Noch immer wirkt eine HIV-Diagnose wie ein Hammerschlag. Nichts scheint mehr, wie es vorher war. Ein Betroffener gibt Rat.

Die HIV-Diagnose ist für die meisten Betroffenen eines der wichtigsten Ereignisse im Leben. Die einen „wussten“ es vielleicht im Stillen und haben jetzt die Bestätigung, andere hatten Risikokontakte und Symptome einer Primoinfektion, wieder andere waren ganz ahnungslos – so unterschiedlich wie die Ausgangslage ist auch die individuelle Reaktion. Voraussehbar ist wenig. Als selbst Betroffener bin ich oft mit Freunden oder Bekannten konfrontiert, die mit einer frischen Diagnose kämpfen. Wenn man diese Auseinandersetzung hinter sich hat, ist man eher in der Lage, ein paar hilfreiche Tipps zu geben.

Viele schämen sich, ärgern sich, weil man ja gewusst hätte wie man sich schützt. Andere sehen den Tod vor Augen, werden von Angst überwältigt, fühlen sich allein auf dieser Welt. Gestern war die Welt schön, heiter und voll Zuversicht – heute ist bloss Verzweiflung und ein grosses, dunkles Loch, nichts scheint mehr wie es war.

Auch wenn es im Moment schwierig scheint: erstens geht das Leben weiter, und zweitens kann man einiges tun gegen dunkle Gedanken und Gefühle – und für sich selbst. Du bist nicht alleine – in der Schweiz leben mehr als 20’000 Menschen mit einer HIV-Infektion, und alle mussten sich dieser Auseinandersetzung stellen. Wer die Diagnose in einem HIV-Testzentrum bekommen hat, hat vielleicht hier die Gelegenheit bereits beim Schopf gepackt und sich mit dem Berater über die drängendsten Fragen ausgesprochen. Zuhause angekommen ist man trotzdem alleine mit dem Befund, sucht Halt und hat bereits tausend neue Fragen.

Die Falle Selbststigmatisierung
Es hilft vielleicht auch, mal über Selbststigmatisierung nachzudenken. In dieser Falle bleiben viele von uns stecken. Es bringt nichts, sich selber zu beschuldigen, sich sozial zu isolieren oder mit niemandem über die Diagnose zu reden. Solche Reaktionen sind selbstzerstörerisch. Wenn Du das Gefühl hast, dass Du Dich selber stigmatisierst, rede mit jemandem. Eine Beratung bei der Aids-Hilfe, beim Checkpoint kann helfen. Erfahrene HIV-positive Menschen haben meist gelernt, damit umzugehen – auch sie können dir weiterhelfen.

Beobachte Dich aufmerksam in den ersten Wochen nach der Diagnose. Wenn Dir die Lebensfreude abhanden kommt, Du keine Entscheidungen mehr fällen kannst, die Lust an der Arbeit, Deinen Hobbies verlierst, dann brauchst Du vielleicht psychologische Unterstützung. Schäme Dich nicht, die Hilfe zu suchen, die Du brauchst.

Mit wem reden, mit wem nicht?
Sehr wichtig in den ersten Wochen nach dem Befund sind gute Ansprechpartner. Gute Freunde, denen man wirklich vertrauen kann, ein starker Partner, der Geborgenheit schenkt, oder ein von der regionalen Aids-Hilfe vermittelter ausgebildeter HIV-positiver Coach. Der Zürcher Checkpoint hat ein ausgezeichnetes Angebot, andere Aids-Hilfen ebenfalls – nachfragen lohnt sich und kostet nichts.

Wer positive Freunde oder Freundinnen hat, darf dort andocken und das Gespräch suchen. Ein bisschen Vorsicht ist geboten – man kann die besten Freunde überfordern, wenn man hunderttausend Fragen hat. Darum ab und zu nachfragen, und wenn nötig via Aids-Hilfe zusätzlich Rat holen. Überlege Dir aber gut, mit wem Du über Deine Diagnose reden willst. Der Austausch mit erfahrenen Patienten ist auch in dieser Hinsicht sehr wertvoll. Den Coiffeur, Deine Nachbarin, Dein Arbeitgeber geht Deine Diagnose meiner Meinung nach nichts an. Auch bei den Eltern ist manchmal Vorsicht angebracht – viele Deiner Mitmenschen sind mit Deiner Diagnose noch mehr überfordert als Du selber.

Diese erste Orientierungshilfe ist wichtig für Dich. Die Fortschritte in der HIV-Therapie und Forschung sind enorm. Möglicherweise hast Du völlig falsche Vorstellungen, was Leben mit HIV heute bedeutet. Wenn Du Dich mit der positiven Diagnose einfach verkriechst, dann bringt Dich dies sicher keinen Schritt vorwärts.

Habe ich den richtigen Arzt?
Als nächstes solltest Du Dir überlegen, ob Du für Deine Diagnose den richtigen Arzt hast, oder erst einen suchen musst. Theoretisch reicht dafür der Hausarzt. Die lebenslange HIV-Therapie ist aber derart komplex geworden, dass man sich das schon gut überlegen muss. Wenn Dein Hausarzt nicht mindestens 30-40 HIV-Patienten versorgt, dann fehlen ihm sehr wahrscheinlich die Zeit und Erfahrung, um eine langfristig optimale Betreuung sicherzustellen. Die Adressen der grösseren Schweizer Behandlungszentren findest Du hier.

In städtischem Umfeld sind auch einige HIV-Spezialisten mit freier Praxis tätig. Viele Patienten fühlen sich dort am besten aufgehoben. Adressen kann man bei der regionalen Aids-Hilfe erfragen. Wer auf dem Land wohnt, kann sich in den meisten Fällen trotzdem in einem grösseren Zentrum oder bei einem Spezialisten behandeln lassen. Es lohnt sich, den Weg in Kauf zu nehmen. In der Regel ist ein Arztbesuch ja nur alle drei Monate nötig. Auf den ersten Arztbesuch nach der Diagnose werden wir im nächsten Newsletter näher eingehen.

Brauche ich sofort eine Therapie?
Je nachdem, wie fortgeschritten Deine Infektion beim Zeitpunkt der Diagnose ist, brauchst Du entweder sofort eine Therapie, oder Du kannst noch zuwarten. Es ist sehr wichtig, diese Frage mit dem behandelnden Arzt rasch abzuklären. Deshalb ist auch das rasche Überprüfen Deiner ärztlichen Versorgung wichtig für Dich. Die neusten Zahlen der Schweizerischen HIV-Kohortenstudie zeigen, dass die Schweizer Patienten ihre Therapie mit durchschnittlich weniger als 300 CD4-Zellen beginnen (die Kohortenstudie verfolgt die meisten HIV-Patienten der Schweiz langfristig). Bei Heterosexuellen und injizierenden Drogenkonsumenten ist dieser Durchschnitt nah bei 200 CD4. Das heisst, dass die meisten Patienten zu spät mit der Therapie beginnen. Entweder testen die Leute zu wenig oder zu spät, oder sie zögern zu lange mit dem Therapiestart.

Es ist für Betroffene wichtig zu verstehen, dass das Immunsystem ab Zeitpunkt der Infektion stark unter Druck gerät, weil es Abwehrkräfte gegen das Virus mobilisiert. Diesem Druck kann das Immunsystem eine Zeitlang standhalten (diese Zeitspanne variiert stark, jeder Mensch, jedes Immunsystem ist anders). Wenn die CD4-Helferzellen unter 500 sinken, redet man bereits von einem leicht geschwächten Immunsystem, ab 350 CD4 soll man gemäss gegenwärtigen Richtlinien mit der Therapie starten. Bei positiver Diagnose ist es wichtig, dass die erste Arztvisite rasch nach dem Befund stattfindet, damit die nötigen Abklärungen gemacht werden können. Zu lange abwarten führt zu schlechteren Behandlungsergebnissen, ist also nicht gut für Dich.

HIV und die Sache mit dem Sex
Für viele HIV-Infizierte wird die Sexualität ein schwieriges Thema. Man hat Angst, neue Leute kennenzulernen, man fürchtet sich, das Thema HIV überhaupt anzusprechen. Die meisten Betroffenen brauchen recht lange, um wieder zu einer unbeschwerten Sexualität zurückzufinden. Wenn man frisch infiziert ist, ist die sogenannte Viruslast sehr hoch, und damit auch die Ansteckungsgefahr. Konsequenter Kondomgebrauch ist also sehr wichtig. Wenn man unter Therapie ist und eine feste Beziehung hat, kann man unter bestimmten Umständen auf das Kondom verzichten. Die eidgenössische Kommission für Aidsfragen EKAF hat zu diesem Thema im Jahr 2008 Stellung bezogen. Ein Gespräch mit dem behandelnden Arzt, oder mit einem Berater, einer Beraterin von der Aids-Hilfe ist auch hier sehr empfehlenswert.

Wo kann ich Infos abholen?
Nutze diese Zeit auch, um Dich besser zu informieren. Konsultiere die Webseite der Aids-Hilfe Schweiz für HIV-Positive. Du findest hier nützliche Informationen online, zum runterladen, Broschüren zum bestellen, wichtige Links zu anderen Organisationen und Informationsquellen, auch wichtige medizinische Infos. Wer Englisch spricht, findet auf Aidsmap eine ausgezeichnete und umfassende Informationsquelle. Wenn Du beruflich oder privat häufig reist oder längere Auslandaufenthalte planst, machst Du Dich am besten auf hivrestrictions.org ein wenig schlau über mögliche Beschränkungen.

David H.U. Haerry, durchgelesen von Romy Mathys

 

POSITIV 2/2010 © Aids-Hilfe Schweiz