Depressionen bei Menschen mit HIV kommen häufig vor. Sie können erfolgreich behandelt werden. Die Betroffenen selbst sind allerdings nicht immer in der Lage, die Symptome richtig zu deuten und selbst Hilfe zu suchen. Wichtig ist daher, dass deren Umfeld in der Familie aber auch Arzt und Pflegepersonal Anzeichen einer psychischen Erkrankung erkennen und zusammen mit den Betroffenen Massnahmen für eine entsprechende Therapie aufzeigen.

Depression ist eine psychische Krankheit, die sich in zahlreichen Beschwerden äussern kann und unter der viele Menschen leiden. Dabei können sowohl körperliche als auch genetische mit psychischen und psychosozialen Auslösern in Wechselwirkung treten und sich gegenseitig verstärken. Rund eine von fünf Personen ist in ihrem Leben mindestens einmal von einer Depression betroffen. Als erschwerender Umstand kommt hinzu, dass diese Krankheit immer noch stark tabuisiert ist und vor allem Männer ungern zugeben, dass sie darunter leiden. Es erscheint ihnen unmännlich, einzugestehen, dass sie hier etwas nicht unter Kontrolle haben und fremde Hilfe benötigen. Ein Mann zeigt seine Gefühle nicht, er weint nicht, er will kein Versager sein. Obwohl diese Krankheit bei Frauen häufiger diagnostiziert wird als bei Männern, sind durch Depressionen ausgelöste Selbstmorde bei Männern dreimal häufiger als bei Frauen.

Depressionen bei Menschen mit HIV

Bei Menschen mit HIV kommen Depressionen überdurchschnittlich häufig vor und solche Erkrankungen sind die am meisten auftretenden psychischen Störungen bei diesen Patienten. Eine chronische Krankheit wie eine HIV-Infektion, die eine lebenslange medikamentöse Behandlung und eine permanente medizinische Betreuung erfordert, ist eine grosse psychische Belastung. Die Diagnose einer HIV-Infektion ist für die Betroffenen eine unerwartete Zäsur im Leben verbunden mit einer existentiellen Bedrohung. Man befindet sich plötzlich allein auf einer Eisscholle, die sich vom Packeis gelöst hat und abdriftet. Früher oder später wird das Eis schmelzen, und was dann? Zwar gibt es heute mit den Kombinationstherapien sehr wirksame Medikamente. Sie bekämpfen zwar das Virus, können es aber noch nicht eliminieren. Man sitzt also bildlich gesprochen in einem Boot, das ein Leck hat. Die HIV-Therapie ist ein Schöpfeimer. Solange man kontinuierlich Wasser schöpft, bleibt das Boot über Wasser. Hört man mit dem Schöpfen auf, läuft das Boot voll und es beginnt zu sinken. Zu dieser beständigen Bedrohung kommen Schuldgefühle, man fragt sich, «Warum gerade ich?» oder «Macht das alles überhaupt noch Sinn?». Möglicherweise beginnt man auch, sich und seinen Körper zu hassen und empfindet die Infektion als eine Art von Bestrafung. Als Folge davon vernachlässigt man die Gesundheit und das eigene Wohlbefinden.

Mit der erfolgreichen antiretroviralen Therapie wird die HIV-Infektion zu einer «gewöhnlichen» – zwar chronischen – Krankheit, mit der man «leben kann». Dies ergibt neue Herausforderungen, was die persönliche Lebensgestaltung betrifft und insbesondere auch den erneuten Einbezug der Betroffenen in die heutige Leistungsgesellschaft. Diese erwartet von jedem einzelnen ein effizientes und selbständiges Krankheitsmanagement. Der beständige Kampf verbraucht aber viel Energie und ermüdet auf die Dauer. Dies wird noch erschwert, wenn die Betroffenen ihren HIV-Status in ihrer Familie bzw. in ihrem beruflichen Umfeld, aus Furcht vor Diskriminierung, nicht offenlegen wollen oder können. Hinzu kommen das gesellschaftliche Stigma, der mit der HIV-Infektion beschleunigte Alterungsprozess sowie äusserlich sichtbare Langzeitfolgen der HIV-Therapie. Der Erwartungsdruck, dass man mit seiner Krankheit allein zurecht kommen muss und der damit verbundene permanente Stress, aber auch die Sorge, wie es längerfristig weitergeht, können Depressionen und Suizidgedanken auslösen. Das wiederum kann sich nachteilig auf die HIV-Therapie auswirken, indem es beispielsweise die Therapietreue (Adhärenz) beeinträchtigt oder die Risikobereitschaft für sexuell übertragbare Krankheiten oder beim Drogenmissbrauch erhöht. Bei etwa einem Drittel der HIV-Patienten treten im Verlauf des Lebens depressive Symptome auf. Das Mitgefühl, das Nicht-Betroffene vor langer Zeit den damals «todgeweihten» HIV-Infizierten entgegenbrachten, ist nicht mehr da. Man erwartet jetzt von ihnen, dass sie sich wieder voll in die Leistungsgesellschaft integrieren. Also: Fun – fit – flexibel und mobil, und das sowohl beim Job als auch in der Freizeit.

Auf der andern Seite kann aber auch das HI-Virus die Gesundheit beeinträchtigen, direkt oder indirekt über die so genannten opportunistischen Infektionen. Folgen können u.a. Veränderungen im Stoffwechsel sein oder auch Auswirkungen im Gehirn und als Folge u.a. demenzielle Symptome, Angstzustände und eben Depressionen auslösen. Fehl- oder Mangel-Ernährung können das ihre dazu beitragen. Nicht ausgeschlossen werden kann, dass auch Nebenwirkungen der HIV-Medikamente selbst solche oder ähnliche Wirkungen haben, sowohl im affektiven als auch im somatischen Bereich. Die regelmässige medizinische Betreuung der Patienten ist daher sehr wichtig, sodass gegebenenfalls rechtzeitig ein Therapiewechsel vorgenommen werden kann.

Erkennung von Depressionen

Die Symptome einer Depression sind vielfältig: Man fühlt sich schlapp, antriebslos, schwach, energielos, erschöpft, hilflos und ohnmächtig. Die Gedanken sind erfüllt von Trauer und Hoffnungslosigkeit, drehen sich um das eigene Schicksal, um Vergangenheit und eine aussichtslose Zukunft. Man fühlt sich leer und emotionslos, hat grundlos Angst und Minderwertigkeitsgefühle. Es können auch Konzentrationsstörungen, verminderter Appetit sowie Schlafstörungen auftreten. Kurze, depressive Phasen können zwar in jedem Leben vorkommen; wenn sie allerdings zu einem Dauerzustand werden, also über Wochen andauern, spricht man von einer Depression und eine Behandlung ist angezeigt. Viele Betroffene selbst oder auch deren Umfeld wie Familie und Freunde merken oft nicht oder zu spät, dass etwas mit ihnen nicht mehr stimmt. Sie nehmen deshalb keine oder viel zu spät eine medizinische oder psychologische Betreuung in Anspruch. Wichtig erscheint somit, dass Vertrauenspersonen im familiären und beruflichen Umfeld, vor allem aber Ärzte und Pflegepersonal das nötige Gespür entwickeln um solche Symptome rechtzeitig zu erkennen und zu deuten, damit im Gespräch mit dem Betroffenen die geeignete Therapie gefunden werden kann.

Was kann man dagegen tun?

Zur Therapie werden Psychopharmaka (Antidepressiva, etc.) und andere Medikamente eingesetzt. Dabei ist vorgängig deren Verträglichkeit oder Wechselwirkung mit den HIV-Medikamenten zu klären. Beispielsweise kann das häufig bei Depressionen eingesetzte Johanniskraut (Hypericum perforatum) die Wirksamkeit gewisser HIV-Medikamente vermindern und ist daher bei HIV-Patienten, wenn überhaupt, nur mit Vorbehalt einzusetzen. Eine begleitende, psychologische Betreuung ist zu empfehlen.

Nebst einer Therapie mit Psychopharmaka oder einer Psychotherapie gibt es bei milderen Formen einer Depression auch einige praktische Empfehlungen, die einfach umzusetzen sind: Beispielsweise regelmässige (d.h. etwa 2 Stunden pro Woche) Bewegung, etwa Gartenarbeit, aber auch Spaziergänge, Schwimmen, Walking, Jogging, Fahrradfahren und weitere. Hinzu kommt, dass man dabei auch «Licht tankt», was die Stimmung aufheitert. Man sollte sich bemühen – und hier kann die Psychotherapie oder die Teilnahme an einer Selbsthilfegruppe nützlich sein – pessimistische, negative Gedanken zu überwinden und sich um eine positive Grundeinstellung zum eigenen Leben bemühen. Depressive Gedanken belegen nicht, dass die Situation in der man sich befindet, ausweglos ist, sondern dass man sie selbst zu negativ bewertet. Es gibt dazu auch Online-Trainings, wo man lernt, aus diesem negativen Gedankenkreis auszubrechen. Das kann beispielsweise damit beginnen, dass man sich jeden ein kleines Ziel vorgibt, und sich dann am Abend bei einer Tagesbilanz für das am Tag Erreichte «lobt». Dies stimuliert dazu, sich am nächsten Tag ein neues Ziel zu setzen. Erfolgserlebnisse sind das beste Mittel gegen Hilflosigkeit.