Seit das HI-Virus als AIDS-Erreger identifiziert ist, befasst sich die Wissenschaft mit dem Thema „Heilung“von HIV. Bis vor kurzem noch ein  Thema für Verwegene, sorgte es an der heurigen Retrovirenkonferenz für die eigentliche Sensation. Ein konkreter Fall einer Heilung von HIV ist mittlerweile etabliert, weitere könnten folgen.

Besagter Berliner Patient war seit 1995 mit HIV infiziert. Im Jahr 2006 erhielt er eine noch schlimmere Diagnose: eine akute Leukämie wurde festgestellt. Der behandelnde Arzt hatte eine sehr gute Idee: eine Knochenmark- (Stammzellen-) transplantation von einem sehr speziellen Spender – einem Spender mit einer Delta-32 Mutation . Damit, spekulierte der Arzt, könnte vielleicht sowohl die Leukämie wie auch HIV geheilt werden. Das Immunsystem des Patienten wurde durch die Chemotherapie zur Behandlung der Leukämie zerstört, und anschliessend über die Knochenmarktransplantation wieder hergestellt.

Eine solche Strategie lässt sich nicht einfach bei anderen Patienten einsetzen. Abgesehen von den Kosten ist der Eingriff auch sehr belastend – der Berliner Patient konnte zeitweise weder gehen noch reden. Der Fall hat aber gezeigt, dass HIV möglicherweise mit einer Gentherapie geheilt werden kann. Wir haben ja bereits ein zugelassenes Medikament, welches den CCR5-Rezeptor blockiert  und damit die Virusvermehrung unterdrückt.

Man stellte sich nun die Frage, ob wir bei Menschen mit HIV, welche ja die CCR5-Mutation nicht haben, gentechnisch eine solche herbeiführen könnten. Offenbar ist das möglich, wie eine sogenannte „proof of concept“ – Studie zeigt. 

Sechs HIV-positive Männer unter Therapie, ca. 50-jährig, wurden in die Studie aufgenommen. Alle Teilnehmer waren seit 20-30 Jahren HIV-positiv, hatten eine nicht nachweisbare Viruslast und CD4-Zellen zwischen 200 und 500/ml.

Das Vorgehen ist aus der Gentherapie bereits bekannt: den Patienten wurde Blut entnommen, aus diesem wurden T-Helferzellen herausgefiltert, diese T-Zellen wurden im Labor aktiviert und mit sogenannten Zinkfinger-Nukleasen behandelt. Zinkfinger-Nukleasen sind Restriktionsenzyme, welche spezifische DNA-Sequenzen entfernen können. Hier wurden sie benutzt, um den CCR5-Rezeptor zu brechen. Etwas 25% der entnommenen T-Zellen wurde so behandelt. Anschliessend wurden diese Zellen eingefroren, an die Studienklinik zurückgeschickt und den Patienten per Infusion zurückgegeben. Eine Gruppe erhielt 10 Mio Zellen, eine zweite 20 Mio, eine dritte Gruppe mit 30 Mio Zellen ist erst in Behandlung.

Das Ergebnis dieser „Kur“ ist beeindruckend. Es gab kaum Verträglichkeitsprobleme. Einige Patienten hatten grippeähnliche Symptome, diese gingen aber rasch vorbei. Bei allen Teilnehmern wurden die veränderten CD4-Zellen vom Körper aufgenommen und vermehrten sich dort, ganz wie normale CD4-Zellen. Bei 5 von 6 Patienten stieg die Zahl der CD4-Zellen nachhaltig um durchschnittlich 200 Zellen an. Ebenfalls hat sich bei diesen Patienten das Verhältnis der CD4 zu den CD8-Zellen normalisiert – dieses wird normalerweise durch die HIV-Infektion gestört.

Nach 90 Tagen waren bis 7% der CD4-Zellen im periphären Blut und in der Darmschleimhaut CCR5-veränderte Zellen. Die Forscher gehen davon aus, dass dieser Anteil „HIV-resistenter“ CD4-Zellen bei den betroffenen Patienten noch zunehmen wird. Wie stark dies langfristig der Fall sein wird, ist aber noch unklar.

Diese Resultate bestätigen grundsätzlich, was wir beim Berliner Patienten gesehen haben. Noch ist damit das Ziel einer heilenden HIV-Therapie noch nicht erreicht. 

Es gilt jetzt als nächstes herauszufinden, ob dieses Vorgehen auch bei Patienten mit nicht unterdrückter Viruslast funktioniert, diese reduziert und sich damit ein klinischer Nutzen erzielen lässt. Dieser Versuch wird sowohl mit unbehandelten Patienten wie auch mit „salvage“ Patienten (Leute mit multiresistenten Viren) durchgeführt.

Man hofft also, durch dieses Vorgehen ein Reservoir von HIV-resistenten CD4-Zellen aufbauen zu können, derweil die nicht resistenten Zellen durch das HI-Virus ausradiert würden.

Was ist mit dem zweiten Rezeptor, CXCR4?
HIV kann einen zweiten Rezeptor benutzen, um in die CD4-Zellen einzudringen. Dieser nennt sich CXCR4. Übertragene Viren sind fast immer CCR5-tropisch; bei fortschreitender Schwächung des Immunsystems beobachtet man CXCR4 häufiger.

Die Zinkfinger-Nuklease Technologie wurde auch hier angewandt. Im Tiermodell funktioniert auch das – Resultate mit Patienten müssen wir aber abwarten. In der Praxis könnte die die Blockierung des CXCR4-Rezeptors als schwieriger erweisen. Das Immunsystem der betroffenen Patienten ist weniger fit als bei CCR5-tropischen Menschen.

Wäre dann die Heilung Realität?
Vielleicht. Der Berliner-Patient wurde 3 Jahre nach seiner Behandlung offiziell als von HIV „geheilt“ erklärt. Ebenso möglich ist aber, dass die Gentherapie ab und zu eingesetzt die heutige antiretrovirale Behandlung ablösen könnte. Falls aber die Gentherapie wirklich die Ausmerzung (Eradikation) von HIV ermöglicht, dann wäre dies der bisher grösste Erfolg der Gentherapie in der Medizin. Viele ExpertInnen sind heute überzeugt, dass dieses Ziel erreicht werden kann. Wann dies der Fall sein wird, und ob dannzumal alle Menschen mit HIV gleichermassen profitieren können, ist gegenwärtig nicht abzuschätzen. Ein Zeithorizont von 10 Jahren für erste „serienmässige“ Heilungen könnte aber realistisch sein.

David H.U. Haerry

 

Lalezari J et al. Successful and persistent engraftment of ZFN-M-R5-D autologous CD4 T Cells (SB-728-T) in aviremic HIV-infected subjects on HAART. 18th Conference on Retroviruses and Opportunistic Infections, abstract 46, Boston, 2011.
Wilen C et al. Creating an HIV-resistant immune system: using CXCR4 ZFN to edit the human genome. 18th Conference on Retroviruses and Opportunistic Infections, abstract 47, Boston, 2011.
POSITIV 1/2011 © Aids-Hilfe Schweiz