Es war eine kleine Sensation: Die europäischen Behandlungsrichtlinien empfehlen die PrEP auch ohne Zulassung der europäischen Medikamentenbehörden. Frankreich führt die PrEP offiziell ein und übernimmt die Kosten über das Gesundheitssystem. Die Eidgenössische Kommission für Sexuelle Gesundheit EKSG äussert sich positiv zur PrEP. Und ein Leser hinterfragt unsere Meinung.

EACS Barcelona
Es gab nicht einmal viel Aufsehen an der Konferenz, als die Therapierichtlinien Version 8 vorgestellt wurden – die Kliniker empfehlen den Einsatz der PrEP, und dies bevor die europäischen Medikamentenbehörden eine entsprechende Zulassung erteilt haben. In einer gemeinsamen Presseerklärung mit der Patientengruppe EATG erklärt die EACS ihre Haltung wie folgt: „Die Wissenschaft hat eine Antwort geliefert, und die Richtlinien reflektieren die Studienresultate aus PROUD und IPERGAY.“ Der EACS-Präsident Professor Manuel Battegay betont denn auch wie wichtig es sei, dass die Behörden mit der Zulassung vorwärts machen. „Auch bei den aktuellen Preisen für Truvada sparen wir Geld wenn wir eine PrEP an schwule Männer aus Hochrisikogruppen verschreiben“, bestätigte die PROUD-Studienleiterin Prof. Sheena McCormack aus London.

Warum sind die europäischen Behörden so spät dran, wo doch die amerikanische FDA schon 2012 eine Zulassung erteilt hat? Die Antwort: Die Amerikaner haben aufgrund von Studienresultaten eine Zwangszulassung verfügt. Die europäischen Behörden haben dieses Instrument nicht – sie müssen warten, bis eine Firma eine Zulassung beantragt (dasselbe gilt für Swissmedic in der Schweiz). Vor wenigen Tagen kam endlich grünes Licht aus London: Das Dossier wird jetzt bearbeitet, innert 60 Tagen sollte die Antwort der Behörde vorliegen.

Frankreich macht vorwärts
Am vergangenen 23. November hat die französische Gesundheitsministerin die Einführung von PrEP ab 1. Januar 2016 angekündigt, dies bei voller Kostenübernahme durch das Gesundheitssystem. Der Ankündigung vorausgegangen waren monatelange Konsultationen hinter den Kulissen. Nach dem vorzeitigen Abbruch der IPERGAY-Studie war der Druck zu gross geworden – das System musste reagieren und die Intervention zugänglich machen. Ärzte und Aidsorganisationen zeigten sich erleichtert. IPERGAY ist die erste Studie, welche die Wirksamkeit von PrEP bei Bedarf, vor und nach dem Sex nachweist.

Und die Schweiz?
Ganz untätig war man hier nicht, doch die Mühlen mahlen etwas langsamer. Zum ersten sind die Neuansteckungen auch bei schwulen Männern einigermassen unter Kontrolle, zum zweiten wurde in der Schweiz keine PrEP-Studie durchgeführt. Die Arbeitsgruppe Klinik und Therapie der eidgenössischen Kommission für sexuelle Gesundheit EKSG (die frühere EKAF) hat sich trotzdem mit der Frage befasst. Einige Ärzte verschreiben die PrEP auch in der Schweiz, weil ihre Patienten danach fragen, und aufgrund der Entwicklung in Europa man die Augen nicht weiter verschliessen konnte. Am 25. Januar 2016 hat das BAG-Bulletin die Meinung der Kommission publiziert. Als Zielgruppe werden HIV-negative Personen mit hohem Ansteckungsrisiko genannt, welche häufig Partner wechseln und Schwierigkeiten mit der konsistenten Verwendung von Kondomen haben. Kürzlich erworbene Infektionen mit Syphilis oder dem venerischen Granulom, eine wiederholte Post-Expositionsprophylaxe oder der Gebrauch sogenannter Chemsex-Drogen können Hinweise auf eine Gefährdung liefern.

Das Verschreiben der PrEP erfolgt in der Schweiz „off label“, da keine Zulassung der Swissmedic vorliegt (die Herstellerfirma hat noch keinen Antrag eingereicht, beabsichtigt dies aber zu tun). Die Kosten werden von der Krankenkasse nicht übernommen. Auf längere Sicht ist das unbefriedigend – zum ersten wird eine Post-Expositionsprophylaxe auch übernommen und zum zweiten sollte der Zugang zu einer wirksamen Intervention für alle möglich sein und kein Privileg darstellen. Die Diskussion um Kostenübernahme muss darum auch in der Schweiz geführt werden. Siehe dazu auch die Position der Positivrates Schweiz.

Eine Zuschrift und unsere Replik
Im vergangenen Juli haben wir uns etwas aus dem Fenster gelehnt. Im Artikel „PrEP ist ok – nur für Amerikaner?“ resümierten wir „Auch wenn PrEP teurer ist als ein Kondom: Die Intervention ist auch wirksamer als der Gummi und ein weiterer, wichtiger Pfeil im Köcher der Prävention.”(1) Ein aufmerksamer Leser hat nachgefragt, wie wir das begründen. Dazu muss man etwas ausholen.

Theoretisch müsste man in einer Meta-Analyse die Wirksamkeit von 100% Kondomgebrauch mit der Wirksamkeit von 100% Adhärenz unter PrEP vergleichen. Es gibt solche Meta-Analysen über den Kondomgebrauch. Sie gehen von einer Wirksamkeit von 80-85% aus. Aidsmap schreibt dazu: Wenn Kondome zu 100% eingesetzt werden, wenn auch nicht immer 100% perfekt (sie können zum Beispiel platzen), beträgt der Schutz gegen HIV 80-85%. Mit anderen Worten: Wenn sich 100 Personen ohne Einsatz von Kondomen infizieren, würden sich 15 Personen infizieren, wenn Kondome immer eingesetzt werden. Wichtig dazu: diese Zahlen gelten für heterosexuellen, vaginalen Geschlechtsverkehr (2).

Dawn Smith hat für das amerikanische Center for Disease Control die Wirksamkeit von 100% Kondomgebrauch untersucht. Er zieht dabei einen Durchschnitt aus zwei unterschiedlichen Studien und kommt auf 70% Wirksamkeit (3). Dieser Wert wird durch eine frühere Studie über die Wirksamkeit von Kondomen bei Analverkehr bestätigt.

Bei PrEP haben wir einen einzigartigen Vorteil: Wir können messen und nachweisen, ob die PrEP genommen wurde oder nicht. Beim Kondomgebrauch müssen wir uns darauf verlassen, was die Studienteilnehmer erzählen – natürlich brauchen sie die Kondome „immer“, aber man kann es nicht überprüfen. Auch in PrEP Studien haben die Teilnehmer berichtet, wie genau sie es mit der PrEP nehmen – nur hat man sie dort erwischt. In iPrex betrug der Unterschied zwischen rapportierter und gemessener Adhärenz 90% zu 75%; in anderen PrEP Studien betrug die gemessene Adhärenz sogar nur 51%.

Zurück zu den Studien über die Wirksamkeit von Kondomen: Wir wissen mit Sicherheit, dass die Leute ihr Verhalten beschönigen. Und: entweder berichten die Leute korrekt, wie sicher sie Kondome einsetzen, aber die Kondome sind nicht so wirksam – darum hätten wir eine Wirksamkeit von 70% . ODER die Kondome werden zu 100% eingesetzt und funktionieren auch bei 99%, aber die Leute beschönigen und brauchen sie nicht 100% obwohl sie das Gegenteil behaupten, und wir haben darum eine Wirksamkeit von 70%.

Vor PROUD und IPERGAY konnte man über die Statistik argumentieren und sagen, dass unter Berücksichtigung der Adhärenz Kondome und PrEP gleich effizient wären. Seither ist aber die Katze aus dem Sack. Wir sahen 86% Wirksamkeit auch in Situationen wo die Medikamentenspiegel eine Adhärenz von 76% anzeigten (PROUD) oder der Sex durch zwei Dosen bloss in 50% der Fälle wirklich abgedeckt war (IPERGAY). Das zeigt: PrEP vergibt eine gewisse Nachlässigkeit und ist flexibel im Einsatz, man kann fast 100% Wirksamkeit auch dann erreichen, wenn man nicht ganz alle Dosen nimmt.

Zudem haben wir seither auch die beeindruckende Kaiser Studie mit nicht einer Ansteckung unter mehr als 700 Hochrisikoschwulen. Das hätte man nicht gesehen, wenn man denselben Leuten Kondome empfohlen hätte.

Wir bleiben also dabei: Die PrEP kostet zwar, ist aber wirksamer als der Gummi und ein weiterer, wichtiger Pfeil im Köcher der Prävention.

Was mache ich, wenn ich eine PrEP will?
Bitte nicht:

Bitte so:

David Haerry / Februar 2016  

 

(1) https://positivrat.ch/cms/medizin/therapie/128-prep-ist-ok-nur-fuer-amerikaner.html
(2) http://www.aidsmap.com/Do-condoms-work/page/1746203/#item1746205
(3) http://www.aidsmap.com/CDC-researchers-publish-estimate-of-effectiveness-of-condom-use-in-anal-sex/page/2930716/