ziel war einen Preis zu finden, welcher es erlaubt hätte, die Limitationen aufzuheben und allen Patienten einen raschen Therapiezugang zu ermöglichen. Die Arbeitsgruppe hat verschiedene Preisvereinbarungen im Ausland geprüft und evaluiert, ob sich diese auf die Schweiz übertragen liessen. Besonders interessiert haben uns die in Schottland, Portugal und in Australien erzielten Lösungen. Sowohl in Schottland und in Portugal war klar, dass man die betroffenen Patienten möglichst rasch behandeln wollte. Die Vertreter auf Regierungsseite gingen früh und proaktiv in die Verhandlungen; Portugal erreichte 2015 einen Preis von 25‘000€ pro Therapie unabhängig von der Therapiedauer, und verpflichtete sich, 13‘000 Patienten zu behandeln. Spanien erreichte kurz darauf einen ähnlichen Deal. In Australien dauerte es ein wenig länger, doch erzielte die Regierung 2016 eine Vereinbarung mit allen Firmen mit einem Preis von unglaublichen 3‘450 € pro Therapie. Australien verpflichtete sich im Gegenzug, 40‘000 Patienten pro Jahr zu behandeln – dies entsprach einem Fünftel der Betroffenen. Diese Beispiele zeigen, dass man mit der Industrie verhandeln und grosse Rabatte erzielen kann. Eine wichtige Voraussetzung sind verbindliche Abnahmemengen. Leider liessen sich diese Modelle in der Schweiz nicht umsetzen, weil das verhandelnde BAG keine Abnahmeverpflichtungen eingehen kann. Die ersten Preisvereinbarungen betreffend der neusten Hepatitis-C Medikamente erfolgten in der Schweiz unter dem sogenannten Prävalenzmodell. Dieses ermöglicht automatische Kostensenkungen bei hohen Umsätzen. Das Modell ist bei Hepatitis C allerdings gescheitert, denn die Patientenzahlen waren zu tief.

Aus den langen Verhandlungen um die Hepatitis-C Medikamente kann man einiges lernen.

Was anderswo funktioniert, lässt sich in der Schweiz angesichts der Eigenheiten des föderalistischen Gesundheitssystems häufig nicht implementieren.

Aus Distanz betrachtet, verhalten sich die Hauptakteure BAG und Industrie wie auf einem Basar. Irgendwie wird das dem Ernst der Sache nicht gerecht, denn bei wirklich grossen therapeutischen Fortschritten werden die Patienten in Geiselhaft genommen, bis sich die Kontrahenten einig sind. Aus ethischer Sicht ist das inakzeptabel.

Überrascht hat uns auch, wie wenig man im Bundesamt die Pipelines der Industrie zu kennen scheint. Seit mindestens 2010 hätte man auch bei den Behörden wissen können, dass eine neue Substanzklasse in der Hepatitis-C Therapie im Anmarsch ist. Wir Patienten wissen es seit 2006. Eventuell fehlen dem BAG gewisse Instrumente oder Fachleute – bei der EU machen die europäische Medikamentenagentur EMA und die HTA-Behörden ein gemeinsames sogenanntes „horizon-scanning“[6].

Die alten Hepatitis-C Therapien waren sehr teuer und wirkten weniger gut. Weil man diese Medikamente nur wenn nötig verschrieb, wenn es den Patienten wirklich schlecht ging, waren sie für die Gesundheitssysteme bezahlbar. Die neuen Substanzen waren ein Paradigmenwechsel: 96% der Patienten werden innert acht bis zwölf Wochen von einer schweren Virusinfektion geheilt. Logisch ist, dass dann alle therapieren wollen und die Gesundheitsbudgets ins Wanken kommen.

Angesichts der raschen Entwicklung in vielen Therapiegebieten – denken wir an neue Krebstherapien mit einmal verabreichten genetischen Medikamente statt Dauertherapien – muss man sich fragen, ob die heutigen Instrumente und Verfahren noch genügen.

Wie geht es den betroffenen HCV Patienten?
Der Schweizerischen Hepatitis C Vereinigung SHCV sind mehrere Fälle von verzweifelten Patienten bekannt. Dabei sind auch schwerkranke Menschen mit Leberzirrhose. Die Krankenkassen reagieren unterschiedlich. Besonders stossend ist die Praxis bei der Sanitas. Kürzlich meldete sich ein Patient aus der Westschweiz. Bei ihm hat die Kasse Assura die Anwendbarkeit von Artikel 71b[7] anerkannt, aber im gleichen Atemzug mitgeteilt, er sei noch „gesund genug“ um abzuwarten, bis Vosevi auf die Spezialitätenliste komme. Deshalb lehnt sie die Kostenübernahme der Zweitbehandlung ab. Die kommunikativen Purzelbäume der Assura sind schlicht unglaublich. Krank genug für die Ersttherapie, zu gesund für eine Zweitbehandlung weil die erste versagt hat, die Anwendbarkeit von Art 71 wird bestätigt aber der Patient soll auf die SL Liste warten – wo ist da die Logik?

Warum ärgern wir uns als Patienten?
Für uns als Patientenvertreter sind die Fragen um die Spezialitätenliste schwierige Themen. Eigentlich ist unsere Meinung gar nicht gefragt, und wir sitzen nicht am Verhandlungstisch. Wir haben ein teures, aber gut funktionierendes Gesundheitssystem, und wir möchten uns darauf verlassen können. Das KVG verspricht uns diese Sicherheit.

Im vorliegenden Fall der Zweittherapien von Hepatitis C pressiert es. Die Ersttherapie hat versagt. Die einzige zugelassene Zweittherapie, eben Vosevi, ist nicht mehr wirksam, wenn sie zu spät eingesetzt wird – bei einer dekompensierenden Leber etwa. Niemand will eine Lebertransplantation riskieren.

2013 hat Bundesrat Berset öffentlich versprochen, dass Gesuche um eine Aufnahme in die Spezialitätenliste innert 60 Tagen behandelt werden. Das kann nur gelingen, wenn man sich auf ein bestehendes und akzeptiertes Verfahren abstützen kann. Man kann nicht 60 Tage kreativ sein und dabei einen Preis erzielen der für alle akzeptabel ist. Im vorliegenden Fall dauern die Verhandlungen seit Dezember 2017.

Wir möchten, dass sich die Parteien so rasch wie möglich einigen, damit der Therapiezugang sichergestellt werden kann.

 

David Haerry / September 2018

 

1 https://www.bag.admin.ch/bag/de/home/themen/versicherungen/krankenversicherung/kostendaempfung-kv.html

2 Ch. Rüefli, Ch. Bolliger (Büro Vatter), Off-Label-Use in der obligatorischen Krankenpflegeversicherung, Januar 2014, https://www.aramis.admin.ch/Default.aspx?DocumentID=46450&Load=true

3 M Eggenberger, Die Krux mit Artikel 71, infosantésuisse 3/0218, www.santesuisse.ch/fileadmin/sas_content/iss_03_2018_Artikel_de.pdf

4 B Kipfer, C Witzmann, Revision Art. 71 a/b KVV, Schweizerische Aerztezeitung 2017;98(4):122–125

5 Der Autor hat die Arbeitsgruppe koordiniert.

6 http://www.ema.europa.eu/docs/en_GB/document_library/Presentation/2018/03/WC500246467.pdf

7 Artikel 71b der Verordnung über die Krankenversicherung KVV regelt die Kostenübernahme von noch nicht in die Spezialitätenliste aufgenommenen Arzneimitteln durch die Krankenversicherer im Einzelfall. Dabei bestimmt der Versicherer nach Absprache mit der Herstellerfirma die Höhe der Vergütung.