«Die Angst vor dem Nächsten – Dating in Zeiten von Corona»

052 Gruppen Deutsch

 

Gesprächsfragmente, zusammengetragen von Janos Tedeschi

“Corona hat Dating fast vollkommen ins Internet verbannt. Dort können wir uns ausleben, ohne Gefahr, ohne Konsequenzen, ohne Verantwortung. Über die vergangenen Monate habe ich mit so einigen Typen geschrieben. Ich hatte mich total darauf gefreut sie in der Zeit nach Corona zu treffen. Nun da die Massnahmen gelockert wurden, haben plötzlich alle abgesagt oder sind einfach verschwunden. Plötzlich hatten sie kein Interesse mehr. Vielleicht hatten sie nie wirklich Interesse, wollten aber während Corona nicht komplett alleine sein und haben sich deswegen mit mir online unterhalten. Vor ein paar Tagen traf ich mich dann doch mit einem Jungen. Wir sind spazieren gegangen (ohne die anderthalb Meter-Regel einzuhalten), haben Kaffee getrunken und uns einen Kuchen geteilt. Es war wirklich nett; schönes Wetter, die Chemie passte – und am Ende des Treffens wollte ich ihn umarmen. Er aber nahm einen richtigen Schritt zurück und sagte “Corona, no touch!” Ich kann gar nicht ausdrücken, wie ich mich fühlte. Wie würde er wohl reagieren, wenn er wüsste, dass ich HIV-positiv bin?”
(Stan, 30)

“Ich habe mich in den letzten Monaten nicht wesentlich anders verhalten als vor Corona, mit dem Unterschied, dass ich beim Sex einfach nicht küsse.”
(Nelson, 32)

“Die Corona Epidemie wird dem Dating über Apps sicherlich noch einen zusätzlichen Schub geben. Ich hoffe aber auch, dass sie am Ende auch zu einer neuen Wertschätzung der körperlichen Intimität führen wird.”
(Adriana, 23)

“Im Januar habe ich mich in den tollsten Mann auf Erden verliebt. Dann kam Corona und seither will er mich nicht mehr treffen, aus Angst vor einer Ansteckung. Ich fand das total übertrieben, aber versuchte seine Entscheidung zu respektieren. Nun sind fast fünf Monate vergangen ohne dass wir uns gesehen haben. Die Angst ist wohl grösser als sein Bedürfnis mich zu sehen. Man sagt, Liebe mache blind – doch Angst macht blind und taub.”
(Julie, 23)

“Wir dürfen nicht zulassen, dass das Coronavirus unsere Sexualität im Schlafzimmer (oder wo dann auch immer) in der gleichen radikalen Weise beeinflusst, wie es AIDS in den 1980er und 90er Jahren tat. Wenn meine Cousine, oder gar mein bester Freund, mir sagt „keine Umarmungen mehr“, dann ist das ja nicht nur ein Witz, sondern ein Zeichen dafür, dass wir jede Form von Körperkontakt – kategorisch – als eine Gefahr für unsere Leben verstehen.”
(Bert, 67)

“Ich treffe mich ab und an mit meinem “friend with benefits”. Er wohnt auf einem Bauernhof und mischt sich kaum unter die Leute, so kann er sich auch nicht anstecken. Ich weiss, das Risiko ist sehr gering, und doch schwingt immer irgendwie Angst mit bei mir. Ich traue mich nicht wirklich mit ihm offen darüber zu sprechen – ich will ihm ja nicht unterstellen, dass er unvorsichtig sei.”
(Carolina, 35)

“Selbst wenn wir uns in einigen Monaten (oder Jahren) nicht mehr an Social Distancing Regeln halten müssen, sind unsere Ängste vor körperlichem Kontakt bereits jetzt so ausgeprägt, dass wir Intimität per Definition als ein inhärent gefährliches Unterfangen verstehen. Wir haben Angst vor dem Nächsten!”
(Jérome, 28)

“Einer medizinischen Fachzeitschrift entnehme ich folgende Empfehlungen zum Thema Sex während Corona: “Enthaltsamkeit ist eine Überlegung wert, insbesondere wenn Sie Ihre Sexualpartner normalerweise online treffen. Ziehen Sie Videodates, Sexting oder Chat-Räume einer physischen Begegnung vor. Masturbation verbreitet kein Coronavirus”. Dies sind wohl durchaus vernünftige (wenn wohl auch nicht unbedingt realistische) Ratschläge für eine durch Körperkontakt verbreitete Pandemie. Man sollte jedoch beachten, dass diese Empfehlungen an einen Prozess anschliessen, der mit der fortschreitenden Digitalisierung unseres Lebens ohnehin bereits im Gange war: Statistiken zeigen nämlich, dass die heutigen unter 25-Jährigen viel weniger Zeit mit der Erforschung ihrer Sexualität verbringen als mit dem Surfen im Internet! Ist es denn nicht viel einfacher, Sex in einem virtuellen Raum zu “leben” – meist mit harter Pornografie – jenseits körperlicher Intimität?“
(Sylvan, 43)

 

Janos Tedeschi / August 2020

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