Die jährliche Retrovirenkonferenz führte uns heuer nach Seattle an die Pazifikküste. Diesmal sorgte die Konferenz für Schlagzeilen in der Weltpresse: Die Berichte über einen zweiten, durch eine Knochenmarktransplantation geheilten Patienten, erregten grosses Aufsehen. Bahnbrechende wissenschaftliche Erkenntnis gab es sonst wenige, dafür viele ausgezeichnete Sessions mit interessanten Beiträgen. Zum ersten Mal berichten wir zu zweit von der CROI.

Neu im Redaktionsteam ist Alex Schneider. Er hat in Moskau und Halle (Saale) Chemie studiert und eine Smartphone-Applikation für Menschen mit HIV entwickelt. Er berichtet weiter unten vor allem über die Medikamentenpipeline.

Cure-Forschung
Das Community HIV Cure Symposium begann mit einer Umfrage bei 128 (!) laufenden HIV-Cure Studien[1]. Etwas mehr als die Hälfte der laufenden Studien beantworteten den Fragebogen. 32 Studien beinhalten einen sogenannten analytischen Therapieunterbruch, einen Unterbruch mit engmaschiger Überwachung der Viruslast. Die Studiendauer ist hier meist kurz, die Mehrzahl wird noch 2019 oder im nächsten Jahr abgeschlossen. In einem Beitrag der Aktivistin Lynda Dee und der DARE Collaboration[2] wurden die Diskussionen zwischen Aktivisten und Forschern zu Studiendesign und ethischen Bedenken thematisiert. Es gibt eine Diskrepanz zwischen Forschern die verstehen, dass eine Studie für die teilnehmenden Patienten kaum einen persönlichen Gewinn bringt, und den Teilnehmern selber, bei denen doch immer die Hoffnung auf eine persönliche Heilung mitschwingt. Ein praktischer Vorschlag dazu liegt auf dem Tisch: Man solle in der Einwilligungserklärung den Begriff «Heilung» nicht mehr erwähnen, und an dessen Stelle die Begriffe «therapiefreie Langzeitkontrolle», «Viruskontrolle ohne Therapie» oder «therapiefreie Remission» verwenden. Der Begriff «Remission» wird allerdings bereits als irreführend wahrgenommen und kritisiert.

Die analytischen Therapieunterbrüche sind das ethisch heikelste Thema in der Cure-Forschung, weil sie im Widerspruch zu allen Therapierichtlinien stehen. Es besteht aber ein Konsens, dass es keine andere Methode gibt, um in der Forschung Interventionen zu bewerten, welche das Virus ohne antiretrovirale Therapie unterdrücken wollen.

Der Londoner Patient
An der Retrovirenkonferenz 2008 wurde der «Berliner Patient» Timothy Brown als Durchbruch gefeiert[3]. Zum ersten Mal wurde ein Mensch mit HIV definitiv von der Infektion geheilt. Allerdings taugte diese Erkenntnis für die Praxis wenig: die Intervention war unglaublich teuer und für den Patienten sehr belastend. Timothy Brown leidet seit der zweiten Knochenmarktransplantation unter neurologischen Störungen. Für die Cure-Forschung war der Erfolg jedoch eine unglaubliche Motivationsspritze.

Und jetzt sorgt der Londoner Patient für Furore, respektive an der CROI zuerst für rote Köpfe. Die Publikation «Nature» hatte das Embargo einen Tag zu früh gebrochen, was zu einem Sturm in den Medien führte.

Der Londoner Patient hat 18 Monate nach einer Knochenmarktransplantation zur Behandlung eines Lymphoms keine nachweisbare Viruslast[4]. Der Berliner Patient hatte damals zwei Transplantationen wegen einer Leukämie. Sein Spender hatte eine Delta-32 Mutation, welche den Rezeptor an der CD4-Zelle blockiert, das das HI-Virus benutzt um in die Zelle einzudringen. Auch der Spender des unbekannten Londoner Patienten hatte die Delta-32 Mutation. Vor und nach der Transplantation blieb der Patient bei seiner HIV-Therapie und erhielt zugleich eine nicht sehr aggressive Chemotherapie. Das Lymphom ging nach der Transplantation in eine komplette Remission, das heisst, die Symptome liessen dauerhaft nach. Nach dem Eingriff reaktivierten sich beim Patienten einige vorbestehende Infektionen – unter anderem Epstein Barr und Zytomegalovirus. Diese wurden therapiert. Untersuchungen von Plasma und CD4-Zellen zeigten nun, dass die CD4-Zellen keinen CCR5-Rezeptor mehr hatten. HIV war nicht mehr nachweisbar und die Antikörperspiegel sanken ebenfalls ab.

16 Monate nach der Transplantation ging der Patient in einen analytischen Therapieunterbruch – er erhielt keine Medikamente und seine Viruslast wurde engmaschig überwacht. 18 Monate später bleibt die Viruslast nicht nachweisbar. Weitere Gewebeuntersuchungen sind noch nötig – insbesondere im Darm und im Hirn. Die Resultate zeigen, dass der Berliner Patient kein Ausrutscher war.

Ein weiterer Fall einer erfolgreichen Knochenmarktransplantation eines Spenders mit Delta-32 Mutation wurde in einem Poster gezeigt. Der Eingriff beim Düsseldorfer Patienten wurde 2013 wegen einer akuten myeloischen Leukämie vorgenommen[5]. Er brach seine antiretrovirale Therapie im November 2018 ab und wird seither überwacht.

Trotz der eindrücklichen Erfolge: Eine Knochenmarktransplantation ist kein Modell für die Heilung von HIV. Der Eingriff ist massiv, er ist nicht immer erfolgreich, und die Risiken für die Patienten sind gross. Angesichts der fast nebenwirkungsfreien Therapie ist das keine kluge Strategie für jedermann.

Prävention und Prä-Expositionsprophylaxe (PrEP)
Zahlreiche Vorträge und Poster befassten sich mit der PrEP. Aus Schweizer Sicht sind diese sehr interessant, weil wir mit der Implementierung der Intervention im Rückstand sind.

Wie lange nehmen Amerikaner eine PrEP? Viele befürchteten, die PrEP werde bei den Nutzern zur Dauertherapie unter dem Motto «fröhliches Rumbumsen auf Kosten der Krankenkasse». Dass dem nicht so ist, zeigte eine amerikanische Studie, welche PrEP-Nutzer aus zwei Kohorten verglich[6]. Die erste Gruppe waren Prepster, welche das Medikament über ihre Krankenversicherung abrechneten. Die zweite Gruppe waren Empfänger, welche durch die staatliche Gesundheitsfürsorge Medicaid beliefert wurden. Gemessen wurde die sogenannte Persistenz – wie lange bleiben die Prepster ihrer Intervention treu? Jene Leute, die ein PrEP Rezept nicht innerhalb von 30 Tagen nach Ablauf des letzten Rezepts erneuerten, fielen aus der Studie. Wenn sie zu einem späteren Zeitpunkt wieder ein Rezept beschafften, wurden sie nicht mehr gezählt.

Durchschnittlich blieben die Leute mit Krankenversicherung 14,5 Monate auf PrEP. Bei den einkommensschwachen Nutzern auf Medicaid weniger als halb so lang, nämlich 7,6 Monate. Nur ein Drittel der Medicaid Prepster nahm die Intervention mehr als ein Jahr. Auch wurden massive Altersunterschiede beobachtet. Krankenversicherte im Alter von 45 bis 54 Jahren blieben durchschnittlich 20,5 Monate auf PrEP; junge Männer zwischen 18 und 24 bloss 8.6 Monate. In der Medicaid Gruppe war die Persistenz halbiert; 10 Monate PrEP für die 45 bis 54-jährigen und bloss 4 Monate für die 18 bis 24-jährigen. Bei jungen Menschen, der Landbevölkerung, Schwarzen sowie weiblichen Prepstern war die Persistenz ähnlich schlecht wie bei der Medicaid Kohorte.

England: Rückgang der HIV-Inzidenz
England meldet einen Rückgang von 55% der HIV-Inzidenz bei schwulen Männern innert zwei Jahren[7]. Die Daten wurden bei schwulen Männern erhoben, welche eine Klinik für sexuelle Gesundheit zweimal pro Jahr oder noch öfter aufsuchten. Die Zahlen lassen deshalb nur bedingte Rückschlüsse auf alle MSM zu. Die Inzidenz wurde 2012 und 2013 gemessen, ein zweites Mal 2014-2015 und zuletzt 2016-2017. 2012 war die Inzidenz 1,9% – das heisst dass 2 von 100 schwulen Männern innerhalb eines Jahres HIV-positiv waren. 2014-2015 blieben die Werte stabil; bei der letzten Messung fiel die Inzidenz auf 0,8%.

Dieselbe Entwicklung wurde bei einer anderen Gruppe beobachtet – die HIV-negativen MSM, welche im vergangenen Jahr eine sexuell übertragbare Infektion hatten. Bei ihnen geht man von einem hohen Ansteckungsrisiko aus. Hier fiel die Inzidenz von 3,7% auf 3,4 und schliesslich auf 1,6% – ein Rückgang von 53% innert zwei Jahren.

Parallel dazu stiegen die Diagnosen von sexuell übertragbaren Infektionen – 90% mehr Gonorrhöe, 80% mehr Chlamydien und 160% mehr Syphilis. Allerdings gingen die Leute welche eine PrEP wollten, häufiger testen und wurden besser überwacht. In der Praxis dürfte diese Entwicklung weniger schlimm sein als es auf den ersten Blick aussieht.

Adhärenz und PrEP
Die PrEP wirkt, wenn sie genommen wird. Was banal tönt, ist in der Praxis schwierig zu überprüfen. Ein simpler Urintest könnte Abhilfe schaffen. Bei 30 Probanden in Thailand wurde ein neu entwickelter Urintest getestet[8]. Dieser kostet 2 USD und liefert in 5 Minuten ein zuverlässiges Resultat. Die Genauigkeit des Urintests wurde anhand eines etablierten Nachweistests überprüft. Die CROI-Delegierten kritisierten aber, dass der Test einfach ausgetrickst werden kann. Wenn die Prepster wissen, dass die Adhärenz geprüft wird, schlucken sie einfach vor dem Besuch in der Klinik eine Dosis. Dieser sogenannte «Weissrock-Effekt» wirkt sich allerdings auf jedes regelmässig angewandte Verfahren aus. Man sollte darum die Anwendung des Tests auf ein Zufallsprinzip abstützen.

Undetectable = Untransmissable
Amerika tat sich schwer mit dem Swiss Statement von 2008. Erst im September 2017 rang sich das Center for Disease Control CDC zu einer Erklärung durch, dass HIV-positive Menschen mit nicht nachweisbarer Viruslast das HI-Virus beim Geschlechtsverkehr nicht übertragen können. Die CROI widmete dem Thema ein zweistündiges, hochinteressantes Symposium. Den Auftakt machte Prof Pietro Vernazza aus St. Gallen, welcher nochmals den Hintergrund des Swiss Statement von 2008 aufrollte[9]. Interessant war besonders, wie das möglicherweise etwas kecke Statement zu einer intensiven Forschungstätigkeit zum Übertragungsrisiko unter Therapie führte, und wie sich die Evidenz des Statements immer mehr verfestigte. Dass man die Allgemeinbevölkerung damals zu wenig informierte, sieht Vernazza aus heutiger Sicht als einen Fehler. Aus unserer Sicht war das damals aufgrund der Verunsicherung und fehlender harter Fakten gar nicht anders möglich. Aber man hätte nicht bis 2018 damit warten müssen – wir meinen die Kampagne der Aids-Hilfe Schweiz zum Welt-Aids-Tag 2018.

Nneka Nwokolo vom Chelsea & Westminster Spital in London äusserte sich zu schwierigen Fragestellungen im klinischen Alltag[10]. Bei serodiskordanten Paaren sei die Sache mittlerweile klar: Ansteckungsgefahr für den nicht infizierten Partner besteht nur bei Sex ausserhalb der Beziehung. Ein schwierigeres Problem sind die sogenannten „blips“ – kurzfristig erhöhte Viruslast bei normalerweise nicht nachweisbarem Virenspiegel. Sowohl Vernazza wie auch Nwokolo waren sich einig: einmal die Pillen vergessen oder ein Blip bei einem bereits über längere Zeit erfolgreich therapierten Patienten ist keine Gefahr. Allerdings weiss niemand, wieviele Dosen man auslassen kann bis es wirklich gefährlich wird. Und es wird aus ethischen Gründen nie eine Studie geben, welche diesen Nachweis erbringen kann. Die Frage ist insbesondere in Afrika relevant, wo Viruslast-Bestimmungstests im Umlauf sind, welche erst ab 1‘000 Kopien eine Viruslast anzeigen. Auch Behandlungsrichtlinien verunsichern eher, wenn sie sagen, dass ein Patient mindestens 6 Monate lang eine unterdrückte Viruslast haben muss, bevor man eine Ansteckungsgefahr ausschliessen kann. Wahrscheinlich ist die Zeitspanne kürzer, aber wir haben keine Daten. U=U bezieht sich auf ungeschützten Geschlechtsverkehr. Gilt U=U auch beim Stillen, bei Stichverletzungen oder beim Spritzentausch? Hier gibt es weiterhin offene Fragen, und die Antworten können je nach Situation verschieden ausfallen. Beispielsweise widersprechen sich die Behandlungsrichtlinien in Bezug auf die Frage, ob nach einer Stichverletzung an einem Patienten mit nicht nachweisbarer Viruslast eine Post-Expositionsprophylaxe (PEP) durchgeführt werden soll. In den USA ist in solchen Fällen eine PEP Routine, in Grossbritannien und in der Schweiz wird man keine PEP verordnen. Oft wird jedoch trotzdem eine PEP als Massnahme gegen Angst vor einer möglichen Ansteckung verschrieben.

Einen starken Vortrag lieferte auch die seit 1988 mit HIV lebende Carrie Foote, Soziologieprofessorin aus Indianapolis[11]. „Stigma ist tödlich. HIV-bedingtes Stigma ist ein Notstand in der öffentlichen Gesundheit, und die U=U Kampagne ist ein wirksames Mittel um Stigma abzubauen.“ Die Kampagne ist zweifellos nötig. Es bringt auf die Dauer nichts, wenn bloss Patienten und Fachleute über die Nichtansteckbarkeit Bescheid wissen. Die Welt soll es wissen, auch wenn es Jahre dauern wird, bis es der letzte Joggeli begriffen hat.

Sexuell übertragbare Infektionen
Ein weiteres Thema, das auf der Konferenz intensiv erörtert wurde, war die Verbreitung von bakteriellen sexuell übertragbaren Infektionen (STI). Mit dem Aufkommen der antiretroviralen Therapie in den 90-er Jahren beobachteten die Forscher eine Zunahme der STI-Fälle, die sogenannte erste Welle. Mit dem Aufkommen der Präexpositionsprophylaxe (PrEP) sehen Wissenschaftler nun eine Zunahme sexueller Handlungen ohne Kondom und damit eine zweite Welle der STI-Zunahmen.

Die Hauptsorge der Experten ist das Wachstum resistenter Stämme von Gonorrhoe und Chlamydien. Dies ist auf den weit verbreiteten und oft uneingeschränkten Einsatz von Antibiotika zurückzuführen. In vielen Ländern behandeln sich Patienten selbst und können ohne ärztliche Verschreibung ein Antibiotikum kaufen. Außerdem führen Ärzte, die bei der Diagnose sparen, nicht alle erforderlichen Tests durch, wie beispielsweise die Typisierung des Gens. Des Weiteren wird das Ergebnis der Behandlung am Ende einer Antibiotika-Therapie nicht kontrolliert.

Eine Lösung wäre, einen Impfstoff zu entwickeln. Aktuell gibt es eine Studie mit dem bestehenden Bexsero MenB-Impfstoff gegen Meningokokken-Infektionen, der eine Impfwirksamkeit von 33 Prozent auch gegen Gonorrhoe zeigt. Hier suchen Wissenschaftler weiterhin nach einer wirksameren Lösung.

Nach Ansicht von Experten ist es gefährlich, das Problem der zunehmenden Zahl von STI-Fällen vor dem Hintergrund eines Rückgangs der HIV-Fälle zu verschweigen. Es sind umfassende Maßnahmen erforderlich, um STI zu stoppen, einschließlich eines erweiterten Zugangs zu STI-Tests, insbesondere durch schnellere Zulassung von Express-Tests.

Die HIV-Therapie von morgen

Monatliche Injektionen und keine Pillen mehr
Zu den wichtigsten Veranstaltungen auf der Konferenz zählt die Präsentation der Ergebnisse zweier Studien – ATLAS und FLAIR. Beide Studien beobachteten die Anwendung von langzeitwirkenden Formen von Cabotegravir und Rilpivirin bei der Behandlung von HIV. Die ATLAS-Studie richtete sich an Patienten, die bereits eine antiretrovirale Standardtherapie erhielten und auf eine langzeitwirkende Form von Medikamenten umgestellt wurden. Die FLAIR-Studie beobachtete therapie-naive Patienten, also solche, die die zuvor keine HIV-Behandlung erhalten hatten. In beiden Studien war die Wirksamkeit der langzeitwirkenden Injektionen vergleichbar mit der täglichen Standardtherapie.

Die Häufigkeit der Nebenwirkungen war vergleichbar mit anderen Studien, jedoch wurden von mehr als 20 Prozent der Teilnehmer Reaktionen an der Injektionsstelle beobachtet. Die meisten verschwanden innerhalb von weniger als einer Woche nach den Injektionen. Einzelne Patienten lehnten die Therapie wegen Nebenwirkungen ab.

Es ist erwähnenswert, dass den Patienten alle 28 Tage (plus / minus 7 Tage) zwei Injektionen mit jeweils 2 ml jedes Arzneimittels gegeben wurden. Die Medikamentenlösungen wurden mit jeweils einer Spritze langsam injiziert, da das Volumen der Medikamentenlösung vergleichsweise groß ist. Der Zeitbedarf für die Behandlung mit den Injektionen liegt bei ungefähr 30 Minuten pro Patient.

Auf der Konferenz wurde diskutiert, wie praktisch diese Injektionen für Patienten und Ärzte in der Zukunft sein könnten. Einerseits steigt die Häufigkeit der Arztbesuche sowie die Dauer der Besuche selbst, andererseits ist es nicht notwendig, über die Einhaltung der Therapie nachzudenken. Die Patienten, die an den Studien teilnahmen, gaben in den meisten Fällen an, dass sie trotz aller bestehenden Nachteile Injektionen einmal monatlich vorziehen würden.

Niedergelassene Ärzte äußerten eine weitere Besorgnis mit Blick auf den Transport und die Lagerung der Arzneimittel. Die langzeitwirkende Form von Rilpivirin wird bei einer Temperatur von 8 °C im Kühlschrank aufbewahrt und muss im Kühlkettenmodus transportiert werden. Auch die Verpackung beider Injektionen nimmt viel Platz in Anspruch. All dies kann die Verwendung des Arzneimittels beispielsweise auf große Kliniken beschränken.

Ein weiteres Problem der langzeitwirksamen Medikamente ist die mögliche Entwicklung von Resistenzen. Wie eine weitere Studie gezeigt hat, bei der diese Kombination als Präkontaktprophylaxe getestet wird, verbleibt Cabotegravir nach einer Injektion in geringen Mengen im Blut, bei Männern bis zu einem Jahr und bei Frauen länger als ein Jahr. Wenn es in dieser Zeit zu einer HIV-Infektion kommt, kann das HI-Virus bei niedrigen Konzentrationen von Cabotegravir schnell mutieren und gegen dieses Medikament resistent werden.

Nach Abschluss der Diskussion kamen die Experten zu dem Schluss, dass eine Therapie mit langzeitwirkenden Medikamenten trotz möglicher Nachteile Zukunft hat. Es besteht die Notwendigkeit, die Formulierung der Arzneimittel weiter zu verbessern, sie kompakter und unempfindlicher gegen Raumtemperatur zu machen und auch auf mögliche Resistenzen zu achten.

Neue Medikamente im frühen Entwicklungsstadium
Neben den langzeitwirkenden Medikamenten wurde auf der Konferenz ein weiterer möglicher zukünftiger Kandidat vorgestellt: ein Stoff mit dem Codenamen GS-6207. Dabei handelt es sich um eine grundlegend neue Substanz. Sie unterscheidet sich von den bestehenden Medikamenten darin, dass sie an einer bestimmten Stelle des Infektionsprozesses eingreift und die Reifung des HIV-Kapsids blockiert. Nach den bisherigen Forschungsdaten zeichnet sich das Medikament durch eine starke antivirale Aktivität und gute Verträglichkeit aus. Eine stabile Dosierung des Arzneimittels im Körper wird für mindestens drei Monate aufrechterhalten, was es zu einem geeigneten Kandidaten für ein injizierbares Arzneimittel mit Langzeitwirkung macht.

Ein weiterer Kandidat, der unter dem langen Codenamen GSK2838232 ebenfalls die Reifung von HIV blockiert, zeigte in der neuen Studie Kurzzeitverträglichkeit und antivirale Aktivität mit dem besten Ergebnis in der maximalen Dosierung. So ging er zur nächsten Phase der klinischen Forschung.

Ein anderes neues Medikament, MK-8591, hat bei niedrigen Dosierungen – 0,5 mg – eine hohe Wirksamkeit gezeigt. Um einen klinisch erwünschten Effekt zu erzielen, kann die Dosis von MK-8591 gemäß der Studie mindestens viermal niedriger sein, als alle anderen ähnlichen untersuchten Arzneimittel. So kann der Wirkstoff ein weiterer Kandidat mit Langzeitwirkung werden. Nach Angaben des Entwicklers soll das Medikament als subkutanes Implantat zur Behandlung von HIV getestet werden.

Auf der Konferenz wurden zudem die neuesten Daten zur Wirksamkeit und Sicherheit des neuen Wirkstoffs Fostemsavir präsentiert. Fostemsavir ist eine so genannte Prodrug der ersten Klasse, die die Anhaftung des HI-Virus an CD4-Immunzellen blockiert. In der Studie zeigte Fostemsavir eine hohe Sicherheit, die mit der Standardtherapie vergleichbar ist. Gleichzeitig traten unter Fostemsavir weniger Nebenwirkungen auf, insbesondere solche, die oft zum Abbruch der Behandlung führten. Derzeit befindet sich das Medikament in der letzten Phase der klinischen Studien bei erwachsenen Patienten mit begrenzten therapeutischen Optionen für die Behandlung aufgrund von Resistenzen, Verträglichkeitsproblemen oder Kontraindikationen.

Auch aus der Immuntherapie kommen neue Ansätze. So haben präklinische und erste klinische Studien gezeigt, dass die Immuntherapie eine Alternative oder Ergänzung zur antiretroviralen Standardtherapie sein kann. HIV-spezifische Antikörper (bNab) verhindern nicht nur das Eindringen des Virus in die Körperzellen, sondern können auch bereits infizierte Zellen (versteckte Reservoirs) reinigen und die Immunität gegen HIV generell deutlich verbessern.

Derzeit befinden sich mehrere Antikörper-Wirkstoffe in klinischen Studien. Nicht alle weisen eine ähnliche Wirksamkeit auf, aber es ist bereits klar, dass Kombinationen aus bNabs eine vielversprechende Richtung sein wird. Dieser Ansatz erweist sich beispielsweise dann als nützlich, wenn Menschen mit HIV eine Resistenz gegen einen der Antikörper entwickeln

 

 David Haerry und Alex Schneider / März 2019


[1] http://www.treatmentactiongroup.org/cure/trials

[2] Delaney AIDS Research Enterprise, dem bekannten Aktivisten Martin Delaney gewidmet

[3] https://de.wikipedia.org/wiki/Timothy_Ray_Brown

[4] Gupta RK et al. www.croiconference.org/sessions/sustained-hiv-1-remission-following-homozygous-ccr5-delta32-allogenic-hsct

[5] Jensen BO et al, www.croiconference.org/sessions/analytic-treatment-interruption-ati-after-allogeneic-ccr5-d32-hsct-aml-2013

[6] Huang Y-L A et al., www.croiconference.org/sessions/persistence-hiv-preexposure-prophylaxis-united-states-2012-2016

[7] Ogaz D et al., www.croiconference.org/sessions/preparing-prep-england-prevalence-and-incidence-hiv-and-bacterial-stis

[8] Gandhi M et al., www.croiconference.org/sessions/validation-urine-tfv-immunoassay-real-time-prep-and-art-adherence-testing

[9] Vernazza P., www.croiconference.org/sessions/story-uu-scientific-underpinnings

[10] Nwokol N., www.croiconference.org/sessions/caring-u-clinical-conundrums

[11] Foote C., www.croiconference.org/sessions/me-and-u-community-perspectives