Gestrandet während der Coronavirus-Pandemie – Menschen mit HIV

Die Pandemie mit dem neuen Coronavirus hat das Leben der meisten Menschen in den letzten Monaten stark beeinflusst. Als die verschiedenen Staaten auf den Ausbruch des Virus reagierten, waren nicht wenige Menschen im Ausland und konnten nicht rechtzeitig vor der Schliessung der Grenzen heimreisen. Einige Staaten begannen mit Rückholaktionen. Aber leider holten die meisten Länder, einschliesslich der ost- und mitteleuropäischen Länder, ihre Bürgerinnen und Bürger nicht zurück.

Unter den Gestrandeten gibt es viele Menschen, die mit HIV leben, und die nicht genügend Medikamenten bei sich hatten. Sowohl Touristen als auch Arbeitsmigrantinnen mit HIV gerieten dadurch in schwierige Situationen.

Arbeitsmigranten beziehen ihre Therapie häufig weiterhin in dem Land, aus dem sie stammen. Denn viele von ihnen fürchten, dass ihre Arbeitgeber oder die Behörden von der HIV-Infektion erfahren und sie ihren Arbeitsplatz verlieren oder abgeschoben werden könnten. Diese Angst ist in den meisten europäischen Ländern zwar nicht gerechtfertigt, herrscht aber unter Migranten und Migrantinnen aufgrund von Unwissenheit.

Selbstverständlich konnte niemand eine so vollständige und lange Grenzschliessung vorhersehen. Für viele gingen die Medikamentenvorräte zu Ende, während sie ohne die lebenswichtige Therapie im Ausland festsassen. Mitte März hat Life4me+ deshalb ein Projekt gestartet, um Menschen mit HIV im Ausland mit HIV-Medikamenten zu versorgen. Dank der guten Vernetzung, vor allem über soziale Medien und die Life4me-App, konnten sich die Gestrandeten direkt melden. Über das Internet erhalten sie dann auch Kontakte zu Hilfseinrichtungen oder zu den Ärztinnen und Ärzten.

In den drei Monaten bis Mitte Juni wandten sich mehr als 200 Personen an Life4me+. Meist handelte es sich dabei um Menschen mit HIV aus Osteuropa und Zentralasien sowie aus dem Balkan. Die Hälfte der Betroffenen sass an ihren Lieblingsorten fest: Thailand, Indonesien, Spanien, Sri Lanka und so weiter. Die andere Hälfte waren Arbeitsmigranten, die sich allesamt in Europa befinden.

Erstaunlicherweise erwies sich die Suche nach HIV-Medikamenten für gestrandete Menschen in Asien oder Afrika als einfacher als in EU-Ländern. In den meisten Entwicklungsländern gibt es eine Struktur, die Menschen mit HIV in schwierigen Situationen hilft. In den EU-Ländern ist hingegen alles stark reguliert und ohne Versicherung ist es sehr schwierig, medizinische Hilfe zu bekommen. UNAIDS funktioniert auch in Nicht-EU-Ländern gut, was den Betroffenen sehr geholfen hat.

In einigen Ländern mussten die gestrandeten Menschen mit HIV für ihre Therapie bezahlen, zum Beispiel in Thailand. Aber mit Preisen von monatlich 100 bis 200 US-Dollar war das für die meisten feststeckenden Touristen machbar. In sehr vielen Fällen gelang es Life4me+, die Medikamente kostenlos zu vermitteln. Das einzige Land, in dem es nicht gelang und den Menschen nicht geholfen werden konnte, sind die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE). Im benachbarten Oman liess sich dagegen ohne Probleme Hilfe finden. Unter denjenigen, die um Hilfe baten, befand sich ein Viertel in Russland. Hier half die Partnerorganisation ITPCru aktiv.

Innerhalb der EU-Länder kamen die meisten Hilferufe von gestrandeten Menschen aus Polen, gefolgt von Deutschland. In Polen half im ersten Monat der Staat, indem er Medikamente bereitstellte, aber dann gingen dort die Reserven aus und diese Möglichkeit entfiel.

Über 90 Prozent aller gestrandeten Menschen in Polen – und auch die Mehrheit in vielen anderen EU-Ländern, sind Arbeitsmigranten. Die meisten von ihnen arbeiten legal im Gastland, bezahlen ihre Steuern und Abgaben. Dennoch haben viele von ihnen Angst, sich offiziell um die Medikamente zu bemühen. Manchmal haben ihnen Verwandte oder Freunde die Medikamente direkt aus dem Heimatland zugeschickt, oder sie haben sie sich selbst abgeholt. Dank entsprechender Aufklärung und Information war es den versicherten Menschen möglich, ihre Medikamente offiziell über die Krankenversicherung zu erhalten. Leider gab es aber auch Fälle, in denen die Menschen keine Versicherung hatten: Manche weil sie illegal beschäftigt werden; andere, weil die Arbeitgeber ohne ihr Wissen keine Versicherung abgeschlossen und keine Sozialbeiträge bezahlt haben. Diese Menschen wurden individuell unterstützt.

Partner-Organisationen auf der ganzen Welt und auch Ärzte und Ärztinnen halfen, indem sie Unterstützung bereitstellten. Gerade Ärzte zeigten immer wieder unglaubliche Solidarität mit den gestrandeten Menschen. In fast 95 Prozent der Fälle in Europa waren es die Ärztinnen (oft via EACS), die halfen und die Möglichkeit fanden, Menschen in schwierigen Situationen ihre Medikamente zu verschaffen. Das Rote Kreuz war hilfreich in Spanien und Thailand, aber völlig nutzlos in Deutschland – statt Pillen gab es bloss Pullover. Wir mussten mit viel Aufwand und Improvisation individuelle Lösungen suchen.

Im ersten und zweiten Monat der Quarantäne konnte Life4me+ allen helfen. Doch die Grenzen zu Nicht-EU-Ländern sind immer noch geschlossen, und diejenigen, die schon einmal unterstützt wurden, mussten ein zweites Mal um Hilfe bitten: die zweite Welle kam. Nach langwierigen Verhandlungen spendete die WHO Arzneimittel für gestrandete Personen in der EU.

Die COVID-19-Pandemie hat die Versorgungsmängel vieler Staaten, einschliesslich der Länder Europas, aufgedeckt. Kein Staat war auf solch durchgehende Grenzschliessungen vorbereitet. Für die Zukunft müssen alle Regierungen und auch die Weltorganisationen Schlussfolgerungen ziehen, um ihre Arbeit so zu organisieren, dass Menschen mit chronischen Krankheiten auch in einer so schwierigen Situation ihre Medikamente immer erhalten können.

 

Alex Schneider / Juni 2020

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