Interview mit Prof. Dr. med. Alexandra Calmy von der Infektiologie im Universitätsspital Genf

Vielen HIV-Patienten machen erhöhte Cholesterinspiegel das Leben schwer. Zum Teil treten diese als Nebenwirkung der HIV-Therapie auf, zum Teil als Auswirkung des HIV selber; wieder bei andern sind es ganz einfach das Alter oder eine ungesunde Lebensweise. Die Folge ist ein höheres Risiko, an Herz-Kreislaufbeschwerden zu erkranken.

Unsere Ärzte versuchen deshalb, überhöhtes Cholesterin womöglich zu senken. Das gelingt nicht immer. Evolocumab gehört zu einer neuen Klasse von Cholesterinsenkern. Die Substanz senkt erhöhte Spiegel auf bisher unbekannte Werte. Die Medikamentenbehörden Europas, der USA und der Schweiz haben die Substanz bereits zugelassen, in der Schweiz ist aber die Kostenübernahme noch nicht geregelt. Die Kohortenzentren in Genf, Lugano und Zürich werden die Wirkung von Evolocumab bei geeigneten Patienten prüfen. Die Studie rekrutiert ab April 2017.

Frau Professorin Calmy, was hat Sie bewogen, bei dieser Studie mitzumachen?

Die verbesserte Betreuung von HIV-Patienten mit einem überhöhten Cholesterinspiegel ist mir seit vielen Jahren ein Anliegen. Im Vergleich zur Normalbevölkerung haben Menschen mit HIV ein erhöhtes Risiko für Herz-Kreislauf Erkrankungen. Darum ist eine optimale Vorbeugung wichtig. Dazu gehören Rauchentwöhnung, Gewichtskontrolle, eine gute Überwachung des Blutdrucks und eben die Kontrolle des Cholesterinspiegels.

In Zusammenarbeit mit einer Klinik in Melbourne hat unser Team seit 2013 ein klinisches Experiment am Laufen. Dabei möchten wir herausfinden, ob früher Einsatz von Blutdrucksenkern, noch bevor offizielle Richtlinien dies vorsehen, den Patienten einen Nutzen bringt.

Vor kurzem sind wir auf Forschungsergebnisse mit den PCSK9-Inhibitoren gestossen (PCSK9 steht für Proproteinkonvertase Subtilisin/Kexin Typ 9). Wir haben darum die Herstellerfirma Amgen kontaktiert und unser Interesse bekundet, mit diesem Molekül bei HIV-Patienten eine Studie zu machen. Diese PCSK9-Inhibitoren sind hochwirksame Cholesterinsenker, welche einen neuen Mechanismus ausnützen.

Worin unterscheidet sich der Wirkungsmechanismus von Evolocumab von herkömmlichen Cholesterinsenkern?

Evolocumab macht eigentlich dasselbe – es senkt den Blutspiegel des LDL-Cholesterins, beide Wirkstoffe sind sogenannte Cholesterinsenker. Evolocumab ist ein monoklonaler menschlicher Antikörper, der ganz spezifisch auf das PCSK9 einwirkt. Die Statine hingegen sind kleine Moleküle, welche die Cholesterinsynthese blockieren. Die PCSK9-Unterdrückung wirkt auf den Abbau der LDL-Rezeptoren auf der Oberfläche der Leberzellen, welche das LDL-Cholesterin aus dem Blutkreislauf entfernen. Der Wirkungsmechanismus von Evolocumab ist also genauer als die herkömmlichen Cholesterinsenker, es könnte dadurch auch weniger unerwünschte Nebenwirkungen haben. Die pharmakokinetischen Eigenschaften sind ganz anders als bei Statinen, und Wechselwirkungen mit antiretroviralen Medikamenten sind keine bekannt. Schliesslich wird Evolocumab alle zwei Monate subkutan gespritzt – die Adhärenz ist damit einfacher.

Wieviele Patienten möchten Sie rekrutieren, und wie lange dauert die Studie? Welche Patienten suchen Sie (Einschlusskriterien)?

Die vier in der Schweiz beteiligten Zentren in Genf, Lausanne, Lugano und Zürich möchten insgesamt zehn Patienten in die ein Jahr dauernde Studie einschliessen. Die ersten 24 Wochen gibt es einen Placebo-Arm mit einem Scheinmedikament für die Hälfte der Patienten; in den zweiten 24 Wochen erhalten alle Patienten die aktive Substanz Evolocumab.

Wir suchen HIV-positive Patienten für eine primäre und sekundäre Prävention. Die Patienten müssen entweder bereits Statine nehmen oder diese nicht vertragen, und sie müssen einen LDL-Cholesterinspiegel haben, welcher über den normalen Werten liegt (2.6 mmol/L bei Patienten ohne kardiovaskuläre Erkrankungen, und 1.8 mmol/L bei jenen welche bereits eine Kreislauferkrankung haben).

Welche Vorteile erhoffen Sie sich für Ihre Patienten?

Wir können ein Medikament mit einem einzigartigen, genauen und neuen Wirkungsmechanismus testen. Normale Studien schliessen HIV-positive Patienten sehr oft aus. Wir sind darum froh, dass wir das Medikament so rasch in dieser für kardiovaskuläre Erkrankungen sehr empfindlichen Bevölkerungsgruppe testen können.

Vor kurzem hat eine grosse Studie mit über 27’000 Patienten gezeigt, dass Evolocumab nicht nur den LDL-Cholesterinspiegel senkt, sondern auch die Häufigkeit von kardiovaskulären Erkrankungen und Todesfällen. Es ist darum sehr wichtig, dass das Molekül bald verfügbar ist und in unseren Kliniken geprüft werden kann.

Wissen Sie etwas über Nebenwirkungen von Evolocumab?

In allen bisher gemachten Studien ist das Nebenwirkungsprofil ausgezeichnet. In einer der ersten publizierten Studien sind die Nebenwirkungen von Evolocumab sehr ähnlich wie für das Scheinmedikament (Placebo) im Kontrollarm. Die häufigsten Nebenwirkungen, über welche im Zusammenhang mit Evolocumab berichtet wurde, sind Nasopharyngitis (Entzündung der Nasen- und Rachenschleimhaut), Atemwegsentzündungen, Grippe, Übelkeit und Lendenschmerzen. Diese Erscheinungen sind alle nicht sehr spezifisch und können der aktiven Wirksubstanz nur schwer direkt zugeordnet werden.

In vielen Studien sind Frauen untervertreten. Wie sieht es hier aus?

Das ist tatsächlich ein wichtiger Punkt. Heute sind ungefähr 25% der Menschen mit HIV in der Schweiz Frauen. In anderen Ländern ist der Frauenanteil sehr viel höher. Aus diesem Grund ist es enorm wichtig, dass Frauen in klinischen Studien vertreten sind. Überhöhte Cholesterinspiegel sind jedoch bei Frauen selten auf einem Niveau, welches therapeutische Massnahmen nötig macht. Aus diesem Grund werden wir wahrscheinlich mehr Männer in die Studie einschliessen.

 

Wir bedanken uns bei Prof. Alexandra Calmy und bei ihrer Forschungsassistentin Dr. Yoana Dimitrova.

 

David Haerry / März 2017