Das 2004 vom BAG durchgeführte Gesundheitsmonitoring der Schweizerischen Migrationsbevölkerung (GMM) kommt zu klaren Ergebnissen: Gesundheitswerte, -risiken und –verhalten fallen bei grossen Teilen der Migrationsbevölkerung weniger gut aus als bei SchweizerInnen. Das trifft auch in Bezug auf HIV und andere sexuell übertragbare Infektionen zu. Besonders betroffen sind MigrantInnen aus dem südlichen Afrika.

Migration an sich macht nicht krank. Migrationszusammenhänge können sich allerdings ungünstig auf die Gesundheit, bzw. das Gesundheitsverhalten auswirken – wie der GMM (1) zeigt. So finden sich z.B. viele MigrantInnen in bildungsferneren Schichten und in schwierigen wirtschaftlichen Verhältnissen wieder. Hinzu kommen zum Teil schlechte Umwelt- und Lebensbedingungen im Herkunftsland, was den Gesundheitszustand schon vor der Migration prägt. Ebenso können negative Erlebnisse während der Migration und die Entwurzelung aus der vertrauten Umgebung sowohl das physische wie das psychische Wohlbefinden negativ beeinflussen. Und nicht zuletzt spielt der Zugang zum medizinischen System im Gastland eine grosse Rolle: er kann durch sprachliche Schwierigkeiten, aber auch durch rechtliche Unsicherheit – etwa in Bezug auf den Aufenthaltsstatus – erschwert sein.

Migration & HIV
Die Schweiz ist ein Einwanderungsland.(2) Was für alle Belange der öffentlichen Gesundheit gilt, betrifft auch die HIV-Arbeit: die Migrationsbevölkerung muss als relevante Grösse in sämtliche Überlegungen miteinbezogen werden. Die epidemiologischen Zahlen unterstreichen den Handlungsbedarf: Von 4346 ärztlichen Ergänzungsmeldungen für HIV-Diagnosen, die zwischen 2003 und 2009 eingegangen sind, betreffen 2291 MigrantInnen (52,8%).(3) Nebst der HIV-Prävalenz in einzelnen Gruppen ist die Vulnerabilität (Verwundbarkeit) gegenüber HIV ein zentrales Problem. Sie ist besonders hoch bei sozial benachteiligten Menschen, die in Abhängigkeitsverhältnissen leben. Das gilt für viele Personen, die sich im Asylprozess befinden und für viele Sans-Papiers. Noch ausgeprägter ist die Situation von Migrantinnen im Sexgewerbe: zu den erwähnten Kriterien der erhöhten Vulnerabilität kommt noch ein beruflich bedingtes Risiko gegenüber HIV und anderen sexuell übertragbaren Infektionen (STI) hinzu.

Am meisten von HIV betroffen sind MigrantInnen aus Ländern südlich der Sahara (Subsahara-MigrantInnen/SSM). Die Erklärung ist naheliegend: In vielen Ländern der Subsahara-Region gibt es HIV-Epidemien mit Prävalenzraten bei der erwachsenen Bevölkerung von 5 bis über 15% (in der Schweiz: ca. 0.5%). In der schweizerischen HIV-Arbeit kommt dieser Gruppe deshalb eine hohe Priorität zu.

MigrantInnen aus Subsahara-Afrika
Im Jahr 2008 lebten 50‘277 Staatsangehörige aus Subsahara-Afrika in der Schweiz – Sans-Papiers und eingebürgerte Personen nicht mit eingerechnet. Davon waren 12‘001 Niedergelassene (Ausweis C), 359 Kurzaufenthalter (Ausweis L) und 19‘174 Aufenthalter (Ausweis B), 3309 internationale Funktionäre und Diplomaten (EDA-Ausweis) sowie 15‘150 Personen im Asylprozess (7‘780 Asylsuchende mit Ausweis N und 7‘370 vorläufig Aufgenommene mit Ausweis F). Mehr als in jeder anderen MigrantInnen-Gruppe.(4) Menschen aus allen Ländern der Subsahara-Region befinden sich in der Schweiz, wobei einige Nationen besonders stark vertreten sind: die demokratische Republik Kongo, Somalia, Angola, Kamerun, Eritrea und Äthiopien (je zwischen 4‘000 und 6‘500 Menschen). (4) Insgesamt ist die SSM-Bevölkerung jung, mit über 80% unter 40 Jahren. Über die Hälfte lebt in den Agglomerationen Genf, Lausanne und Zürich. (5)

Im Vergleich zu SchweizerInnen und anderen MigrantInnen haben SSM eine schlechtere Stellung auf dem Arbeitsmarkt. Gründe dafür sind einerseits der verhältnismässig hohe Anteil der Personen mit maximal obligatorischer Schulbildung (37.7%), aber auch der Umstand, dass viele SSM noch nicht lange in der Schweiz sind. Der grösste Teil ist in wenig qualifizierten Berufen (Service, Verkauf etc.) tätig. Entsprechend niedrig sind auch die Einkommen: sie verdienen im Schnitt ein Drittel weniger als SchweizerInnen. Und auch die Arbeitslosenquote ist mit über 20% deutlich höher als bei anderen Gruppen.(5) 

Sexuelle Gesundheit von SSM
Die sexuelle Gesundheit der SSM ist in erhöhtem Mass gefährdet. Das zeigen die HIV-Meldungen, aber auch verschiedene Studien, die weitere Aspekte der sexuellen Gesundheit untersuchen. Im Jahr 2002 wurde ein markanter Anstieg positiver HIV-Tests bei SSM beobachtet. Seither ist ihr Anteil an den Fällen mit heterosexueller Übertragung hoch geblieben. Unklar ist, wie viele Personen bereits mit einer HIV-Infektion eingereist sind, und wie viele Personen sich in der Schweiz angesteckt haben. 

Die epidemiologische Datenlage zu STIs ist weniger umfangreich und detailliert als zu HIV. Eine 2008 an der gynäkologischen Abteilung des Unispitals Lausanne durchgeführte Studie zeigte jedoch, dass deutlich mehr Subsahara-Migrantinnen mit einer STI infiziert wurden als Schweizerinnen und – abgesehen von Asiatinnen – andere Migrantinnen.(8)

Bei weiteren Aspekten der sexuellen Gesundheit ergibt sich das gleiche Bild. Die Zahl der Totgeburten sowie die neonatale Mortalität (Tod in den ersten 28 Tagen nach der Geburt) von Säuglingen afrikanischer Mütter sind rund doppelt so hoch wie bei jenen von Schweizer Müttern. Und Frauen afrikanischer und sri lankischer Herkunft gebären am häufigsten Kinder mit geringem Geburtsgewicht.(9) Zudem lassen Frauen aus der Subsahara-Region deutlich mehr Schwangerschaftsabbrüche vornehmen als Einheimische, wie eine Studie für den Kanton Waadt zeigt.(10)

Stéphane Praz, Aids-Hilfe Schweiz

(1) Bundesamt für Gesundheit BAG (2007): Wie gesund sind Migrantinnen und Migranten? Die wichtigsten Ergebnisse des «Gesundheitsmonitoring der schweizerischen Migrationsbevölkerung»
(2) 2008 betrug der Anteil der ausländischen Wohnbevölkerung in der Schweiz 22.6%  (Quelle: Bundesamt für Statistik), in den EU-Ländern im Durchschnitt 6,2% (Quelle: Eurostat)
(3) Quelle: Arztmeldungen BAG, Datenanalyse AHS
(4) Bundesamt für Statistik
(5) Efionayi-Mäder, Denise (2009): Migrantes et migrants d’Afrique subsaharienne en Suisse, Université de Neuchatel
(6) BAG (2003): Anstieg der positiven HIV-Tests im Jahr 2002, BAG-Bulletin 16/2003
(7) BAG (2010): HIV/Aids in der Schweiz am 31. März 2010, BAG-Bulletin 18/2010
(8) Dommange et al. (2009): Système de suivi de la stratégie de lutte contre le VIH/Sida en Suisse 2004-2008 : Etude de faisabilité pour une enquête « Sentinelle » auprès des femmes migrantes – d’origine subsaharienne en particulier, Lausanne : Lausanne : Institut universitaire de médecine sociale et préventive
(9) Bollini P., Wanner Ph. (2006): Santé reproductive des collectivités migrantes. Disparités de risques et possibilités d‘intervention. Neuenburg : Swiss Forum for Migration Studies
(10)Balthasar H., Spencer B. (2008) : Interruptions de grossesse dans le canton de Vaud, Lausanne : Institut universitaire de médecine sociale et préventive
Swiss Aids News 2, Juni 2010, www.aids.ch