Erfolgsmeldungen über medizinische Erkenntnisse rund um HIV sind wir uns seit ein paar Jahren gewöhnt. Wer unter wirksamer Therapie ist, ist nicht infektiös und kann gefahrlos ungeschützten Sex praktizieren und Kinder zeugen. Es gibt die Pille, um sich vor einer HIV-Übertragung zu schützen. Die ist zwar in der Schweiz noch nicht zugelassen, doch wird in ein paar Jahren die medikamentöse Prävention genauso normal sein, wie die Anti-Baby-Pille und jedem Individuum ist es selbst überlassen, auf welche Art und Weise es sich vor HIV schützen möchte. Dank hervorragender medizinischer Versorgung und Therapietreue der Patienten ist auch das Risiko einer Resistenzentwicklung laut einer neuesten Studie in der Schweiz vernachlässigbar.

So weit, so gut, doch wie steht es mit der gesellschaftlichen Akzeptanz von Menschen mit HIV? Werden wir noch immer stigmatisiert und diskriminiert? Müssen wir auch 2016 noch befürchten, am Arbeitsplatz Nachteilen ausgesetzt zu werden oder gar die Stelle zu verlieren, wenn wir unsere HIV-Infektion den Kollegen mitteilen? Sind wir von Privatversicherungen ausgeschlossen oder können wir uns und unsere Angehörigen für die Zukunft oder den Erwerb eines Eigenheims absichern?

Wir haben uns die Diskriminierungsmeldungen der Aids-Hilfe Schweiz aus dem Jahr 2015 1 angesehen und müssen feststellen, dass in vielen Köpfen noch immer Vorurteile und Ängste herumgeistern. So herrschte beispielsweise in einer Schulzahnarztpraxis Aufruhr, weil eine Schülerin auf dem Formular angegeben hatte, dass sie HIV-positiv ist. Das Personal war mit der Situation überfordert und hatte Angst vor einer Ansteckung.
Die Bereiche, in denen Diskriminierungen vorkommen, haben sich über die Jahre nicht sehr verändert. So sind noch immer Vorfälle am Arbeitsplatz, Benachteiligungen gegenüber Versicherungen sowie Datenschutzverletzungen die am stärksten betroffenen Gebiete. Immerhin scheint inzwischen auch bis zu den Strafverfolgungsbehörden durchgedrungen zu sein, dass HIV-Positive unter wirksamer Therapie das Virus nicht übertragen und deshalb nicht mehr wegen versuchter schwerer Körperverletzung angeklagt werden können. Seit dem 1. Januar 2016 ist nun auch das revidierte Epidemiengesetz in Kraft, sodass heute niemand mehr befürchten muss, wegen Verbreitens einer gefährlichen menschlichen Krankheit vor Gericht gezogen zu werden.

Fast die Hälfte aller Diskriminierungsfälle betrifft Versicherungen, sowohl Sozial- als auch Privatversicherungen. Im Bereich der Sozialversicherungen sind es vor allem Krankenversicherungen, welche sich weigern, gewisse Kosten zu übernehmen. Darunter fällt die Übernahme der antiretroviralen Therapie, wenn ein Versicherter beispielsweise wegen nicht bezahlter Prämien auf einer schwarzen Liste erscheint. In einem anderen Fall weigerte sich die Versicherung, die Kosten einer PEP zu übernehmen, obschon diese klar im Leistungskatalog des Bundesamtes für Gesundheit aufgeführt ist. Die Rechtsabteilung der Aids-Hilfe Schweiz unterstützt die Klienten in solchen Fällen erfolgreich mit Interventionen bei den Versicherungen oder zieht die Fälle weiter und verhilft so den Benachteiligten zu ihrem Recht.
Bei den Privatversicherungen waren es hauptsächlich Einzeltaggeldversicherungen, welche infolge einer vorbestehenden Krankheit nicht abgeschlossen werden konnten. Zudem gab es verschiedene Fälle von Blankovollmachten, welche die Versicherten für die Abklärung eines Leistungsfalles erteilen mussten. Diese Vollmachten gehen zu weit und können eingeschränkt werden. Auch in diesen Fällen unterstützt die Aids-Hilfe Schweiz die Klienten mit entsprechender Beratung und Musterbriefen.

Auch im Gesundheitswesen kommen Diskriminierungen vor. Diese betreffen in den meisten Fällen den Datenschutz. So wurde auch letztes Jahr in verschiedenen Fällen die HIV-Diagnose bei Überweisungen weitergegeben. Häufig berufen sich die Ärzte darauf, dass die Stellen, an welche die Patienten überwiesen werden, ebenfalls unter dem Arztgeheimnis stünden doch ändert das nichts daran, dass eine Diagnose nur dann weitergegeben werden darf, wenn die vorgesehene Untersuchung oder Behandlung im Zusammenhang mit der HIV-Infektion steht. In allen anderen Fällen ist die HIV-Diagnose nicht von Belang. Auch nicht wegen allfälliger Interaktionsrisiken der Arzneimittel. Um diese auszuschliessen kann der Patient oder die Patientin den HIV-Spezialisten befragen.
Ein besonders beklagenswerter Fall betraf eine Bewohnerin eines Pflegeheimes, welche das Personal über die HIV-Infektion informiert hat. Die Diskriminierungen und Schikanen gingen so weit, dass man ihr die Hilfeleistung verweigerte, als sie im Heim zusammenbrach.

Verletzungen des Datenschutzes kamen aber auch im privaten Umfeld vor. So hat ein Freund einer Frau vor versammelter Runde an einer Geburtstagsfeier herumerzählt, sie habe Aids. Die Betroffene hat sich einen Anwalt genommen um sich gegen diese krasse Verletzung ihrer Persönlichkeit zu wehren. Auch die Verbreitung der HIV-Diagnose über soziale Medien kam in einigen Fällen vor.

Die Übersicht über die erfolgten Diskriminierungen im 2015 zeigt, dass sich die Themen und Fälle in den letzten Jahren kaum verändert haben. Menschen mit HIV werden noch immer benachteiligt, sei es am Arbeitsplatz, gegenüber Versicherungen, im Gesundheitsbereich oder ihr Recht auf Datenschutz wird verletzt. Es ist weiterhin notwendig, dass Arbeitgeber, Pflegepersonal in Spitälern oder in Heimen aufgeklärt werden. Und wir müssen erreichen, dass es keine Ausschlüsse aus Privatversicherungen mehr gibt. Aufatmen lässt sich einzig im Bereich des Strafrechts. Und es ist nicht mehr kategorisch ausgeschlossen, als Positiver eine Lebensversicherung abzuschliessen. Wer dies tun will, kann sich mit dem Positivrat in Verbindung setzen und wir vermitteln einen Versicherungsmakler unseres Vertrauens.

Eine Online-Broschüre der Aids-Hilfe Schweiz 2 gibt einen guten Überblick über die einzelnen Rechte und wie man bei einer Verletzung vorgehen muss.

Dominik Bachmann / Mai 2016

 

1 www.aids.ch/de/downloads/pdfs/Diskriminierungsmeldung_2015.pdf
2 shop.aids.ch/de/fuer-hiv-positive/rechtsratgeber-hiv