In Australien (Commonwealth of Australia mit rund 24 Millionen Einwohner) waren im 2012 etwa 230‘000 Personen mit dem Hepatitis C-Virus1 infiziert; diese Zahl nimmt jährlich um rund 10‘000 zu. Von den genannten haben 58‘000 mittlere bis schwere Leberschäden. Die am stärksten vertretene Altersklasse sind die 51- bis 60-Jährigen. Im Jahr 2012 rechnete man, dass 75 % dieser 230’000 Personen auf HCV diagnostiziert wurden, 20 % in Behandlung und 11 % bereits geheilt sind. Weltweit rechnet man gemäss WHO mit 150 Millionen HCV-infizierten Menschen und einer jährlichen Zunahme von 3 bis 4 Millionen. 

Da in Australien die Todesfälle durch Hepatitis-verursachte Leber-Erkrankungen seit einigen Jahren ansteigen, hat die Regierung hier Handlungsbedarf ausgemacht, dies insbesondere bei den Personen, die Drogen injizieren (PWID), welchen den grössten Teil der HCV-Infizierten ausmachen. HCV wurde von der Regierung denn auch als Bedrohung der öffentlichen Gesundheit – man spricht von einer Silent Pandemic – identifiziert, was ein nationales HCV-Programm rechtfertigt. Die australische Zentralregierung beschloss am 20. Dezember 2015, eine umfassende HCV-Strategie umzusetzen: The Fourth National Hepatitis C Strategy 2014-2017.

Seit kurzem sind neue Behandlungsmöglichkeiten von HCV verfügbar, die als Direct Antiviral Agents, abgekürzt DAA wirken anstatt wie bisher Interferon und Ribavirin zu verabreichen. Die Heilungschancen sind mit über 95% sehr gut die Verträglichkeit ist wesentlich besser als bei Interferon und Ribavirin, es gibt wenig bis gar keine Nebenwirkungen.

Das nationale HCV-Programm für den Commonwealth of Australia will die Neuinfektionen um 50 % reduzieren und die Anzahl behandelter Personen deutlich erhöhen. Alle Betroffenen, ohne jede Einschränkung, also auch unabhängig davon, wie und wo sie sich infiziert haben, sollen Zugang zur Behandlung erhalten. Dies betrifft auch Patienten mit Re-Infektionen oder mit Therapieversagen (Treatment Failure). Zum Programm gehört auch die Förderung von HCV-Tests und entsprechender breiter Information der Bevölkerung; Harm-Reduction-Programme für PWID; Schulung, Information und Sensibilisierung der Ärzte (alle Ärzte ohne Einschränkung dürfen die neuen HCV-Medikamente verschreiben) sowie ein Monitoring-Programm das Behandlung und Ergebnisse (u.a. die Adhärenz) des Programmes statistisch erfassen und evaluieren soll. Man erhofft damit eine Win-Win-Win-Situationen zu schaffen, die sowohl für die Behörden, als auch für die Pharma-Industrie und vor allem für die Betroffenen zu einer wesentlichen Verbesserung führt. Im Weiteren ist man überzeugt, dass eine wirkungsvolle Behandlung möglichst vieler HCV-Betroffener auch eine gute Präventionswirkung hat (ähnlich wie bei HIV). Prognoserechnungen lassen hoffen, dass wenn 80% der PWID mit HCV erfolgreich behandelt werden, die HCV-Prävalenz bei diesen Personen von 50% auf unter 5% sinken wird.

Dass dieses Programm überhaupt zu Stande kam und hier Australien weltweit eine Pionierrolle zukommt, hat wohl mit der Art und Weise der Verhandlung der Regierung mit den Herstellern der Medikamente zu tun. Mit rund 1% HCV-Infizierten gehört Australien (wie etwa die Schweiz oder Portugal) allerdings nicht zu den Hochprävalenzländern, wie beispielsweise Ägypten (22%, d.h. rund 12 Millionen HCV-Infizierte), Pakistan (4.8%), China (3.2%). Vereinfacht formuliert kann man die Vorgaben für die Verhandlungen der australischen Regierung mit der Pharmaindustrie folgendermassen zusammenfassen:

Australien ist bereit, für ein nationales HCV-Programm für die kommenden fünf Jahre 1 Mrd. australische Dollars ( 0.70 €) zu bewilligen. Wenn Australien die Medikamente zum «Ladenpreis für reiche Länder» von rund 100‘000 AUD pro Therapie übernimmt, könnten nur ein sehr kleiner Teil, also einige hundert Patienten behandelt und geheilt werden, was weder gerecht noch im Sinne einer Public Health Strategy ist. Anfänglich kostete nämlich eine 12-Wochen-HCV-Therapie in den USA 84‘000 US Dollars, also für eine Pille über 1’000US$. Für Entwicklungsländer wurde vom Hersteller ein Preis von 2’000 US$ für eine Behandlung ermöglicht. Eine Studie der Universität Liverpool kommt für Sofosbuvir (Brand Name Sovaldi) von Gilead zum einem realistischen, aktuellen Herstellungspreis von 1.70 US$ pro Pille, also rund 101 US$ für eine komplette 12-Wochen-Therapie, dies weil die Entwicklungskosten des Medikamentes durch die bisher von der Firma gemachten Gewinne bereits bei weitem amortisiert sind.

Wenn man sich jedoch zwischen Regierung und Hersteller auf einen wesentlich tieferen Preis einigen könnte, würden möglicherweise alle HCV-Betroffenen in Australien im Verlauf der nächsten fünf Jahre behandelt und mit hoher Wahrscheinlichkeit geheilt werden. Die Hersteller würden zwar so weniger Geld pro Therapie erhalten, dafür könnten sie wesentlich mehr Therapien (in Australien wären es dann über 200‘000 Therapien über die fünf Jahre des Programmes) verkaufen und beide Seiten würden dabei gewinnen. Anscheinend hat diese Strategie die Hersteller überzeugt und eine Einigung wurde erreicht. Die australische Gesundheitsministerin spricht von einem Preis pro Pille von 27.70 AUD bis eventuell gar nur 6.10 AUD (bei Herstellungskosten von rund 1 € pro Tablette für eine Therapie, die in der Regel 12 Wochen dauert) anstatt von 100‘000.—AUD pro Therapie.

Ähnliche Verhandlungen führten dazu, dass Indien selbst ein Generikum herstellen darf, sodass eine Therapie zwischen 100 bis 300 US$ kostet, während in Ägypten eine lokale Herstellung die Therapie für rund 300 US$ ermöglicht. Dieser enorme Preisunterschied hat dazu geführt, dass Patienten aus Europa (selbstverständlich mit einem gültigen Rezept ihres behandelnden Arztes) die Medikamente – auf durchaus legalem Weg – selbst aus Indien importieren, bisher allerdings auf eigene Kosten. Die Frage ist berechtigt, ob die Kosten solche Selbstimporte billiger Medikamente von den Krankenkassen bei uns zu übernehmen sind. Wenn sichergestellt werden kann, dass das importierte Medikament den Qualitäts-Anforderungen entspricht und die Therapie unter Kontrolle des behandelnden Arztes stattfindet, sollte dem nichts entgegenstehen.

Gemäss einer australischen Pressemitteilung von Ende Juli 2016 haben seit Start des Programmes bereits 22‘470 Personen die neue HCV-Therapie erhalten; vorher waren es pro Jahr lediglich 2’000 bis 3’000. Man hat gute Hoffnung, das Ziel des Programmes zu erreichen: dass bis 2030 die Neuinfektionen mit HCV und Hepatitis B um 90% zurückgehen, dass die Todesfälle durch HCV und Hepatitis B um 65% abnehmen, dass 90% der Kinder gegen Hepatitis B geimpft sein werden, dass 90% der im Jahr 2030 diagnostizierten Personen behandelt werden und dass 80% der Menschen mit HCV und Hepatitis B im Jahr 2030 geheilt sein werden.

Es ist sehr zu hoffen, dass auch weitere Länder ähnliche Nationale Programme erstellen und eine Zusammenarbeit mit der Pharmaindustrie anstreben und umsetzen, die im Interesse der Betroffenen ist. So hat beispielsweise Portugal im Februar 2015 ein nationales HCV-Programm beschlossen, das allen 13‘000 HCV-Betroffenen in Portugal in den kommenden drei Jahren Zugang zur Behandlung ermöglichen soll. Über den ausgehandelten Preis für die Medikamente wurde Stillschweigen vereinbart, gemäss Aussage des portugiesischen Gesundheitsministers hätten jedoch die Preise seit Beginn der Verhandlungen etwa auf die Hälfte abgenommen. Bis im Februar 2016 erhielten bereits 7’000 Personen eine Therapie mit einer Erfolgsrate von 96%. Andere europäische Länder (z.B. Schottland, Frankreich und Slowenien) haben ebenfalls nationale HCV-Programme initiiert.

John F. Dillon (Professor of Hepatology and Gastroenterology, University of Dundee) sagt dazu: «Wenn Portugal es tun kann, gibt es keine Entschuldigung für andere Industrieländer, es nicht umzusetzen. Sie hatten nicht die wirtschaftliche Stärke anderer Länder, wenn also Portugal sich entscheidet, es zu tun und sich dazu verpflichtet, müssten alle anderen Länder auch dazu im Stande sein.»

Es wäre durchaus prüfenswert, ob nicht mehrere Länder in Europa oder die EU selbst eine gemeinsame HCV-Strategie entwickeln und auch gemeinsam mit der Pharmaindustrie über Preise und Umsetzung verhandeln sollten. Es ist nämlich durchaus absehbar, dass in Zukunft weitere extrem teure Medikamente entwickelt werden, bei denen ebenfalls im Interesse von Public Health die nationalen Gesundheitsbehörden bei der Preisgestaltung mässigend und steuernd eingreifen sollten, damit auch diese für die entsprechenden Patienten zugänglich sind. Die HCV-Behandlung könnte damit zum Präzedenzfall werden.

Zum Schluss ein Zitat aus den Empfehlungen der WHO (Hepatitis C, Fact Sheet, Updated July 2016):

«Alle Erwachsenen und Kinder mit einer chronischen HCV Infektion sollten für eine antivirale Behandlung abgeklärt werden. … Die WHO empfiehlt, dass alle Patienten mit Hepatitis C mit einer DAA-basierten Therapie behandelt werden, ausser ein paar spezifische Personengruppen, bei denen die Interferon-basierten Therapien weiterhin eingesetzt werden (als Alternativtherapie für Patienten mit Genotyp 5 oder 6 und jene mit Genotyp 3 HCV Infektionen, die eine Zyrrhose haben).»

HIV Glasgow 2016: Therapiekosten werden zum Thema

Hansruedi Völkle / November 2016

 

1 HCV = Hepatitis C Virus