Der Wissensstand um die Prä-Expositionsprophylaxe PrEP hat sich bei Schweizer Schwulen massiv verbessert. Das ist gut so. Problematisch: Mehr als ein Fünftel der Teilnehmer einer kürzlich auf der Dating App Grindr durchgeführten Umfrage setzt die PrEP ohne medizinische Begleitung ein1. Offensichtlich hat man die Dynamik dieser Entwicklung unterschätzt.
Wer in der Schweiz auf Grindr unterwegs ist, hat im Januar 2017 sicher die PrEP Umfrage bemerkt. Das Echo hat überrascht: Während knapp drei Wochen haben fast 2’500 Männer an der Umfrage teilgenommen. Eine frühere, während 16 Monaten laufende Akzeptanzumfrage generierte auf anderen Kanälen bloss gut 550 Antworten (www.prepstudy.ch). Das Wissen und das Interesse an einer PrEP steigen offensichtlich viel schneller als gedacht.
Die wichtigsten Erkenntnisse aus der neuen Umfrage:
- 82 Teilnehmer sagen, dass sie gegenwärtig eine PrEP nehmen
- Nur 64 von ihnen werden dabei medizinisch überwacht
- Sieben PrEP-Nutzer haben in den letzten 12 Monaten keinen HIV-Test gemacht
- Die Hälfte aller Teilnehmer möchte im nächsten halben Jahr eine PrEP nehmen, und fast 80 % können sich das in der Zukunft vorstellen
Die Signale könnten deutlicher nicht sein: Schweizer Schwule wissen immer mehr über die PrEP, und sie möchten diese einsetzen. Viele tun es bereits, noch viel mehr möchten gern. Besorgniserregend sind die vielen Männer, welche ein verschreibungspflichtiges Medikament ohne ärztliche Überwachung schlucken, und jene Männer welche mit einer PrEP unterwegs sind, sich aber nicht regelmässig auf HIV testen lassen. Die Umfrage auf Grindr zeigt aber auch, dass man auf dieser Plattform das Zielpublikum mühelos findet.
Es sind einige Hürden zu überwinden, will man die PrEP auch in der Schweiz sinnvoll nutzen. Erstens fehlt eine Zulassung durch die Arzneimittelbehörde Swissmedic, respektive eine Erweiterung der bestehenden therapeutischen Zulassung für den Nutzen in der Prävention. Damit dies geschieht, braucht es einen Antrag der Herstellerfirma Gilead. Deren bisher beschränktes Interesse lässt sich zum Teil mit dem bald ablaufenden Patent erklären. Eine Verschreibung in der Schweiz ist zwar „off label“ möglich, aber für die Mediziner ist es einfacher, wenn eine offizielle Zulassung da ist.
Ein wichtiges Hindernis ist der Preis, respektive die fehlende Kostenübernahme einer PrEP. Besonders stossend: Nur Grossverdiener werden sich eine PrEP aus der eigenen Kasse leisten können. Eigenimport von Medikamenten übers Internet oder Generika aus Indien, das kann nicht die Lösung sein, die wir anstreben. Die PrEP wird in Frankreich, Schottland, Norwegen, Luxemburg, Portugal und Belgien bereits vergütet. In England läuft eine Studie, die den Zugang quasi gewährleistet. Brasilien und Israel vergüten die PrEP, oder stehen kurz davor.
Dann gilt es, die nötige Infrastruktur am richtigen Ort bereitzustellen. Eine PrEP sollte durch Infektiologen verschrieben und durch diese überwacht werden. Männer die eine PrEP nutzen möchten oder sollten, gehören aber nicht zum Publikum der HIV-Sprechstunden. Mann geht bloss zum Arzt, wenn man eine sexuell übertragbare Krankheit eingefangen hat und dies auch merkt.
Es müssen aber auch einige ideologische Scheuklappen überwunden werden. Vor fünf Jahren hat die amerikanische Arzneimittelbehörde PrEP für die HIV-Prävention zugelassen. Seither baggert man in der Schweiz, bisher ohne grosses Echo. Die Empfehlungen der EKSG vom Januar 2016 sind bestenfalls lauwarm2. Dabei sitzt man auf seit Jahren zu hohen Neuansteckungszahlen gerade bei schwulen Männern und verschleudert sinnlos Geld mit erwiesenermassen unnützen Kampagnen wie „Break-the-chains“.
Fazit: War die Schweiz früher vorne mit dabei, wenn es um innovative Ansätze in der HIV-Prävention ging, ist man drauf und dran, das Potenzial der PrEP zu verschlafen.
Ich will mehr über die PrEP wissen – was kann ich tun?
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David Haerry / Juni 2017
1Hampel et al, “Assessing the need for a pre-exposure prophylaxis programme using the social media app Grindr“ http://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/hiv.12521/full