COVID-19 und die Versorgung der Schweizer HIV-Patienten

In vielen europäischen Ländern ist die Ärzteschaft in den HIV-Kliniken stark durch die COVID-19 Krise beansprucht. Auch in der Schweiz mussten Kapazitäten reduziert und geplante Termine verschoben werden. Wir haben uns etwas umgehört.

Wir haben die grösseren Zentren der Schweiz kontaktiert und folgende Fragen gestellt:

1. Welche Massnahmen haben Sie ergriffen?

2. Wie haben die Patienten reagiert?

3. Wo stehen Sie heute, hat sich die Lage wieder normalisiert?

4. Gibt es Lehren für die Zukunft?

 

Basel, Universitätsspital, Dr. med. Marcel Stöckle

1. Die HIV-Sprechstunde wurde auf Anordnung des Bundesrates geschlossen und wir mussten alle Termine um zirka drei Monate verschieben. Unsere Patienten haben aber sehr grosszügig Notfalltermine erhalten. Die Medikamentenabgabe wurde durchgehend weitergeführt. In mehreren Fällen mussten wir Medikamente per Kurier an Patienten verschicken – einige Leute waren im Ausland gestrandet. Zusätzlich wurden viele Telefonkonsultationen durchgeführt – die Patienten haben uns auf diese Weise kontaktiert.

2. Generell waren die Patienten sehr verständnisvoll. Viele machten sich grosse Sorgen wegen der Frage nach der Zugehörigkeit zu einer Risikogruppe.

3. Wir haben die regulären Sprechstunden seit dem 27. April 2020 wieder vollumfänglich aufgenommen. Die Sprechstunden sind jedoch sehr eng getaktet, da viele Nachhol-Konsultationen anfallen.

4. Sicherlich würden in Zukunft Umstellungen reibungsloser ablaufen. Aber ich denke nicht, dass wir vieles anders machen könnten oder würden.

 

Bern, Inselspital, Prof. Dr. med. Andri Rauch

1. Wir haben nur noch medizinisch indizierte Kontrollen durchgeführt, welche nicht aufgeschoben werden konnten. Wir haben alle Patienten telefonisch vor einem Termin kontaktiert und über Hygienemassnahmen informiert. Wo immer möglich, haben wir telefonische Ersatzkonsultationen durchgeführt. Antiretrovirale Medikamente haben wir per Post verschickt.

2. Nach meiner Erfahrung durchwegs positiv; die Leute zeigten viel Verständnis.

3. Ja, der Betrieb läuft wieder normal. Was natürlich bleibt sind die Hygienemassnahmen Gesichtsmasken, Händedesinfektion und kein Händeschütteln.

4. Ja, wir haben einiges gelernt, zum Beispiel dass sich telefonisch einiges erledigen lässt, aber doch nicht alles. Gute Kommunikation und rechtzeitige Information sind Grundvoraussetzungen.

 

Genf, Universitätsspital, Prof. Dr. med. Alexandra Calmy
Kommentar: Die Antworten aus Genf erfolgen nicht in der geplanten Struktur. Die Klinik hat uns eine geplante Publikation zu den gestellten Fragen zur Verfügung gestellt.

1. Das Genfer Universitätsspital wurde während der Krisensituation ausschliesslich für COVID-19 Patienten reserviert. Dies führte zu einer enormen Personalknappheit. Hinzukam, dass einige Mitarbeiter zu Risikogruppen gehörten und deshalb zuhause blieben. Zur Verstärkung des Teams wurde auf kürzlich pensionierte Mitarbeiter zurückgegriffen. Unser wichtigstes Anliegen war die Versorgungssicherheit für Menschen mit HIV zu gewährleisten – die Patienten sollten genügend Medikamente haben und die klinischen Konsultationen sollten stattfinden.

Die HIV-Testberatung und HIV-Tests für asymptomatische Personen ohne Ansteckungsrisiko wurden vorübergehend ausgesetzt. Im Stadtzentrum standen diese Dienstleistungen aber weiterhin zur Verfügung. Telefonberatungsdienstleistungen wurden in Zusammenarbeit mit lokalen Partnern weitergeführt. Wo angezeigt, wurde den Betroffenen eine Konsultation ermöglicht.

Für HIV-Patienten und PrEP-Konsumenten musste die Versorgung mit Medikamenten sichergestellt werden. Alle Betroffenen sollten für mindestens drei Monate versorgt sein. Für Patienten deren Vorrat zu klein war, wurde innert einer Woche eine zusätzliche Lieferung organisiert. Die Medikamente wurden entweder direkt nachhause geliefert oder wir haben der nächstgelegenen Apotheke ein Rezept übermittelt.

Herausfordernd war die Situation jener Patienten, welche unterwegs blockiert waren und nicht mehr heimreisen konnten. Diesen wurde per E-Mail ein Rezept mit einer Zuweisung zu einer lokalen Apotheke geschickt.
Die üblichen Routinekontrollen und Laboruntersuchungen unserer HIV-Patienten wurden speziell bei Patienten über 65-Jahren verschoben, und telemedizinische Betreuung wurde wo immer möglich angeboten. Alle bestehenden Patienten wurden systematisch kontaktiert. Bei diesen Kontakten wurden die Patienten auch auf mögliche Ängste im Zusammenhang mit der COVID-19 Krise angesprochen.

Dank unserem Vorgehen mussten keine Konsultationen abgesagt werden. Als wir die Patienten kontaktierten, hörten wir von einigen, dass sie ihre Medikamente zu strecken versuchten, damit sie nicht plötzlich ohne Therapie dastanden. Darum haben wir die Initiative ergriffen und die Patienten wo nötig zusätzlich beliefert.
Bei den Routinekontrollen haben wir festgestellt, dass während der Coronakrise 60% mehr Patienten eine nachweisbare Viruslast von über 50 Kopien hatten.

4.Wir haben gezeigt, dass das HIV-Betreuungskontinuum gesichert werden kann, wenn gut durchdachte Lösungen umgesetzt werden. Der kombinierte Einsatz von Telemedizin, die systematische Überprüfung von HIV-RNA-Ergebnissen und die Sicherstellung der Medikamentenversorgung durch Hauslieferungen sind die wichtistgen Massnahmen, die wir in Genf ergriffen haben. Die sorgfältige Analyse und Anpassungen der Versorgungsdienstleistungen sind von entscheidender Bedeutung, um eine sichere Medikamentenversorgung und Betreuung zu gewährleisten.

 

Lausanne, Centre hôpitalier universitaire vaudois, Prof. Dr. med. Matthias Cavassini

1. Auf Anordnung der Generaldirektion unserer Klinik mussten alle nicht dringenden medizinischen Termine und Blutuntersuchungen, die zwischen dem 10. März und dem 30. April geplant waren, auf Anfang Mai verlegt werden. Die routinemässige Versorgung aller unserer HIV-Patienten war von dieser Massnahme betroffen.

2. Fast alle unsere Patienten waren verständnisvoll. Oft hatten sie Angst, zum CHUV zu kommen, und waren deshalb meist dankbar, dass der Termin verschoben wurde.

3. Ja und nein. Wir empfangen jetzt alle Patienten und haben einen grossen Rückstau. Deshalb leiden wir unter einer grossen Arbeitsüberlastung in den Monaten Mai und Juni 2020.

4. Wir haben gelernt, dass es möglich ist, Termine bei Bedarf zu verschieben. Was die langfristigen Folgen betrifft, ist es noch zu früh um sich gross zu äussern. Ich denke, es wäre schon kurzfristig interessant zu sehen, ob es bei Nachweisbarkeit der Viruslast zu einem Anstieg gekommen ist, und ob es vereinzelte Therapieabbrüche gegeben hat.

 

Lugano, Prof. Dr. med. Enos Bernasconi

1. Wir haben auf allen Kanälen über COVID-19 informiert. Alle regulären Kontrollen wurden um zwei bis drei Monate verschoben. Dringende Konsultationen waren aber möglich. Einige Konsultationen wurden am Telefon durchgeführt.

2. Es gab keine grösseren Probleme. Wir konnten die Patienten insofern beruhigen, dass nach jetzigen Erkenntnissen eine Infektion mit SARS-CoV2 für Menschen mit HIV nicht speziell bedrohlich ist, sondern dieselben Risikofaktoren wie bei der Normalbevölkerung gelten.

3. Seit dem 11. Mai haben wir wieder Normalbetrieb. Wir beschränken allerdings die Zahl der Patienten pro Tag, um die Zahl der Menschen im Warteraum möglichst klein zu halten.

4. Im Moment ist es noch zu früh diese Frage zu beantworten.

 

Zürich, Universitätsspital, PD Dr. med. Dominique Braun

1. Wir führten eine Maskenpflicht bei Betreten des Spitals ein. Bei der Anmeldung am Empfang wurden Symptome bereits abgefragt. Wir haben eine spezielle COVID-19 Sprechstunde für die Entnahme von Abstrichen, Nachkontrollen eingeführt. In Einzelfällen und falls medizinisch vertretbar wurden die 3-monatlichen Kontrollen der HIV-Patienten auf 6-monatliche Intervalle ausgedehnt.

2. Soweit mir bekannt waren die Patienten verständnisvoll. Es gab einzelne Klagen wegen längeren Wartezeiten am Haupteingang, da dort Kontrollen erfolgten und der Einlass nur gewährt wurde für Personen, die einen Termin vereinbart hatten.

3. Ja, wir haben fast Normalbetrieb. Es gilt jedoch weiterhin die universelle Maskenpflicht (chirurgische Masken) für jedermann und auf dem gesamten USZ Campus. Zudem erfolgt bei allen stationären Patienten sowie ambulanten chirurgischen und onkologischen Patienten ein Eintritts-Screening auf Sars-CoV-2 mittels PCR.

4. Die Prozesse wurden etabliert und könnten rasch reaktiviert werden.

 

David Haerry / Juni 2020

 

Checkpoints

Bern, Alain Poussot, Projektleitung Checkpoint

1. Der Checkpoint Bern hat die Massnahmen der Aids-Hilfe Bern übernommen.

2. Während der ausserordentlichen Lage durften wir nur Notfälle annehmen. Die Klienten nahmen vorab mit uns telefonischen Kontakt auf. Eine Evaluation der Reaktion der Klienten ist nicht möglich.

3. Wir haben auf Online-Reservationen umgestellt und sind damit sehr gut ausgelastet.

4. Medizinische Materialbestellungen müssen frühzeitig geplant werden.

 

Zürich

Zum Schutz von Mitarbeitern und Klienten hat der Checkpoint Zürich auf einen Betrieb mit Voranmeldung umgestellt. Termine konnten online gebucht werden. Für Notfälle nach Risikokontakten war der Checkpoint Zürich erreichbar.

Dazu wurde ein lustiges Video produziert.

 

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