In Frankreich wird die PrEP seit Anfang Jahr verschrieben und die Kosten dafür werden übernommen. In England möchte man auch gern, doch das System ist auf Schleuderkurs. Die europäische Medikamentenagentur EMA hat Truvada für den präventiven Einsatz im Juli zugelassen. In der Schweiz geschieht derweil nicht viel – ausser dass immer häufiger eine PrEP verschrieben wird.

Wir haben in der Vergangenheit bereits mehrmals über die PrEP berichtet. Soweit der Schreiber sich erinnern kann, gab es in der HIV-Geschichte kaum ein Thema, welches über so lange Zeit derart kontrovers diskutiert wurde. An der aus Studien gewonnenen Evidenz kann es nicht liegen. Möglicherweise überwiegt jedoch in Sachen PrEP die Angst oder das Gefühl «nicht das Richtige zu tun». Vor der Konferenz in Glasgow im Oktober blicken wir auf die wichtigsten Ereignisse in diesem Jahr zurück.

CROI 2016: Resistenzen führen zu einem Versagen der PrEP
Ein erster Fall von PrEP-Versagen wurde im Februar 2016 an der CROI in Boston publik. Die Fallstudie berichtet von einem Mann aus Toronto, welcher seit zwei Jahren lang eine PrEP einnahm. Als er damit anfing, war er mit einem HIV-positiven Mann zusammen, der dank seiner Therapie eine nicht nachweisbare Viruslast hatte. Er hatte aber ausserhalb seiner festen Beziehung weitere sexuelle Kontakte mit ungeschütztem Analverkehr. Trotz seiner PrEP hat sich dieser Mann mit einem mehrfach resistenten HI-Virus angesteckt.

Zwei Jahre nach Einleiten der PrEP hatte der Mann nach einer Periode mit vielen Risikokontakten plötzlich Symptome und es wurde eine akute HIV-Infektion festgestellt. Die gemessene Viruslast war aber mit 28’000 Kopien/ml eher tief – ein Hinweis, dass die PrEP zwar die Virusvermehrung unterdrückt, jedoch offenbar die Ansteckung nicht verhindern konnte. Es kann nicht ganz ausgeschlossen werden, dass der Patient bei der Ansteckung eine «Adhärenz-Lücke» hatte. Der Patient selbst ist sich aber sicher, die Prophylaxe immer genommen zu haben.

Das Virus des Patienten ist resistent gegen Nicht-Nukleosidanaloga (NNRTI), Nukleosidanaloga der ersten Generation (NRTI) sowie gegen Integraseinhibitoren. Die Übertragung von Resistenzen gegen Integraseinhibitoren wird nur sehr selten beobachtet. Der Patient erhielt eine Therapie aus drei Medikamentenklassen und innert drei Wochen war die Virenlast unterhalb der Nachweisgrenze. Seine Therapie wurde später vereinfacht.

Der beschriebene Fall ist nicht absolut überzeugend – dafür hätte man Blutproben vom Zeitpunkt der Ansteckung untersuchen müssen. Die Wahrscheinlichkeit ist aber recht gross, dass wir hier einen der ersten dokumentierten Fälle einer Ansteckung trotz guter PrEP-Adhärenz haben. Wir können weitere solche Fälle nicht ausschliessen. Da aber heute zehntausende Menschen eine PrEP einnehmen, ist die Wahrscheinlichkeit eines wiederholten PrEP-Versagens nicht gerade gross. 1

Frankreich prescht vor – in England holperts
Wie bereits berichtet, übernimmt das französische Gesundheitssystem die PrEP seit dem 1. Januar 2016. Eigentlich sollte man in England auch soweit sein – schliesslich wurde die PROUD-Studie ebenfalls im Vereinigten Königreich durchgeführt. Es zeigen sich hier jedoch die Eigentümlichkeiten des englischen Systems.

Das egalitäre System in Frankreich lässt es nicht zu, dass eine erprobte Behandlungsmethode nicht für alle Patienten verfügbar ist. In England sieht man das offenbar anders. Hier gab es Befürchtungen, dass schwule Männer promisker würden, wenn man ihnen eine PrEP bezahlen würde. Gleichzeitig sorgte man sich um Kinder mit zystischer Fibrose, weil diese aus Kostengründen ihre Medikamente nicht mehr erhalten könnten und folglich unter Atembeschwerden leiden müssten.

Das Budget des National Health Service (NHS) ist beschränkt. Der NHS wollte deshalb die Kosten für die PrEP auf die lokalen Behörden abwälzen. Diese weigerten sich aber – mit der Begründung sie hätten kein Geld. Der National AIDS Trust (NAT) ging deswegen vor Gericht und der NHS verlor den Fall. Gegen diese Entscheidung will der NHS rekurrieren, doch der Rekurs könnte scheitern. In diesem Fall muss sich der NHS vorsehen, denn es müssten unpopuläre Entscheidungen gefällt werden. Im Juni begründete der NHS-Chef seine Haltung mit der fehlenden Zulassung durch die Europäische Arzneimittel-Agentur EMA (diese erfolgte am 22. Juli) sowie einem fehlenden Nachweis über die Kosteneffizienz durch die britische Arzneimittel-Behörde NICE.

Mit Blick auf die Behandlungskosten errechnet der NAT, dass sich der NHS durch seine Haltung täglich 2,88 Millionen Pfund zusätzliche Therapiekosten aufbürdet anstatt 4’800 Pfund pro Person und Jahr für eine PrEP auszugeben. Im Jahr 2014 hat sich in England eine Rekordzahl von 2’800 schwuler Männer mit HIV angesteckt – das sind acht pro Tag. Doch der NHS behauptet tapfer, man hätte kein Geld um den geschätzten 10’000 bis 15’000 Männern eine PrEP zu ermöglichen. Und so fliegt der Ball hin und her.

Mittlerweile übernimmt Gilead die PrEP-Kosten für die PROUD-Studienteilnehmer bis eine Lösung gefunden ist.

Erfolg in San Francisco
Neue Zahlen aus San Francisco zeigen, dass die Stadt mit ihrer Doppelstrategie der sofortigen Therapie bei Diagnose und PrEP bei Risikoverhalten gut unterwegs ist. Der am 1. September 2016 publizierte «HIV Epidemiology Annual Report 2015» zeigt eine deutliche Abnahme der Neuansteckungen in der Stadt an der US-Westküste. Seit 2012 (Einführung der PrEP in den USA) zeigt die Kurve besonders deutlich nach unten 2: Wurden 2012 noch 453 Neuansteckungen gemessen, sank die Zahl bis 2015 um fast die Hälfte (255).

Was läuft in der Schweiz?
Es gibt mehr und mehr Ärzte, die eine PrEP verschreiben – an den grossen Universitätskliniken sowie in den Checkpoints gleichermassen. Sparsame Patienten beziehen die Medikamente in Indien oder Frankreich.

Eine Zulassung durch Swissmedic steht aus. Wir haben die Firma Gilead diesbezüglich angefragt und warten nun auf die Antwort. Die Eidgenössische Kommission für sexuelle Gesundheit empfiehlt den Einsatz einer PrEP in gewissen Situationen 3. Angesichts des bevorstehenden Patentverlustes von Gilead sollte in puncto Kosten eine Vereinbarung mit dem BAG möglich sein. Das Räuspern im BAG ist vernehmlich negativ und die Aids-Hilfe Schweiz schweigt vielsagend.

Für den Positivrat ist die Lage unbefriedigend. Zum ersten wird eine Post-Expositionsprophylaxe auch übernommen. Zum zweiten sollte der Zugang zu einer wirksamen Intervention für alle möglich sein und kein Privileg darstellen. Die Diskussion um Kostenübernahme muss darum auch in der Schweiz geführt werden.

Siehe dazu auch die Position der Positivrates Schweiz

 

David Haerry / September 2016

1 Knox DC et al. HIV-1 Infection with Multiclass Resistance despite Pre-exposure Prophylaxis (PrEP). Conference on Retroviruses and Opportunistic Infections, Boston, abstract 169aLB, 2016
2 https://www.sfdph.org/dph/files/reports/RptsHIVAIDS/AnnualReport2015-20160831.pdf
3 Seit 29. Januar 2016, siehe www.bag.admin.ch/hiv_aids/05464/12752/